Männer, die Frauen töten: Sie dominieren jede Statistik zu häuslicher Gewalt. Jetzt ist ein 80-jähriger Serbe in einem aufsehenerregenden Fall verurteilt worden.
Sie hat alles getan, was Frauen wie ihr gern geraten wird. Sie hat die Scheidung eingereicht, ist mit ihren Kindern umgezogen, hat Anzeige gegen ihren Ex-Partner erstattet.
Sie fürchte sich vor ihm, sagt sie einem Polizisten. Er werde ihr etwas antun, sagt er am Telefon, ebenfalls zu einem Polizisten.
Wenig später ist sie tot, hingerichtet, mit sechs Schüssen aus einem Revolver. Abgefeuert vom Grossvater ihres Ex-Mannes, der extra dafür aus Serbien in die Schweiz gereist ist. Ihr jüngstes Kind, 19 Monate alt, muss die Tat mit ansehen. Eine Nachbarin wird das Mädchen kurz danach weinend auf dem Sofa sitzend finden, neben der Leiche ihrer Mutter.
Darija Nikolic (Name geändert) ist 32, als sie getötet wird. Sie ist KV-Absolventin und hat drei Kinder mit einem Mann, der vorbestraft ist und wegen einer Einreisesperre nicht mehr in die Schweiz reisen darf. Fünf Jahre hat sie bei seiner Familie in Serbien gewohnt. Es ist eine Zeit, in der sie nach eigenen Angaben immer wieder geschlagen wird, in der sie die Familie ihres Mannes bedienen und den Grossvater pflegen muss.
Derselbe Grossvater, der an einem Dienstagmorgen im Februar 2021 vor ihrem Haus steht, einem Wohnblock in Winterthur. Wer da sei, fragt Nikolic laut Zeugenaussage des Kindermädchens in die Gegensprechanlage. «Deda», sagt er. Serbisch für: Grosspapa.
Oben in der Wohnung serviert sie ihm einen Kaffee, seine DNA wird später auf einer Tasse festgestellt. Er geht aufs Klo, wo Polizisten später drei Ersatzpatronen finden werden, sorgfältig in Alufolie gehüllt. Dann verlässt das Kindermädchen die Wohnung, um Wäsche zu Waschen. Und er – so die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage – schiesst sie nieder, während sie auf ihrem Sofa sitzt.
Alle paar Wochen eine Tote
Der Mord an Darija Nikolic, die sich vom Terror ihres Ex-Mannes befreien wollte, ist kein Einzelfall. Erst diese Woche präsentierte der Bund dazu die jüngsten Zahlen. 21 127 Straftaten im Bereich häusliche Gewalt gab es vergangenes Jahr schweizweit. In 26 Fällen endeten sie tödlich.
Dabei gilt, für 2014 wie im langjährigen Schnitt: In den allermeisten Fällen sind die Opfer weiblich, die Täter männlich. Das heisst: Alle paar Wochen wird in der Schweiz eine Frau im Kontext häuslicher Gewalt getötet.
Bei den Opfern von häuslicher Gewalt sind dabei die Ausländerinnen, bei den Beschuldigten die Ausländer übervertreten.
Frauenmorde – auch bekannt als Femizide – sind in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Politikum geworden. Am Montag hat eine Allianz von Nichtregierungsorganisationen und linken Parteien dem Bundesrat eine Petition zum Thema übergeben. Die über 20 000 Unterzeichnenden fordern mehr Mittel – konkret 350 Millionen Franken – für die Bekämpfung von Gewalt an Frauen.
Im November, als sie einen Massnahmenplan zur Bekämpfung des Phänomens vorstellte, bezeichnete auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider die Situation als «unerträglich». 20 Mal am Tag müssen Polizeieinheiten in der Schweiz wegen häuslicher Gewalt ausrücken. Immer wieder komme es zu Todesfällen.
Der Fall von Darija Nikolic zeigt, welche Motive hinter solchen Taten stecken. Ihr Mörder muss sich am Dienstag vor dem Zürcher Obergericht verantworten. In früheren Einvernahmen hatte er erklärt, weshalb er die Reise in die Schweiz unternahm: um die «Ehre» der Familie wiederherzustellen, die Nikolic mit ihrer Trennung angeblich beschmutzt hatte.
Auch vor Gericht sagt er über sie: «Die Leute haben gelacht und gesagt, sie sei eine Schlampe, eine Hure.»
Er selbst habe das natürlich nicht gedacht, fügt er an. «Entschulden Sie, dass ich solche Worte brauche.» Über sein Opfer, das er in der Vergangenheit wahlweise mit Jesus Christus verglichen und als geldgierig bezeichnet hat, will er sonst nichts mehr sagen. Auch seine Beweggründe will er nicht weiter erläutern.
Warum, fragt ihn die vorsitzende Richterin. Die Antwort: «Ich möchte nicht lügen.»
Eine Frage stellt er aber doch noch in den Raum, anklagend an die Tote gerichtet: «Warum hat sie aus mir einen solchen Menschen gemacht?»
Entweder Heilige – oder «Hure»
Das Opfer als Täter, Frauen als Eigentum, die «Familienehre» als legitimes Motiv: Es sind solche patriarchalen Denkmuster, die gemäss Experten hinter vielen Fällen häuslicher Gewalt stehen. Ebenso wie die Vorstellung, die eigene Tochter, Frau oder Ex-Partnerin könne nur etwas sein: entweder Heilige – oder «Hure».
Den Tathergang schildert der 80-jährige Serbe vor Gericht so: Seine Enkelin habe ihn mit einem Messer in der Hand erwartet und durch einen Innenhof gejagt. Seine sechs Schüsse – «so viele, wie im Magazin waren!» – seien Notwehr gewesen. In einer früheren Variante hatte sie ihn mit ihren «langen Fingern» erwürgen wollen.
Dem widersprechen sämtliche Beweismittel – die Leiche im Wohnzimmer, die Kaffeetasse und die Patronen mit seiner DNA, die von innen abgeschlossene Wohnungstür, Aussagen von Kindermädchen und Nachbarin, ein ballistisches Gutachten. Sobald er damit konfrontiert wird, weiss der Beschuldigte jeweils nur noch wirre Sätze zu sagen.
Ist es – wie sein Verteidiger geltend machte – eine altersbedingte kognitive Einschränkung, ausgelöst durch einen Schlaganfall kurz nach der Tat? Oder ein gezieltes Verwirrspiel? Letzteres glaubt die Staatsanwältin: «Der Beschuldigte antwortet, wenn er möchte. Was er nicht beantworten will, das hört oder versteht er nicht. Es ist seine Masche, dass er sich hier als Tattergreis darstellt.»
Die Vorinstanz, das Bezirksgericht Winterthur, war ebenfalls dieser Ansicht. In seinem Urteil sprach es von einer «eigentlichen Hinrichtung» und «unglaublicher Kaltblütigkeit». Es verurteilte den Beschuldigten zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren. Nun, vor Obergericht, plädierte die Verteidigung erneut auf Freispruch, die Staatsanwaltschaft forderte eine lebenslängliche Freiheitsstrafe.
Die Familie des Opfers «komplett zerstört»
Das Zürcher Obergericht folgt in weiten Teilen diesem Antrag. Es verurteilt den 80-jährigen wegen Mordes zu 19 Jahren Freiheitsstrafe. Laut Gericht ist er ausserdem des illegalen Waffenbesitzes und des Betrugs schuldig, da er während Jahren unrechtmässig Ergänzungsleistungen bezog – insgesamt eine Viertelmillion Franken.
Skrupellos, brutal und entschlossen sei die Tat gewesen, sagt die Gerichtspräsidentin in ihrer Begründung. Auch sie spricht von einer «eigentlichen Hinrichtung».
Damit wird der 80-jährige «Deda» wohl den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Wobei das hier nicht wörtlich zu verstehen ist: Wegen seines schlechten Gesundheitszustands befindet er sich nämlich seit Jahren in einem spezialisierten Pflegeheim.
Dort, schwärmte er vor Gericht, gehe es ihm wunderbar. Das Essen sei köstlich, jeden zweiten Tag werde er gebadet, sogar ein eigenes Gefrierfach habe er. «Es ist besser als bei mir zu Hause.»
Darija Nikolics Angehörige sind derweil von der Tat schwer gezeichnet. Ihr Anwalt berichtete von psychischen Zusammenbrüchen, Selbstmordversuchen und Jobverlust. Die Familie sei durch die Tat «komplett zerstört».