Der Grenzkrieg zwischen Israel und dem Hizbullah steuert auf eine Eskalation zu. Dabei sollten die Vereinten Nationen eigentlich in Südlibanon den Frieden sichern. Können sie überhaupt noch etwas bewirken? Ein Besuch.
Es ist halb neun Uhr morgens, aber die Sonne brennt bereits gnadenlos auf die Hügel Südlibanons nieder. Im Hauptquartier der italienischen Uno-Soldaten in Shama stehen drei gepanzerte Jeeps zur Patrouillenfahrt bereit. Man warte nur noch auf die Begleitfahrzeuge der libanesischen Armee, sagt einer der Offiziere. «Gleich geht es los.»
Am Steuer eines der Autos sitzt Antonio, neben ihm Luigi. Die beiden Soldaten kommen aus Neapel. Vor ein paar Tagen erst ist Italien an der Fussball-EM gegen die Schweiz ausgeschieden. «Was soll’s, wir haben halt scheisse gespielt», sagt Antonio und zuckt mit den Schultern. Dann startet er den Motor.
Vor dem Tor sind inzwischen zwei Mannschaftswagen der libanesischen Armee eingetroffen. Die Italiener reihen sich ein. Dann rollt die Kolonne los, über Landstrassen und liebliche Hügel, durch Dörfer und Weiler, ins unmittelbare Grenzgebiet zwischen Israel und Libanon. Da, wo derzeit der wohl gefährlichste Krieg des Nahen Ostens tobt.
Die Unifil wird immer wieder kritisiert
Seit Monaten beschiessen sich hier Israels Armee und der Hizbullah – jene schwer bewaffnete, von Iran unterstütze Schiitenmiliz, die im letzten Oktober zur Unterstützung der Hamas in Gaza einen Grenzkrieg mit den Israeli begonnen hat. Seither gehen in Libanon Bomben auf Dörfer und Felder nieder. Und jenseits der Grenze, in Israel, schlagen Raketen und Drohen in Kibbuzim und Armeestützpunkten ein.
Es ist eine Art Geisterkrieg, wie per Fernsteuerung geführt. Nirgendwo sind Positionen oder Kämpfer des Hizbullah zu sehen. Die einzigen Militärs, die sich auf den Strassen blicken lassen, sind die Soldaten der Unifil – der Interim-Mission der Vereinten Nationen in Libanon. Diese Truppe, zu der auch Antonio und Luigi gehören, sollte eigentlich den Frieden sichern. Doch das ist ein nahezu unmögliches Unterfangen.
Die rund 10 000 Männer und Frauen aus über vierzig Ländern, die bei der Unifil dienen, geraten nicht nur selbst ins Kreuzfeuer. Sie können auch gegen die israelische Armee und den Hizbullah nichts ausrichten. Entsprechend muss die Truppe, die seit 1978 hier stationiert ist und nach dem letzten Krieg zwischen Israel und dem Hizbullah 2006 massiv aufgestockt wurde, immer wieder harsche Kritik einstecken.
Ihre Mission sei gescheitert, heisst es, weil es den Uno-Soldaten nicht gelungen sei, den Hizbullah von der Grenze fernzuhalten und somit den Krieg zu verhindern. Sowohl Israeli als auch Libanesen werfen den Blauhelmen des Öfteren vor, parteiisch zu sein. Vereinzelt wurden deren Soldaten sogar angegriffen – letztmals 2022, als ein aufgebrachter Mob in Südlibanon einen irischen Soldaten umbrachte.
Die wirkliche Macht liegt beim Hizbullah
«Wir sind Soldaten und tun unsere Pflicht», sagt Antonio nur, während er den Jeep über eine leere Strasse steuert. Wenig später erreicht der Konvoi das Dorf Yarine – beziehungsweise das, was davon übrig ist. Die Fahrzeuge halten an, die Soldaten steigen aus. Rechts und links der Strasse liegen zertrümmerte Häuser. Ein katarisches Fernsehteam, das die Patrouille ebenfalls begleitet, dreht ein paar Bilder von der Zerstörung.
Offiziell soll die Unifil nicht nur die Lage an der Grenze beobachten und allfällige Verstösse gegen den Waffenstillstand von 2006 rapportieren – sondern auch der libanesischen Armee dabei helfen, die Kontrolle über das Grenzgebiet zu erlangen. Doch die Soldaten der schwachen Beiruter Armee haben hier kaum etwas zu sagen. Die wirkliche Macht im mehrheitlich von Schiiten besiedelten Süden liegt beim Hizbullah.
«Trotzdem ist es wichtig, dass wir da sind», sagt der Unifil-Sprecher Andrea Tenenti ein paar Tage später bei einem Treffen in Beirut. Ungeachtet der heftigen Kämpfe würde seine Truppe jeden Tag bis zu 450 Einsätze durchführen. «Wir patrouillieren alleine oder gemeinsam mit der libanesischen Armee. Und wir versuchen, die Bevölkerung zu unterstützen.»
Viele der Bewohner der Dörfer im Süden sind wegen des Krieges geflohen. Sie sind bei Verwandten untergekommen oder in Behelfsunterkünften – etwa in einer Schule in der südlibanesischen Küstenstadt Sour, die jenseits der Kampfzone liegt. In unregelmässigen Abständen versorgen die Blauhelme die Zivilisten dort mit Lebensmitteln und Medikamenten.
Plötzlich geht der Alarm los
Die Flüchtlinge sind der Friedenstruppe gegenüber freundlich gesinnt. «Die Uno-Soldaten kümmern sich wenigstens um uns», sagt ein Feldarbeiter namens Hasan, der aus dem zerstörten Grenzdorf Ramyeh nach Sour geflohen ist. «Anders als der Staat, der uns komplett hängen lässt.» Der Mann, der nur seinen Vornamen nennen will, hat nach über zehn Monaten genug vom Krieg. Der Hizbullah zahle ihm zwar wie allen vertriebenen Familien jeden Monat 200 Dollar Unterstützungsgeld, sagt er. «Aber für meine elf Kinder reicht das nicht.»
Der Hizbullah ist unsichtbar und zugleich überall präsent. Dabei hatte der Uno-Sicherheitsrat nach dem Krieg von 2006 – als die bis dahin eher schwachbrüstige Uno-Mission aufgestockt wurde – die Resolution 1701 verabschiedet. Sie sah vor, dass der Hizbullah den Süden Libanons räumen und seine Waffen abgeben muss. Doch die Resolution wurde nie umgesetzt. Stattdessen ist die Schiitenmiliz immer stärker geworden und hat ihre Stellungen in der Grenzzone trotz Unifil-Präsenz sogar ausgebaut.
«Wir haben nicht das Mandat, den Hizbullah zu entwaffnen», sagt der Unifil-Sprecher Tenenti. «Unsere Aufgabe ist es, die libanesische Armee zu unterstützen.» Den Blauhelmen sind enge Grenzen gesetzt. Ihre Waffen dürfen sie nur zur Selbstverteidigung oder zum Schutz der Bevölkerung einsetzen. Hausdurchsuchungen sind der Truppe untersagt. Privatgrundstücke dürfen sie nicht betreten. So bleibt ihnen nicht viel anderes übrig, als inmitten widriger Umstände weiter zu patrouillieren und zu rapportieren.
Doch auch das wird immer schwieriger. Als der kleine Konvoi gegen Mittag auf einer Basis einer Einheit aus Ghana in unmittelbarer Grenznähe eintrifft, geht plötzlich der Alarm los. Entlang der blauen Linie – wie die provisorische Grenze zwischen Israel und Libanon offiziell heisst – sind wieder Kämpfe ausgebrochen. Über sechs Stunden sitzen die Italiener daraufhin im Posten der Ghanaer fest.
Sogar die Schildkröten haben einen Bunker
In den Hügeln rundherum beschiessen sich derweil der Hizbullah und die Israeli. Erst steigt Rauch von der israelischen Seite der Grenze auf. Wenig später donnert es auch in Libanon. Weisse Streifen erscheinen am Himmel. Kurz darauf brechen an den Hängen Brände aus. Die ghanaischen Offiziere beobachten die Szene von einem Wachturm aus. «Das sieht aus wie Phosphor», sagt Divine Asorkor, einer von ihnen. Hinfahren und überprüfen können die Soldaten die Angriffe nicht.
Während der sogenannten Alarmstufe 2 dürfen sie ihre Stützpunkte nicht verlassen. Bei Alarmstufe 3 müssen die Blauhelme in die Bunker. «Am Anfang war das furchteinflössend. Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt», sagen die Ghanaer, während sie die engen Schutzräume zeigen. Heute können sie wenigstens in ihrer Baracke bleiben. Dort gibt es Kaffee und ghanaisches Essen. Im Fernsehen läuft die Wiederholung des EM-Spiels Frankreich gegen Portugal.
Am späten Nachmittag beruhigt sich die Lage. Die Patrouille kann fortgesetzt werden. Die Jeeps quälen sich über Feldwege entlang der Grenzlinie. Ein paar Meter entfernt steht eine hohe Betonmauer, dahinter beginnt Israel.
Gleich an der Grenzmauer liegt die Basis 131, ein kleiner italienischer Beobachtungsposten, wo der Zugführer Omar al-Gohary mit rund dreissig Soldaten ausharrt. Immer wieder würden Splitter und Querschläger auf den Posten niedergehen, sagt der Offizier. «Wir verbringen deshalb Stunden in unseren Bunkern.» Sogar für die Schildkröten, die sie als Maskottchen halten, haben die Soldaten einen kleinen Schutzraum gebaut.
«Wir können nur das tun, was unser Mandat zulässt»
Trotz Beschuss denken die Uno-Soldaten aber bis anhin nicht daran, den Posten zu räumen. Sollte der Krieg jedoch eskalieren, würde das wohl unumgänglich. «Wir sind immer darauf vorbereitet», sagt Gohary. Mehr will er nicht verraten. Man habe Notfallpläne für alle Szenarien, sagt Tenenti, der Unifil-Sprecher.
Er rechnet damit, dass die Unifil trotz allen Schwierigkeiten in Südlibanon bleiben wird. «Vor Beginn der Kämpfe im Oktober haben wir viel zur Beruhigung beigetragen», sagt Tenenti. Man habe regelmässige Treffen zwischen israelischen und libanesischen Soldaten abgehalten und die Grenze markiert. «Wir hatten hier siebzehn Jahre lang relative Ruhe. Und das, obwohl sich die beiden Länder seit 1948 im Kriegszustand befinden.»
Auch deshalb spielt die Unifil in etwaigen Zukunftsplänen eine Rolle. Hinter den Kulissen versuchen etwa die Amerikaner derzeit zwischen Israel und dem Hizbullah zu vermitteln. Dabei wird erneut über eine Ausweitung der Blauhelm-Mission in Südlibanon diskutiert. Wieder einmal soll sie angeblich dafür sorgen, dass ein allfälliges Waffenstillstandsabkommen eingehalten wird – und einen möglichen Rückzug des Hizbullah überwachen.
Aber wie soll in Zukunft gelingen, was in der Vergangenheit gescheitert ist? Das seien Fragen, die die Politik beantworten müsse, sagt Tenenti. «Wir können nur das tun, was unser Mandat zulässt.» Dass sich der Uno-Sicherheitsrat – wo sich Amerikaner, Europäer, Russen und Chinesen derzeit unversöhnlich gegenüberstehen – auf ein robusteres Mandat für die Uno-Truppe einigen kann, ist unwahrscheinlich. Ebenso werden Staaten wie Italien, Spanien oder Ghana ihre Truppen wohl kaum gegen den Hizbullah in Stellung bringen wollen.
Die letzte Patrouille
Inzwischen ist es früher Abend, die italienische Patrouille macht sich auf den Heimweg. Antonio und Luigi steuern ihren Jeep über eine Schotterstrasse. Irgendwann kommt das Mittelmeer in Sicht. Wie ein silbernes Tuch glänzt es im Licht der untergehenden Sonne. Für die Italiener ist es ihre letzte Patrouille. In ein paar Tagen werden sie abgelöst.
Er werde mit seiner Mutter in die Ferien fahren, sagt Antonio, nach Griechenland. Ob ihm Libanon gefalle? Er wisse es nicht so recht, schliesslich sei er kaum je ausserhalb des Südens gewesen. Das Land scheine aber ein schöner Ort zu sein, trotz allen Problemen. «Irgendwann will ich noch einmal herkommen», sagt Antonio. «Aber nicht als Soldat, sondern als Tourist.»