Der illegale Goldabbau in Afrika ist ausser Kontrolle. Er vergiftet Flüsse und vernichtet Wälder – nirgendwo stärker als in Ghana. Besuch in einem Dorf, in dem der Goldrausch mehr als die Umwelt ruiniert.
«Das hier», sagt Chairman Ghana, «ist die Beute der letzten Tage.» Er hält eine Büchse in der Hand, in der ein Dutzend Goldklümpchen schimmern. Umgerechnet fast 2000 Franken seien diese wert, sagt er.
Der Mann, den sie Chairman Ghana nennen, heisst eigentlich Oduro Dankwa. Doch er hat nicht ohne Grund einen Spitznamen, der klingt, als wäre er der Präsident des Landes. Gold hat ihn zu einem der mächtigsten Männer im Dorf gemacht.
Noch vor zwei Jahren verdiente Dankwa sein Geld damit, an der Hauptstrasse des Dorfes Nyenase, das man in drei Minuten durchquert hat, Benzin zu verkaufen. Dann stieg er in das Geschäft ein, das das Dorf in den vergangenen Jahren auf den Kopf stellte.
Nyenase, vielleicht 6000 Einwohner, ist ein Dorf im Rausch. Neben dem Dorf frisst sich eine Kraterlandschaft immer weiter durch den Wald und die Felder der Bauern. Es sind die Minengruben des «Galamsey», wie sie den illegalen Goldabbau in Ghana nennen.
«Galamsey» hat hier dafür gesorgt, dass junge Männer Arbeit fanden, wo zuvor keine war. Dass Dorfbewohner neue Häuser und Ladenlokale bauen können. Dass Motorräder durch das Dorf brausen, dass Leute Autos besitzen. Und dass Oduro Dankwa inzwischen sechs Minen führt, vier Ladenlokale besitzt und mehr als sechzig Leute für ihn arbeiten.
Hunderttausende arbeiten in illegalen Goldminen
Der illegale Abbau findet nicht nur in diesem Dorf statt, sondern in fast allen Landesteilen Ghanas; er macht rund 40 Prozent der Goldförderung aus. Ghana ist das Land in Afrika, das am meisten Gold fördert. Und Afrika ist der Kontinent, der weltweit am meisten Gold produziert. Inzwischen arbeiten Hunderttausende von Ghanaern in illegalen Minen, denn Gold ist ein fabelhaftes Geschäft: Der Preis für das Edelmetall hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt.
Doch auch der Preis für den Goldrausch ist hoch. Im Oktober demonstrierten Tausende in der Hauptstadt Accra. Sie werfen der Regierung vor, sie habe den illegalen Goldabbau eskalieren lassen. So sehr, dass die staatliche Wasserbehörde meldet, zwei Drittel der Wasserquellen im Land seien durch Schwermetalle für Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Jahren verunreinigt. Diese kommen beim illegalen Goldabbau zum Einsatz, Quecksilber, Blei und Zyanid zum Beispiel. Ab 2030 werde man womöglich Trinkwasser importieren müssen.
Die Demonstranten haben etwas in Afrika Seltenes erreicht: Ein Umweltthema bestimmt den Wahlkampf. Am 7. Dezember finden in Ghana Präsidenten- und Parlamentswahlen statt. Verliert die Regierungspartei die Macht, dann auch, weil sie den kurzfristigen wirtschaftlichen Nutzen über die Zukunft des Landes gestellt hat.
Die Kolonisatoren nannten Ghana «Goldküste»
Der Goldabbau in Ghana ist Hunderte von Jahren alt. Schon die Kolonisatoren nannten die Region wegen ihres Reichtums «Goldküste». Doch der illegale Abbau ist erst im vergangenen Jahrzehnt hochgeschnellt und mit ihm alle negativen Folgen. Der Boom war getrieben von ausländischen Unternehmern, vor allem chinesischen, die Bagger und andere schwere Geräte einführten, wo Ghanaer zuvor mit Schaufeln oder von blosser Hand geschürft hatten. Er wurde weiter angekurbelt von einer Regierung, die Lizenzen immer freizügiger vergab. 1700 offizielle Minenkonzessionen verteilten die Behörden zwischen 2016 und 2024; in den zwanzig Jahren zuvor waren es 57 gewesen. Minenbetreiber besitzen oft eine legale Lizenz – und führen daneben illegale Minen.
Nyenase war bis vor wenigen Jahren ein gewöhnliches Bauerndorf: Felder mit Kakao und Cassava, fünf Schulen, ein Dutzend Kirchen. Vor drei Jahren nahm der Goldabbau auch hier Fahrt auf. Oduro Dankwa, der zuvor nur eine kleine Tankstelle betrieb, entdeckte die Minenarbeiter als Kunden. Diese brauchten Kraftstoff für ihre Generatoren. «Dann realisierte ich, dass ich mehr verdienen kann, wenn ich selber in ‹Galamsey› investiere», sagt er. Das war im Frühjahr 2023. Er übernahm die Mine eines Bekannten, der ihm Geld schuldete – und wurde in kurzer Zeit zu einer Schlüsselfigur im örtlichen Goldgeschäft.
Jeweils am frühen Morgen kommen junge Männer, angezogen wie Rapper in XXL-Kleidern, zu Dankwas Laden. Dieser gibt ihnen Benzin, das sie in den Minen brauchen, sowie Geld für Essen – allein dafür bis zu zehn Franken pro Tag, das ist mehr, als die allermeisten Ghanaer an einem Tag verdienen.
Um kurz nach neun Uhr zieht sich Dankwa, stets ein Bündel Geldscheine in der Hand und ein Handy am Ohr, einen leuchtend gelben Schutzumhang über, steigt auf ein Motorrad und fährt los, um seine Minen zu inspizieren. Die Fahrt vorbei an Kakao- und Cassava-Feldern dauert fünfzehn Minuten.
Oft ist die harte Arbeit nur mit Schmerzmitteln auszuhalten
Die jungen Männer in den Minen haben ihre Shirts ausgezogen, sie stehen am Grund der Krater, ihre Körper glänzen vor Schlamm und Schweiss, sie graben mit Schaufeln, Pickeln, von Hand. Sie lösen den Schlamm, in dem sich das Gold befindet, pumpen ihn mit dicken Schläuchen aus den Gruben, lassen ihn über Holzrutschen fliessen, auf die sie Türvorleger drapiert haben. In deren Borsten soll sich das Gold verfangen.
Es ist eine brutale Arbeit, Generatoren röhren ohne Pause. Manche Arbeiter sind erst 15 Jahre alt. Viele von ihnen halten sich wach mit Tramadol, einem stark abhängig machenden Schmerzmittel.
Oduro Dankwa eilt von einer Grube zur nächsten, sein leuchtend gelber Umhang weht hinter ihm her wie der eines Feldherrn, der das Schlachtfeld inspiziert. Einmal hält er kurz inne, dreht sich um und sagt: «Das alles ist mir.»
Von Quecksilber verseuchte Böden
Das hier war einmal ein tropengrünes Paradies. Nun ist es eine schlammfarbene Hölle. An manchen Orten schlängeln sich Rinnsale von Quecksilber violett über den Boden.
Das ist der ökologische Preis, den Nyenase dafür bezahlt, dass die jungen Männer Arbeit haben. Der illegale Goldabbau vergiftet, was einst fruchtbares Land war. Die Chemikalien, die die Minenarbeiter verwenden, verursachen ausserdem Atemwegserkrankungen, Hautausschläge, Durchfall, längerfristig auch Krebs. Beim lokalen Gesundheitsposten sagt die Krankenpflegerin: «Sie verdienen Geld. Dann kommen sie hierher und geben es aus, um sich behandeln zu lassen. Hat das Sinn?»
Das Gold vergiftet auch die Gesellschaft. Ein Lehrer sagt: «Sie respektieren uns nicht mehr.» Ein gewöhnlicher Minenarbeiter kann in einer Woche so viel verdienen wie ein Lehrer in einem Monat. Der Lehrer sieht frühere Schüler durch das Dorf schlendern; statt zum Unterricht zu kommen, gehen sie in die Minen arbeiten. Er kennt minderjährige Mädchen, die schwanger werden, weil sie sich beeindrucken lassen vom Geld, mit dem junge Männer um sich werfen.
Doch keine Gruppe im Dorf wurde härter getroffen als die Bauern. Sie waren einst die Wirtschaftskraft hier. Nun arbeiten ihre Kinder lieber in den Minen, als Kakao zu pflanzen. Und die Bauern können keine Helfer mehr beschäftigen, weil diese Löhne verlangen wie die Minenarbeiter.
Landbesitzer verdienen mehr mit Minen als an Bauern
Francis Sam ist einer der Wortführer der Bauern in Nyenase. Er arbeitete einst bei einer Bank, wurde dann Bauer, um sein eigener Chef zu sein. Am Morgen will er zeigen, wie der Goldabbau seine Existenz gefährdet. Er fährt mit dem Motorrad denselben Pfad entlang, den Chairman Ghana genommen hat. Er überholt junge Männer, die Getränke und Schaufeln zu den Minen schleppen. Der 61-jährige Sam ist eigentlich ein vergnügter Mensch, doch nun ist er wütend.
«Siehst du, wie sie meine Felder zerstört haben?», fragt er und zeigt mit einer Machete auf die Minenkrater. Sam sagt, der Landbesitzer trete die verpachteten Felder nach und nach an die Goldschürfer ab. An diesem Ort heisst das: an Oduro Dankwa alias Chairman Ghana. Der bezahlt besser als die Bauern.
Seit zwei Jahrzehnten betreibt Francis Sam hier Landwirtschaft, kultiviert Kakaobäume und Ölpalmen. Fast 500 Palmen standen auf drei Hektaren, manche davon hat er selber gepflanzt. Nun verschlingen die Minengruben immer mehr Bäume. Und mit ihnen den sozialen Status der Bauern.
Nana Nkwantabisa, der Dorfvorsteher von Nyenase, sagt: «Ich versuche mit den Minenarbeitern zu reden, ihnen zu erklären, dass das Geld, das sie verdienen, kurzlebig ist. Aber Geld ist mächtig.» Was Nkwantabisa nicht sagt, ist, dass auch er der Macht des Geldes erlegen ist. Die Goldgräber brauchen seine Einwilligung, um Acker in Minen umzuwandeln, er verdient Provisionen.
Der illegale Goldabbau konnte in Ghana die Umwelt zerstören und Gemeinschaften zerrütten, weil Autoritäten auf allen Ebenen profitieren. Von traditionellen Dorfchefs bis zu Politikern in der Hauptstadt Accra.
Das Versagen des Staates
In der Hauptstadt ziehen einflussreiche Politiker die Fäden im illegalen Goldgeschäft. So dokumentiert es zum Beispiel ein Bericht, den die Regierung unter Verschluss halten wollte, der dann aber doch öffentlich wurde. Manche behaupten, Ghana funktioniere wie ein Narco-Staat, in dem das Rauschgift die Politik bestimmt.
Oliver Barker-Vormawor ist ein ghanaischer Anwalt und Aktivist, der die Proteste gegen den illegalen Goldabbau in den vergangenen Monaten mit organisiert hat. Deswegen landete er für mehrere Wochen im Gefängnis, nicht zum ersten Mal. Bei einem Gespräch in seiner Kanzlei in Accra sagt er: «Der illegale Goldabbau ist die Folge davon, dass es dem Staat nicht gelungen ist, wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen.»
Ghana hat wie die meisten afrikanischen Länder eine junge Bevölkerung, die mit Arbeitslosigkeit kämpft. Das Land befindet sich zudem in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Regierung kann es sich gar nicht leisten, Hunderttausenden von jungen Menschen die Lebensgrundlage zu entziehen, die sie in den Minen gefunden haben. Deshalb auch blieb das Vorgehen der Regierung gegen die Proteste halbherzig.
«Solange es Gold ist, kaufen wir»
Im Dorf Twifo Praso unweit von Nyenase verkaufen die «Galamsey»-Betreiber ihr Gold. Die Händler sitzen mit Feinwaagen in kleinen Shops, es kümmert sie nicht, dass das Gold meist illegal geschürft wurde. Einer sagt: «Solange es Gold ist, kaufen wir.»
Über mehrere Zwischenhändler gelangt das Gold ins Ausland, vieles davon landet in Dubai. Auch die Schweiz, die eine stärkere Regulierung hat als die Arabischen Emirate, ist eine der grössten Abnehmerinnen afrikanischen Goldes. Laut einer Studie der Schweizer Nichtregierungsorganisation Swissaid vom Mai hat sich die Menge des aus Afrika exportierten, nicht deklarierten Goldes zwischen 2012 und 2022 verdoppelt. Allein 2022 wurde Gold im Wert von 31 Milliarden Dollar aus dem Kontinent geschmuggelt.
Ist die Entwicklung noch aufzuhalten?
Heile Welt im Nachbardorf?
Gleich neben Nyenase gibt es eine andere Welt. Das Nachbardorf Adugyaa hat etwa 2000 Bewohnerinnen und Bewohner, am Dorfrand windet sich ein Fluss durch einen Bambuswald. Es gibt keine Minenkrater und keine Generatoren. Stattdessen singen Vögel. In Adugyaa lassen die Dorfvorsteher «Galamsey» nicht zu. Einer von ihnen sagt: «Wir wollen das saubere Wasser und das Land unserer Vorväter nicht zerstören.»
Doch Adugyaa ist keine heile Welt. Das Dorf ist, was Nyenase vor einigen Jahren war. Das Wasser ist sauber, der Wald intakt. Doch viele der Hütten im Dorf sind aus Lehm statt Zement. Es gibt nur wenige Läden, kaum Motorräder und nicht einmal eine Krankenstation.
Auf einer Steinbank sitzen zwei Männer. Einer von ihnen, Stephen Avadze, ist 34 und sagt: «Wir wissen, dass ‹Galamsey› das Wasser und die Felder verschmutzt. Aber wir brauchen das Geld.» Sobald man auch in ihrem Dorf Gold abbauen dürfe, wollen sie mitmachen. In Adugyaa haben die Dorfvorsteher die meisten Bewohner gegen sich, wenn sie «Galamsey» weiterhin verbieten.
Gibt es Entwicklung in Ghana gerade nur um den Preis der Zerstörung?
Ghanas wichtigste Oppositionspartei, NDC, hat tatsächlich versprochen, den Goldabbau stärker zu regulieren. Es ist möglich, dass die Partei die Wahl am Samstag gewinnt. Nur haben schon mehrere Regierungen versprochen, den illegalen Goldabbau in den Griff zu bekommen. Doch das Rauschgift Gold ist übermächtig. Ein Goldgräber in Nyenase sagt: «Welche Regierung auch immer an der Macht ist, wir müssen Gold schürfen, um essen zu können.»