Die ehemalige Banca del Gottardo von Mario Botta gehört zu den bekanntesten Bauten im Tessin. Der Kanton will das Gebäude kaufen und die Gerichte dort einquartieren. Der Widerstand ist beträchtlich.
Rund 80 Millionen Franken will der Kanton Tessin in den Erwerb der ehemaligen Banca del Gottardo im Zentrum von Lugano investieren. In dem zwischen 1984 und 1988 erbauten Gebäude des Tessiner Architekten Mario Botta soll eine neue «Stadt der Justiz» entstehen, die sogenannte Cittadella della giustizia.
Doch der Widerstand gegen das Projekt ist gross. Die Gegner sprechen von «Geldverschwendung», die sich der Kanton nicht leisten könne. Die Befürworter sehen im Erwerb hingegen eine einmalige Chance, die logistischen Probleme der Tessiner Justiz zu lösen. Denn der bestehende Justizpalast aus den 1960er Jahren, daran besteht allgemein kein Zweifel, muss dringend totalrenoviert werden.
Nach jahrelangem Hin und Her hat der Tessiner Grosse Rat im Februar entschieden, das Gebäude für 76 Millionen Franken zu erwerben. Zum Kaufpreis der Immobilie kommt ein Planungskredit über 6,44 Millionen Franken. Dieser ist nötig, um aus dem Bank- ein Justizgebäude zu machen und ein Provisorium zu schaffen, das die Renovation des bestehenden Justizgebäudes ermöglicht.
«Mehr Personal, nicht luxuriöse Räumlichkeiten»
Aufgrund eines Finanzreferendums hat das Volk nun am 9. Juni das letzte Wort. Abgestimmt wird einzig über die gut 80 Millionen Franken für Ankauf und Planungskredit. Doch der Immobilienkauf ist nur der erste Schritt einer umfassenden Erneuerung des Justizstandortes in Lugano, der auf mehr als 200 Millionen Franken veranschlagt wird.
Die Gesamtkosten umfassen den Kauf und den Umbau des Gebäudes sowie die Sanierung des bisherigen Justizgebäudes. Im umgebauten Botta-Gebäude sollen alle Gerichte unter einem Dach vereint werden. Die Strafverfolgungsbehörden sollen im renovierten Justizpalast ihr Zuhause finden. Der Zeitrahmen: 2030.
Gegen den Kauf der ehemaligen Banca del Gottardo sprechen sich die SVP und die Grünen aus. Im Nein-Komitee finden sich auch Exponenten der neuen Formationen Avanti und HelvEthica. Sie halten den Preis für überrissen, zumal sich der Kanton in einer finanziell schwierigen Lage befinde. Für die SVP-Grossrätin Roberta Soldati handelt es sich um eine Investition an falscher Stelle: «Die Justiz braucht mehr Personal, um ihre Probleme zu lösen, aber nicht luxuriöse Räumlichkeiten.»
Symbol des schleichenden Niedergangs
Das Ja-Komitee wird von der FDP-Grossrätin Natalia Ferrari koordiniert. An ihrer Seite weibeln der Stadtpräsident von Lugano, Michele Foletti (Lega), der Stadtpräsident von Bellinzona, Mario Branda (SP), oder auch der ehemalige Justizminister Luigi Pedrazzini (Mitte). «Die Justiz und damit die dritte Gewalt im Kanton Tessin brauchen einen würdigen Sitz», sagt Ferrari, die selbst schon als Staatsanwältin gearbeitet hat. Die jetzigen Verhältnisse seien eine Schande.
Der Kaufpreis ist laut Befürwortern fair, was etliche Gutachten bestätigt hätten. Vor allem aber müsste der Kanton ohne einen Ankauf des Gebäudes auf Dauer viel Mietzins für ausgelagerte Abteilungen bezahlen, was am Ende wesentlich teurer käme als die Investition in den Palazzo Botta.
Das Gebäude ist eine Ikone für die Boomjahre des Bankenplatzes Lugano mit dem Geschäft des Private Banking. Inzwischen ist es auch ein Symbol des schleichenden Niedergangs und der Umwälzungen in der Tessiner Finanzmetropole. Nach mehreren Eigentümerwechseln wurde die Banca del Gottardo 2007 von der Banca della Svizzera Italiana (BSI) übernommen und verschwand 2008 aus dem Handelsregister.
Die BSI ihrerseits, die älteste Bank im Tessin, geriet in den Strudel der Korruptionsaffäre um den malaysischen Staatsfonds 1MDB und wurde 2016 von der Finanzmarktaufsicht (Finma) wegen Verstosses gegen Geldwäschereivorschriften liquidiert. Die BSI wurde schliesslich in die Zürcher Privatbank EFG integriert, deren Logo heute auf dem Gebäude prangt.
Es entbehrt angesichts dieser Vorgeschichte nicht einer gewissen Ironie, dass das ikonische Bankengebäude nun zum Symbol der Justiz werden soll. Für den Erbauer Mario Botta ist entscheidend, «dass das Gebäude einen öffentlichen Charakter beibehält», wie er im Gespräch mit der NZZ sagt. Er habe den Sitz der Banca del Gottardo damals auch mit dem Ziel entworfen, der Stadt ein neues Bild zu geben. Dazu gehört ein Boulevard, der sich vor der Längsseite dem Viale Stefano Franscini entlangzieht und die Nord-Süd-Achse der Stadt markiert.
Für die EFG-Bank bringt die Veräusserung des Gebäudes nicht nur willkommene Einnahmen, es entfallen auch die hohen Unterhaltskosten. Wie ein EFG-Sprecher auf Anfrage sagt, besitzt die Bank noch zwei weitere Gebäude in Lugano, die momentan nicht genutzt würden. Für die rund 500 Angestellten gebe es dort genug Platz.