Imke Wübbenhorst, Trainerin der YB-Frauen, ist nach ihrem Mutterschaftsurlaub zurückgekehrt. Auch wenn sie eine Pionierin ist: Es gibt Wichtigeres, als Vorbild zu sein.
Als Imke Wübbenhorst im Sommer vor drei Jahren nach Bern kam, hatte sie ein paar Koffer dabei und ihren Dalmatiner. Sie fuhr ein Mercedes Cabrio C-Klasse mit schwarzen Felgen und sah gut aus darin, coole Sonnenbrille, den Hund auf dem Nebensitz. Schnittige Autos mochte sie schon immer.
Vor ein paar Tagen rief Wübbenhorst ein paar Freundinnen in Cloppenburg an. Sie erzählte, dass sie ein neues Auto gekauft habe, einen Opel Zafira, eine Art Kleinbus, beliebt als Familienkutsche. Den Mercedes hat sie in Zahlung gegeben. «Wer bist du?», riefen die Freundinnen, «und was hast du mit unserer Freundin gemacht? Hast du sie gefressen? Spuck sie wieder aus!» So erzählt es Wübbenhorst.
Seit dem 6. Dezember ist die Norddeutsche Mutter eines Sohnes, sie lebt mit ihrem Partner und dessen zwei Söhnen im Teenageralter in einem Haus ausserhalb des Zentrums von Bern, die Einzimmerwohnung in Bahnhofsnähe hat sie aufgegeben. Gerade sei es anstrengend, weil das Baby erkältet sei und beim Stillen keine Luft kriege, erzählt Wübbenhorst, nachdem sie das Fahrrad parkiert und die Haare geordnet hat. Der Kleine ist zu Hause, ihre Mutter, die für zwei Monate aus Ostfriesland angereist ist, kümmert sich um Bendt. Im Sommer ist der Opa an der Reihe.
Vom alten Leben ist der Dalmatiner geblieben – und ihre Arbeit als Trainerin der YB-Frauen. Ihr Team hat eben die Qualifikationsphase der Meisterschaft gewonnen. Zum letzten Spiel am Samstag vor einer Woche gegen GC ist Wübbenhorst aus dem 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub zurückgekehrt. Hollywood hätte das Comeback nicht besser hingekriegt: Die Rekordkulisse mit 10 647 Zuschauerinnen und Zuschauern im Wankdorf, der knappe Sieg, die Qualifikation für den Europa-Cup, «Gefühle ohne Ende».
«Ich stelle nach Schwanzlänge auf»
Dass eine Fussballtrainerin ein Baby bekommt und während der Saison pausiert, ist in der Schweiz beispiellos und in anderen Ligen die Ausnahme. Wobei von den zehn Klubs in der obersten Liga nur drei von Frauen trainiert werden. «Im Fussball denken viele, sie seien unentbehrlich, sie könnten nie fehlen. Das ist der Mindset», sagt Wübbenhorst. Die Verantwortung abzugeben, ist auch ein Risiko. Was, wenn der Stellvertreter den Job besser macht?
Rolf Kirchhofer, die Vertretung und sportlicher Leiter der Frauenabteilung, hat gut gearbeitet: Alle fünf Spiele mit ihm wurden gewonnen. Allerdings hat er sich weitgehend auf Wübbenhorsts Arbeit gestützt und diese in ihrem Sinn weitergeführt. Das erleichterte die Übergänge. Als die Spielerinnen gefragt wurden, was sie gerne beibehalten würden von den Wochen mit ihm, nannten sie ein Detail im Trainingsablauf. Wäre es anders gewesen, hätte sie das als Chance gesehen, sich zu verbessern, sagt Wübbenhorst. Das spricht für ihr Selbstvertrauen – und ihre Erdung.
Zuversicht und eine gewisse Furchtlosigkeit ziehen sich durch ihr Leben. Wübbenhorst war oft die Erste: die erste Frau, die in Deutschland in einer höheren Liga Männer trainierte zum Beispiel. Das war 2019 in Cloppenburg. Damals erlangte sie Berühmtheit, als ihr nach unzähligen doofen Fragen der Kragen platzte. Ob sie eine Sirene auf dem Kopf trage, damit ihre Spieler schnell eine Hose anziehen könnten, bevor sie in die Kabine komme, wurde sie gefragt. Sie sagte: «Ich bin Profi. Ich stelle nach Schwanzlänge auf.»
Wübbenhorst war zwar Pionierin, aber eine ohne Botschaft. «Ich bin nicht so ein Role Model, wie es viele gern hätten», sagt sie. Bis sie in den Männerfussball kam, hielt sie es nicht für notwendig, Frauen speziell zu stärken. Sie hatte eine Ausbildung zur Lehrerin gemacht und die Welt als gleichberechtigt erlebt. Im Männerfussball jedoch hatte sie das Gefühl, sich ständig beweisen zu müssen. Und das häufig bei Männern mit Profilneurose und einer narzisstischen Persönlichkeit, wie sie sagt. Sexismus, Ausfälligkeiten von Fans waren an der Tagesordnung. Heute findet sie es wichtig, dass Frauen vorangehen. Aber ihre Energie wende sie für ihre Passion auf, das Trainersein. Es ist angewandter Feminismus – fühlen sich Frauen durch ihren Weg bestätigt, ist das eine positive Nebenwirkung.
In der Schweiz fiel sie vor gut einem Jahr auf, als ihr Team den Cup-Final gegen Servette verlor. Im Fernsehinterview bezeichnete sie die Spielweise der Genferinnen als «widerlich», der Schiedsrichterin, der «guten Frau», hätte sie gewünscht, dass diese den «Arsch in der Hose» gehabt und sich das Regelwerk mal durchgelesen hätte. Sie entschuldigte sich sofort, unvergessen ist ihre Wutrede trotzdem. Auch, weil sie so wahnsinnig unschweizerisch war.
Kommt Wübbenhorst in einen Raum, ist das wie ein Windstoss. Die 36-Jährige denkt schnell und antwortet fadengerade. Sie gibt einem das Gefühl, man könne alles fragen; ihre rote Linie muss irgendwo sein, wo sich Schweizer und Schweizerinnen aus Diskretionsgründen gar nie hintrauen. «Einschneidend», nennt Ernst Graf, der im YB-Verwaltungsrat für die Frauenabteilung zuständig ist, den Entscheid, Wübbenhorst nach Bern zu holen. «Hoppla, was kommt da auf uns zu», habe man sich gedacht. Längst ist die Verbindung von YB und Wübbenhorst eine Liebesgeschichte. Als sie der YB-Führung ihre Schwangerschaft kommunizierte, hatte diese laut Graf nur eine Befürchtung: dass sie so gerne Mutter sein würde, dass sie nicht zurückkehren wolle.
Die ersten Wochen nach der Geburt dachte Wübbenhorst nicht an Fussball. Sie sagt, sie habe schon immer das Gefühl gehabt, dass ihr Leben erfüllt sei. «Und auf einmal kam etwas dazu, das es noch besser machte, von dem ich gar nicht wusste, dass es fehlt.» Sie weinte vor Glück, weil sie dachte, wie perfekt alles gekommen sei, ohne dass sie es so angestrebt hatte.
Als sich der Moment der Rückkehr näherte, schlüpfte sie zurück in die Rolle als Trainerin – mit Haut und Haar. Das kann sie, weil sie weiss, dass der Kleine bei ihrer Mutter und ihrem Partner gut aufgehoben ist. Aber auch, weil YB ihr die Freiheit gibt, sich so einzurichten, wie es für sie stimmt. Eigentlich wollte sie bereits abgestillt haben. Nun stillt sie weiter. Ihre Mutter bringt das Baby, es trinkt irgendwo, sie seien da beide unkompliziert.
Üben, sich keine Vorwürfe zu machen
Die Geschichte von Wübbenhorst steht für die Veränderungen im Frauenfussball der letzten Jahre. Immer mehr Spielerinnen entscheiden sich, während der Karriere schwanger zu werden, das fordert Verbände und Vereine. Bei der AC Milan läuft der Vertrag einer Spielerin, die schwanger wird, automatisch ein Jahr weiter, um sie zu schützen. Laut Ernst Graf überlege man sich bei YB etwas Ähnliches. «Es gehört zum Frauenfussball, dass man Kinder bekommen und eine Familie haben kann», sagt er.
Ein Spagat wird es bleiben. Was das Schwierigste sei? «Sich selbst am Abend keinen Vorwurf zu machen», sagt Imke Wübbenhorst, «weil ich nicht da war, als mein Kind geschrien hat.» Und was passiert, sollte die Liebesgeschichte zwischen YB und ihr doch einmal zu Ende gehen? Männertrainer wechseln eben einmal schnell mit ihrer Familie Klub und Land. Wübbenhorst verdient im Frauenfussball zu wenig, um einfach alle mit auf die Reise zu nehmen und auszuhalten. Das ist sehr weit gedacht. Vorerst nagt an ihr, dass die Kita, in die ihr Sohn gehen wird, kein Plätzchen hat, wo Fussball gespielt werden kann.
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