Komfortabler für den Passagier, günstiger im Betrieb: In Flims steht eine Gondelbahn, die alles anders machen will. Aber der Hersteller Bartholet kämpft mit der Technik. Und den Fahrgästen.
Manchmal beginnen Revolutionen, wenn alles stillsteht. So wie beim Flemxpress, einer neuen Gondelbahn in Flims. Wer dort einsteigt, dem fällt auf: Die Kabine steht still. Normalerweise fahren Gondeln zum Ein- und Aussteigen langsam durch eine Station. Fahrgäste drängen hinaus und hinein, oft wird es hektisch. Die Flemxpress-Gondeln warten auf den Gast.
Was simpel klingt, stellt die Seilbahn-Welt auf den Kopf. Und nicht nur das: Die Passagiere können per Knopfdruck selbst auswählen, wohin die Fahrt gehen soll. Die Gondeln mit zehn Sitzplätzen steuern gezielt eine der fünf Stationen an und nehmen auf dem Weg keine weiteren Passagiere auf. Erst am Ziel öffnen sich die Türen. Bei normalen Gondelbahnen tun sie das an jeder Zwischenstation. Wer drin sitzt, hofft insgeheim, dass niemand zusteigt.
Wie ein Taxi am Seil – das gab es noch nie
All das macht den Flemxpress zur Weltneuheit. Und zur Mammutaufgabe. Er ist das anspruchsvollste Projekt, das der Seilbahnhersteller Bartholet aus Flums im Sarganserland je gebaut hat. Er nennt es Ropetaxi – ein Taxi am Seil. Denn auch ein Taxi bringt seine Fahrgäste direkt ans Ziel, ohne dass jemand zusteigt. Der Flemxpress ist die Premiere des Konzepts.
Doch manchmal scheitern Revolutionen, wenn alles stillsteht. Der erste Abschnitt wurde pünktlich zum Weihnachtsgeschäft 2023 eröffnet – aber vieles ging schief. Immer wieder stand die Bahn still, weil der Fluss der Gondeln in den Stationen stockte. Die Fahrzeit zog sich in die Länge, manche Gäste sassen eine Stunde oder mehr in den Kabinen.
«Wir hatten im ersten Jahr einen sehr intensiven Start», gibt Markus Menzi zu, der Chef von Bartholet. Ständig mussten die Ingenieure Nachtschichten einlegen. Seit Weihnachten 2024 ist der zweite von drei Abschnitten der Bahn in Betrieb. Auch in diesem Winter hakte es, aber insgesamt lief der Betrieb deutlich besser. Auch in den gerade beendeten Sportferien.
Die Chinesen warten nicht: Seilbahnen brauchen Innovationen
Zum Glück. Für Bartholet steht viel auf dem Spiel. «Wenn diese Bahn scheitert, wäre das ein sehr grosser Reputationsschaden», sagt Menzi. Aber wenn sie funktioniert, hat das Unternehmen mit knapp 400 Mitarbeitern und fast 90 Millionen Franken Jahresumsatz ein weltweit einmaliges Vorführobjekt.
Bartholet ist seit 2022 Teil der Südtiroler Unternehmensgruppe HTI, zu der auch der Seilbahnbauer Leitner gehört. HTI steht in Konkurrenz mit dem Zusammenschluss von Doppelmayr aus Vorarlberg und Garaventa aus Goldau. Zusammen beherrschen sie den Seilbahnmarkt.
Aber die Vormacht des Alpen-Duopols ist nicht in Stein gemeisselt: Auch chinesische Hersteller können inzwischen Standard-Seilbahnen bauen. «In ihren Heimatmarkt nehmen sie bereits eine starke Position ein», sagt Menzi. Daraus folgt für ihn: «Wir müssen uns auch in Zukunft weiterentwickeln, um uns abzuheben und weiterzukommen.» Zum Beispiel, indem man Taxis ans Seil hängt.
Das sieht auch Reto Gurtner so, der Verwaltungsratspräsident der Weisse Arena AG. Gurtner ist der unternehmerische Kopf hinter dem Aufstieg von Flims, Laax und Falera zu einem der renommiertesten Skigebiete der Alpen. «Für Bartholet kann das eine existenzielle Frage sein. Aber wenn wir auf den Mond fliegen können, dann werden wir auch das hier hinkriegen», sagt Gurtner mit Blick auf die Anlaufschwierigkeiten. Es brauche nur noch ein paar technische Anpassungen.
Die Seilbahn hat ein Seil – der Rest ist neu
80 Millionen Franken hat der Flemxpress gekostet. Doch selbst nach zwei Jahren Planung war die Praxis komplizierter als gedacht. Das liegt an der Technik. Normalerweise werden die Gondeln im Schritttempo durch die Stationen geschoben, zum Beispiel von sich drehenden Reifen oder einer Art Zahnrädern.
Der grosse Unterschied beim Flemxpress: Diese Mechanik fehlt. Stattdessen fahren die Kabinen mit ihrem eigenen Antrieb auf der Schiene entlang, an der sie hängen. Wie ein kleines Taxi. Unter dem Boden ist eine Batterie montiert, auf dem Dach sind zwei Elektromotoren.
Weil jede Gondel autonom fährt, lässt sie sich über Weichen individuell steuern. Sie kann direkt durch die Station fahren. Oder die Ausfahrt zu einem Haltepunkt nehmen, um Gäste aus- und einsteigen zu lassen. Sie kann auch wenden und sich in die Gegenrichtung einfädeln. Oder in eine Wartespur abbiegen, wenn sie leer ist und nicht gebraucht wird. Wie bei einer echten Taxischlange.
Doch diese Komplexität schafft Probleme. Die Betriebssoftware wird immer noch laufend verbessert, denn es müssen zur richtigen Zeit genug Kabinen am richtigen Ort sein. Sie müssen auch schnell genug wieder losfahren, damit es keinen Stau gibt. Bei einer normalen Gondelbahn hängen die Kabinen einfach am Seil und fahren den ganzen Tag hoch und hinunter. Das ist deutlich simpler.
Aber auch deutlich ineffizienter, weil die Kabinen die meiste Zeit leer sind. Beim Ropetaxi geht eine Gondel nur auf die Reise, wenn ein Fahrgast sie braucht. Das soll die Energiekosten um bis zu 50 Prozent senken. Es reduziert auch den Wartungsbedarf, denn weniger Fahrten bedeuten weniger Verschleiss. Ohnehin kommen die Stationen mit weniger Mechanik aus.
Wenn der Fahrgast zum Problem wird
Auch der Personaleinsatz ist günstiger: Nur zwei speziell ausgebildete Mitarbeiter steuern den gesamten Betrieb von einer hochmodernen Leitstelle aus. Im Idealfall. Derzeit müssen bisweilen noch Kollegen bei der Einweisung der Gäste an der Talstation helfen. Denn Menschen machen das komplexe System noch komplexer.
Zum Beispiel, wenn sie irrtümlich das falsche Ziel gewählt haben und dann nicht in die Kabine steigen. Oder wenn sie sich beim Aussteigen zu viel Zeit lassen und die Kabine warten muss, obwohl sie woanders gebraucht wird. Eine normale Gondel, die im Schritttempo durch die Station fährt, kennt da kein Erbarmen.
Die erhofften Einsparungen bei den Betriebskosten sind es, die Gurtner vom Ropetaxi überzeugt haben. Denn sonst wäre die Bahn auf dieser Strecke nicht rentabel. Das Geld verdienen die Bergbahnen im Winter, aber die neue Bahn bringt Gurtner keinen zusätzlichen Kilometer Piste. Sie liegt am Rand des Skigebiets, bedient Restaurants und das Skischul-Areal. Auch hier gibt es einen morgendlichen Ansturm, aber andere Bahnen im Skigebiet tragen grössere Lasten.
Der Flemxpress hat eine andere Aufgabe: Er ist vor allem für den Sommer gedacht. Wenn der dritte und letzte Bauabschnitt vollendet ist, fährt die Bahn auch auf den Cassonsgrat, nahe an die Tektonikarena Sardona und die Glarner Hauptüberschiebung. Durch diese Verzweigung im letzten Streckenabschnitt erreichen Sommergäste ein reizvolles Ausflugsgebiet – immer an der Flem entlang, dem namengebenden Fluss.
Dieser Teil soll im Sommer in Betrieb gehen. Dann wird die Bahn sieben Kilometer lang sein und insgesamt sechs Stationen zählen. Die Gemeinde Flims wünschte sich, dass der Cassonsgrat erschlossen wird – und beteiligte sich deshalb mit 20 Millionen Franken an dem Bau. Ohne den Beitrag der Gemeinde hätte Gurtner, der primär auf das Wintergeschäft setzt, den Flemxpress nicht errichtet.
Ein Kind der Pandemie
Ohne die Corona-Pandemie auch nicht. «Wenn Corona nicht gekommen wäre, stünde hier jetzt eine grosse Pendelbahn», sagt Gurtner. Doch im Jahr 2020, am Anfang der Pandemie, schien es ihm undenkbar, dass sich Dutzende Menschen jemals wieder freiwillig in die Grosskabine einer Pendelbahn zwängen würden. Heute hätte er diese Bedenken wohl nicht mehr. Damals gaben sie den Ausschlag, bei der Planung auf eine Bahn mit Kleinkabinen zu setzen.
Doch damit diese Bahn betriebswirtschaftlich Sinn ergibt, muss sie effizienter sein als eine normale Gondelbahn. Nun zahlte es sich aus, dass Gurtner und Roland Bartholet, heute noch Verwaltungsratspräsident des Seilbahnbauers, sich gut kennen. Bartholet zog die Idee für das Ropetaxi aus der Schublade – eine Idee, die das Unternehmen einst für eine nicht realisierte Stadtbahn in Dubai entworfen hatte.
In Dubai ist immer Sommer, und im Sommer funktioniert auch das Ropetaxi in Flims. Aber wenn viele Skifahrer auf den Berg wollen, stockt es. Auch wegen der Konstruktion: zum Beispiel, weil vom Berg kommende Kabinen an den Zwischenstationen wenden und sich in der Gegenrichtung einfädeln müssen, wenn Passagiere aus- oder einsteigen sollen. Der Zugang ist nur auf einer Seite der Stationen. Darum werden im Winter auf der Talfahrt manche Ausstiege gesperrt.
Im nächsten Winter soll versucht werden, den Flemxpress in der morgendlichen Rushhour wie eine normale Gondelbahn zu betreiben, bei der die Kabinen stur im Kreis fahren. Ist der Ansturm vorbei, wird das Ropetaxi-System eingesetzt. Bartholet hofft, diese Elemente auch bei anderen Bahnen verwenden zu können und so ein hybrides Betriebsmodell zu etablieren. Zum Beispiel für den Einsatz in Städten. Überall dort, wo sich Stosszeiten und Zeiten mit wenig Andrang abwechseln.
Reine Ropetaxis wird Bartholet wohl nicht en masse verkaufen. Aber wie sagt der Volksmund: Wer auf den Gipfel will, muss auch durch das Tal.