Um zu vermeiden, dass Millionäre in städtischen Wohnungen leben, will die Stadt Steuerdaten einsehen. Das Obergericht pfeift sie nun zurück.
Seit 2019 nimmt die Stadt Zürich Bewerberinnen und Bewerber für sogenannt freitragende städtische Wohnungen genauer unter die Lupe. Die neuen Regeln, die nebst der Wohnsitzpflicht und den Belegungsvorschriften auch eine Einkommenslimite enthalten, sind das Resultat eines jahrelangen politischen Hickhacks.
Die neuen Regeln gelten auch für Mieterinnen und Mieter, die vor 2019 in eine städtische Wohnung gezogen sind. Um sicherzugehen, dass auch sie das Regelwerk berücksichtigen, musste die Stadt deren Mietverträge nachträglich anpassen. Es galt eine Übergangsfrist, die Anfang 2024 abgelaufen ist.
Die neuen Verträge erlauben es der Stadt, die Steuerdaten der Mieter einzusehen, um die Höhe des steuerbaren Einkommens zu prüfen.
Ein Einfamilienhaus für 2860 Franken im Monat
Wie Kornel Ringli, der Kommunikationsverantwortliche von Liegenschaften Stadt Zürich, auf Anfrage schreibt, hätten die meisten der damals rund 6300 betroffenen Mietparteien die Vertragsänderung akzeptiert. Inzwischen seien es noch 4900 Mietverhältnisse, die ihren Ursprung vor 2019 haben.
Doch es gibt auch Fälle, in denen sich die Mieter gegen die Vertragsanpassung wehrten, insbesondere gegen die Einsicht der Stadt in ihre Steuerdaten. Und das, wie sich nun zeigt, mit Erfolg. Nach dem Mietgericht gibt ihnen nun auch das Obergericht recht.
Im einen Fall handelt es sich um eine alleinstehende Person, die eine 3,5-Zimmer-Dachwohnung für 2493 Franken pro Monat mietet und inzwischen wohl zu viel verdient, um noch Anspruch auf die Wohnung zu haben. Im anderen Fall lebt die Klägerin in einem 6-Zimmer-Einfamilienhaus, das sie bis 2016 mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann bewohnte. Der Mietzins beträgt 2860 Franken. Beide Parteien leben seit den 1990er Jahren in den städtischen Liegenschaften.
Gemäss dem aktuellen Datenschutzgesetz handle es sich beim Einholen von Auskünften beim Personenmeldeamt, dem Steueramt und weiteren Behörden um Datenbeschaffung, heisst es in den Urteilen, welche der NZZ vorliegen. Werde dies entgegen der ausdrücklichen Willenserklärung der betroffenen Person getan, handle es sich um eine Persönlichkeitsverletzung.
Vermieter seien im Normalfall an möglichst finanzkräftigen Mietern interessiert, schreibt das Gericht, denn diese verursachten weniger Zahlungsausfälle. «Vor diesem Hintergrund bilden Maximalverdienstklauseln ungewöhnliche Vertragsbestandteile, mit deren nachträglicher Einführung eine Mieterin nicht zu rechnen braucht.»
Vielmehr müssten zentrale Fragen vor Vertragsabschluss geklärt werden. Wenn eine Vermieterin solche Abklärungen versäume, könne sie diese nicht mit einer einseitigen Vertragsänderung nachholen. Verträge seien kein «work in progress», sondern machten die Zukunft planbar. Dieses Ziel werde aber nur erreicht, wenn sie nicht einseitig infrage gestellt oder modifiziert werden könnten.
Die Witwe, welche allein ein Einfamilienhaus mit Garten bewohnt, wehrte sich zudem auch gegen die Mindestbelegungsvorschriften. Gemäss diesen müsste sie das Haus mit vier weiteren Personen teilen. Die Mieterin macht als Begründung unter anderem geltend, dass das Haus nur über ein Badezimmer verfüge und sich deshalb nur eingeschränkt für die Aufnahme weiterer erwachsener Personen eigne.
Das Gericht schreibt dazu, die Mieterin habe grundsätzlich bloss ein Gebrauchsrecht. Demzufolge treffe sie keine Pflicht, das Mietobjekt effektiv zu nutzen. Für die Vermieterin, also die Stadt, sei es gar von Vorteil, wenn ein Mietobjekt nicht umfassend genutzt werde. Das führe zu einer geringeren Abnutzung, «was objektiv betrachtet im Interesse des Vermieters liegt».
Skandal um Millionäre in städtischen Wohnungen
Der Auslöser für die Einführung der nun geltenden Regeln liegt inzwischen ein Jahrzehnt zurück. Damals war bekanntgeworden, dass in kommunalen Wohnungen nicht nur Menschen mit kleinem Portemonnaie leben, sondern auch zahlreiche Millionäre von den günstigen städtischen Mieten profitierten.
Unter ihnen waren auch verschiedene lokale und nationale Politikerinnen und Politiker. So machte beispielsweise der Fall der SVP-Gemeinderätin Hedy Schlatter Schlagzeilen, die zwar im steuergünstigen Uster ihre Steuern bezahlte, neben einer Villa im Zürcher Oberland aber auch eine städtische Wohnung in Zürich für 1300 Franken im Monat bewohnte.
Das Problem damals: Beim Abschluss des Mietvertrags galt zwar die Faustregel, dass das Einkommen und die Miete maximal im Verhältnis 4:1 stehen sollten. Danach schaute die Stadt aber nicht mehr hin.
2014 präsentierte Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) eine revidierte Verordnung, die verstärkte Kontrollen vorsah. Allerdings standen in diesem Vorschlag nicht die Vermögensverhältnisse der Mieterschaft im Vordergrund, sondern die Frage, ob die Belegungsvorschriften eingehalten werden. In der Regel gilt hier – damals wie heute – die Maxime, dass die Anzahl Bewohner die Anzahl Zimmer maximal um eins unterschreiten dürfe.
Bürgerliche forderten Einkommenslimite
Gegen Leupis Vorschlag formierte sich im Stadtparlament Widerstand vonseiten der bürgerlichen Parteien. In einem gemeinsamen Antrag forderten FDP, GLP, SVP und die damalige CVP eine klar definierte Einkommensgrenze.
Denn dem stadträtlichen Papier waren auch statistische Daten zu den Bewohnerinnen und Bewohnern der städtischen Liegenschaften zu entnehmen. Diese besagten, dass 132 ein Vermögen von über einer Million Franken versteuerten.
Die linken Parteien – die damals mit 63 von 125 Sitzen keine deutliche Mehrheit im Parlament hatten – stellten sich derweil auf den Standpunkt, dass das Problem weniger gross sei als dargestellt. Es sei fraglich, inwiefern zusätzliche Kontrollmechanismen, um eine «Chimäre» zu bekämpfen, sinnvoll seien. Ganz im Gegensatz zu Belegungsvorschriften, die «selbstregulierend» wirken würden. Ausserdem sollte auch den Mieterinnen und Mietern städtischer Wohnungen eine gewisse Einkommensentwicklung zugestanden werden.
Das dann im Parlament ausgehandelte Regelwerk enthält denn auch eine Entwicklungsspanne beim erlaubten Einkommen. Über die Jahre darf das Verhältnis von Bruttomiete und steuerbarem Einkommen auf 1:6 wachsen. Vermögen über 200 000 Franken wird zu 10 Prozent zum Einkommen gerechnet, sofern die jährlichen Einkünfte 70 000 Franken übersteigen.
Es gab aber grosszügige Ausnahmeregeln: Erst wenn diese Verhältnisse bei mehr als 15 Prozent der städtischen Wohnungen nicht eingehalten werden, muss die Stadt reagieren. Das letzte Mal wurden 2018 Daten dazu erhoben. Wie die Liegenschaftenabteilung auf Anfrage schreibt, betrug der Anteil der Wohnungen, bei denen die Einkommensgrenze überschritten wurde, 17,9 Prozent.
Die Stadt zieht die Urteile weiter
Die Stadt lässt sich von der erneuten gerichtlichen Niederlage nicht beirren. Wie Kornel Ringli auf Anfrage mitteilt, hat sie beide Urteile ans Bundesgericht weitergezogen. Die Einführung der Vermietungsverordnung sei sorgfältig vorbereitet worden. «Wir gehen nach wie vor davon aus, dass das Vorgehen rechtens ist.»
Zudem stellten die Gerichtsurteile nicht den Zweck der neuen Verordnung als solchen infrage, sondern hauptsächlich die einseitige Vertragsänderung, sagt Ringli weiter. Die Liegenschaftenabteilung habe die Mieterinnen und Mieter mit Verträgen von vor 2019 über die geänderten Vorgaben informiert. «Wenn Mietende diese nicht erfüllten und es wünschten, konnten sie ein Gesuch für einen Wechsel in eine andere Wohnung stellen.»
Die beiden aktuellen Fälle seien die einzigen pendenten Verfahren zu Vertragsänderungen, schreibt Ringli.
Insgesamt sind 7600 der 9600 Wohnungen im städtischen Besitz freitragend – werden also nicht subventioniert. Von den neuen Vermietungsregeln betroffen sind nur Erstere.
Vorbereitungen für flächendeckende Kontrollen laufen
Bei den vor 2019 abgeschlossenen Verträgen werde die Liegenschaftenabteilung auf eine aktive Kontrolle verzichten, bis ein rechtskräftiger Entscheid vorliege, schreibt Ringli.
Anders präsentiert sich die Situation bei den 2700 nach 2019 abgeschlossenen Mietverhältnissen. Sie enthielten eine Klausel, die der Stadt gewähre, Einsicht in persönliche Daten zu nehmen, sagt Ringli. Derzeit seien die Vorbereitungen für eine flächendeckende Überprüfung im Gange. Diese werde im Verlauf dieses Jahres beginnen.
Sven Sobernheim, Co-Fraktionspräsident der GLP im Zürcher Stadtparlament, findet es richtig, dass die Stadt einen bundesgerichtlichen Entscheid anstrebt. Er sei überrascht, dass es Fälle gebe, in denen die Änderung angefochten worden sei. «Wenn jemand die Einsicht in die Steuerdaten verweigert, fragt man sich schon, ob die Person etwas zu verbergen hat.» Dass sich nur wenige städtische Mieter gegen die Vertragsanpassung gewehrt hätten, zeige, dass die Akzeptanz für die neuen Regeln gross sei.
Die SP sieht sich in der Angelegenheit «an der Seitenlinie», sagt der Co-Fraktionspräsident Florian Utz. Zu den «Herzensangelegenheiten der Partei» habe die Einkommenslimite nie gehört. Es verstehe sich von selbst, dass rechtskräftige Gerichtsentscheide zu respektieren seien, egal, wie diese ausfielen.