Der Neubau des japanischen Architekten Kengo Kuma für das Museum Gulbenkian verbindet Haus, Garten und Stadt.
Lissabon ist eine hügelige, enge, dicht bebaute Stadt voller Verkehr. Deshalb sind die wenigen Parks eine wichtige Ergänzung im städtischen Leben. Speziell der Garten der Gulbenkian-Stiftung ist eine Oase in der steinernen Metropole, zu der viele Lissabonner positive Erinnerungen hegen: als Ort der ruhigen Lektüre oder des ersten romantischen Rendez-vous im Grünen. Als sich im Jahr 2005 der vermögenden Gulbenkian-Stiftung die Gelegenheit bot, das benachbarte Grundstück hinzuzukaufen, schlug sie zu: Der Garten der Santa Gertrudes hat nicht nur einen herrlichen alten Baumbestand, er erweitert den Gulbenkian-Campus nun auch entscheidend in Richtung Innenstadt.
Seit die hohe Gartenmauer, die aus der Anlage einen Hortus conclusus gemacht hatte, abgerissen wurde, präsentiert sich der Campus der Stiftung zur Stadt hin. Jetzt sind der neu hinzugekommene Garten und das stiftungseigene Kunstmuseum die ersten Orte, die Besucher sehen. Um dieser verbesserten urbanistischen Situation auch ein neues architektonisches Gesicht zu geben, hatte die Stiftung 2019 einen Wettbewerb unter zwölf berühmten Architekten – darunter das Büro Christ & Gantenbein aus Basel – ausgelobt. Als Sieger ging das Architekturbüro von Kengo Kuma aus Tokio hervor.
Kumas leichte, hölzern-warme Bauten und Interieurs sind derzeit bei Kuratoren in aller Welt beliebt. In Lissabon schlug der Architekt vor, den Neubautrakt des Kunstmuseums unterirdisch an das mediokre Bestandsgebäude anzufügen. Auf Ebene des Gartens sah er stattdessen ein grosses, nach innen gewölbtes Dach vor, unter dem alles und nichts passieren kann. Den Raum darunter nennt er «Engawa» – so werden die von den auskragenden Dächern geschützten umlaufenden Veranden japanischer Häuser genannt, die nahtlos vom Innen- in den Aussenraum überleiten.
Diese Schlüsselqualität hat Kumas Engawa in Lissabon allerdings nicht: Sie steht vielmehr frei vor dem Gebäude, spendet Schatten und rahmt den Blick in den Garten. Ihre Unterseite ist mit einer Schuppenhaut aus Eschen-Schindeln bekleidet und ihre Oberseite mit 3000 weissen keramischen Platten, die an Azulejos erinnern: die typischen Keramikfliesen, mit denen in Lissabon jedes bessere Haus verkleidet ist.
Architektonisches Signet
Schon bei seinem Entwurf für das Nezu Museum in Tokio hatte Kuma gezeigt, welch überwältigende räumliche Qualität ein Engawa-Zwischenraum haben kann. In Lissabon ist das Dachtragwerk elegant gestaltet, die Essstäbchen-ähnlichen schwarzen, schlanken Stahlstützen in V-Form tragen das geschwungene Dach mit grosser Leichtigkeit. Der überdachte Übergang ist hundert Meter lang und wirkt wie ein Filter zwischen dem Centro de Arte Moderna (CAM) und dem Grünraum.
Kumas Engawa-Bau: ein architektonisches Signet für einen Ort, an dem man sich gerne aufhält, um Kunst zu geniessen.
Um den bestehenden Garten mit dem neuen Teil zu verbinden, haben die Architekten ein lichtes Foyer mit fein gerahmten Glaswänden und Glastüren geschaffen. Ein schönes Detail ist der Dachrand zur Rua Marquês da Fronteira hin. Keine plumpe Regenrinne schmälert die Eleganz – an Regentagen fällt das Wasser vom Dach ganz nonchalant in ein Bassin im Garten. Die verschlungenen und sich schlängelnden Wege der Gartengestaltung führen Besucher von einem schattigen Ort zur nächsten Lichtung.
Der Nachteil, den das Centro de Arte Moderna für den Raum der Engawa in Kauf nehmen muss, ist die unterirdische, weitgehend tageslichtlose Enfilade der Galerieräume. Das Museum ist innen und aussen eine schlichte «White Box» geblieben. Der Weg hinab ins Souterrain ist pragmatisch gestaltet. Angesichts der Tageslicht-Aversion vieler Kuratoren heutzutage ist dieses Manko jedoch zu verschmerzen. Wichtiger, als superbe Ausstellungsräume zu haben, ist es für Museen heutzutage, ein architektonisches Signet vorweisen zu können und einen Ort, an dem man sich gerne aufhält, um Kunst zu geniessen. Genau das bietet Kumas Engawa-Bau.
Als das Haupthaus der Gulbenkian-Stiftung in den sechziger Jahren gebaut wurde, war das ganz ähnlich: Rui Atouguias Bau ist ein allseits bewundertes Meisterwerk des portugiesischen Brutalismus. Reizvoll reichen seine Innenraum-Kaskaden ineinander und in ihre Gartenumgebung. Von derlei Raffiniertheit war beim Museumsneubau der Stiftung 1984 leider nichts mehr zu spüren: Die Schätze des armenischen Ölmagnaten wurden in einem Kasten, entworfen von dem britischen Architekten Leslie Martin, präsentiert.
Für Portugal war es ein Glück, dass der einst reichste Mann der Welt nicht in Istanbul, London, Kairo oder Paris, den Stationen seines Lebens, seine Stiftung ansiedelte, sondern in Lissabon. Zu Zeiten der Diktatur wollte die Stiftung Portugiesen an moderne Kunst heranführen.
Als «Mister Five Percent» ging Calouste Gulbenkian in die Wirtschaftsgeschichte ein, weil er zeitweise 5 Prozent des Kapitals an fast allen grossen Ölkonzernen der Welt hielt. Vor der deutschen Wehrmacht war er mitsamt seiner Kunstsammlung aus Paris nach Portugal geflohen. Als er 1955 in Lissabon starb, wurde die Fundação Gulbenkian schnell zum wichtigsten privaten Kulturmäzen in der portugiesischsprachigen Welt.
Museum ohne Wände
Eröffnet wird das erweiterte Haus der Gulbenkian-Stiftung nun mit einer Installation von Leonor Antunes und – noch passender – der Ausstellung «Fernando Lemos and Japan» (bis 20. Januar 2025). Lemos hatte in den sechziger Jahren ein Stipendium der Gulbenkian-Stiftung erhalten, um in Japan Kalligrafie zu studieren. In Kombination mit seinen herrlichen Zeichnungen und grafischen Fotografien werden japanische Drucke aus der Haussammlung gezeigt.
Kumas erstes Projekt in Portugal ist im Vergleich zu seinen Werken in der Schweiz wie in Vals (Truffer-Haus) oder zuvor in Lausanne (EPFL) eine poetische Verbindung zwischen Gebäude, Garten und Stadt. Es ist eine Art modernes Museum ohne Wände. Die Bewohner Lissabons wird man nicht lange bitten müssen, es als Oase der Kunst mitten in der lauten Metropole in Beschlag zu nehmen.