Der Tweet von Katrin Göring-Eckardt zeigt: Die Hemmungen sind gering, den Fussball politisch auszuschlachten.
Der Achtelfinal an der Fussball-Europameisterschaft ist den deutschen Gastgebern nicht mehr zu nehmen. Gegen die Schweiz geht es am Sonntag in Frankfurt um den Gruppensieg. Der überzeugende, jedoch viel Aufwand erfordernde Auftritt gegen die Ungarn beim 2:0 löste allerlei Begeisterung aus. So auch bei einer Politikerin der Grünen: Katrin Göring-Eckardt, die seit langem zum Spitzenpersonal der Partei zählt, verbreitete auf dem Netzwerk X: «Diese Mannschaft ist wirklich grossartig. Stellt euch kurz vor, da wären nur weisse deutsche Spieler.»
FDP-Chef empfahl Löschung der Nachricht
Es bedurfte keiner seherischen Gabe, um zu erkennen, dass eine solche Nachricht Anstoss erregen wird. Und so fanden sich nicht wenige Kommentatoren, die den Tweet als rassistisch einordneten. «Ich finde es wirklich bedenklich, wenn Menschen in Deutschland nach ihrer Hautfarbe bewertet werden. Die Kollegin sollte diesen Text schnell löschen», schrieb etwa der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki und setze damit den Ton. Die Einlassung der Grünen Spitzenpolitikerin, so hiess es allenthalben, sei blanker Rassismus.
Nur braucht es diesen Vorwurf nicht einmal, um den Tweet für ein Skandalon zu halten. Er illustriert, wie gering mittlerweile die Hemmungen sind, jedes beliebige Ereignis für die eigene politische Agenda auszuschlachten. Und in diesem Sinne ist ein solcher Post vor allem eines: Demagogie.
Habe meinen Tweet gelöscht. Tut mir leid, wie ich formuliert habe. Mich hat aufgeregt, dass 21% der Deutschen es besser fänden, wenn mehr “Weiße” in der Nationalmannschaft wären. Ich bin stolz auf diese Mannschaft und wünsche mir, dass wir auch die 21% noch überzeugen. pic.twitter.com/wEFBOl3bq1
— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) June 19, 2024
Innert kurzer Zeit wurde die Nachricht mehr als anderthalb Millionen mal angezeigt, und es dauerte auch nicht lange, bis die Grünen-Politikerin merkte, was sie angerichtet hatte: Es tue ihr leid, schrieb sie wenig später, doch da war es schon zu spät. Sie unterlegte ihre Relativierung mit einer Umfrage des WDR, wonach sich 21 Prozent der Bundesbürger mehr Nationalspieler weisser Hautfarbe wünschen. Eben diese Umfrage hatte im Deutschen Fussball-Bund (DFB) vor einigen Wochen wenig Anklang gefunden; der Nationaltrainer Julian Nagelsmann war erbost und sagte, er wolle nie wieder eine solche «Scheiss-Umfrage» lesen.
Nagelsmann war nach der WDR-Umfrage erbost
Aus der Perspektive eines Trainers ist diese Kritik verständlich. Alles, was die Vorbereitung auf ein Turnier stört, passt ihm nicht in den Kram. Nagelsmann hatte in einem Punkt allerdings durchaus recht: Schon die Fragestellung der Umfrage verdeutlicht eine in Deutschland mittlerweile extreme Fixierung auf die Identität von Menschen. Der ursprüngliche Tweet der Grünen-Politikerin ist der beste Beleg für Nagelsmanns Annahme.
Vor allem aber zeigt eine solche Einschätzung, wie wenig vom Fussball oft begriffen wird: Gerade in der Kabine spielt die Herkunft keine grosse Rolle. Wer dieses deutsche Nationalteam gegen Ungarn spielen sah, der sah eine äusserst harmonisch zusammengesetzte Mannschaft, die ihren Gegner deutlich in die Schranken wies. Fussballspieler sind genauso wie ihre Trainer äusserst opportunistisch: Sie akzeptieren diejenigen, die spielerisch zu ihnen passen, und die die nötige Leistung erbringen.