Ständig zu trainieren ist schädlich. Ein Sportwissenschafter erklärt, wie sich die Muskeln optimal entwickeln.
Die Trainerin in der Fitness-App ist gnadenlos. «Nichts hiervon sollte sich leicht anfühlen», sagt sie, die Hanteln hinauf und hinunter bewegend. «Kämpf dich durch, wir sind fast fertig», ruft sie – nur um gleich hinterherzuschieben: «Eine Wiederholung noch. Und jetzt noch eine. Ja, der Timer ist schon abgelaufen, aber schaffen wir noch eine Wiederholung? Gib alles!»
Als die Hanteln am Boden liegen, verabschiedet sich die Trainerin mit den Worten: «Strengen wir uns auch künftig gemeinsam an. Bis zum nächsten Mal.» Sollte man also schnellstmöglich wieder trainieren? Bloss keine Zeit verschwenden auf dem Weg zum durchtrainierten Körper?
Beim Krafttraining ist das Ziel am offensichtlichsten: Die Muskeln sollen wachsen. Und es liegt nahe, zu glauben, je mehr man trainiere, desto schneller gehe das. Es klingt logisch – ist aber absolut falsch.
Der Muskel braucht Erholung, um zu wachsen
«Nur durch Pausen werden Sportler richtig gut»: Das sagt Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln und Autor eines Buchs über «eine Muskulatur, die gesund macht». Denn erst nachdem der Mensch beim Training geschwitzt, mit sich gekämpft, alles gegeben hat, beginnt die eigentliche Arbeit.
Sobald wir den Körper in Ruhe lassen, lässt er die Muskeln wachsen – sofern wir ihn beim Sport intensiv beansprucht haben und bis an die eigene Belastungsgrenze gegangen sind. Deshalb sagt Ingo Froböse auch: «Muskeln müssen brennen, damit sie wachsen.» Wer versteht, was beim Sport und danach passiert, erkennt: Training und Pause sind gleichermassen wichtig. Zoomen wir also einmal ganz nah auf unsere Muskeln.
In den Muskelfasern liegen die sogenannten Myofibrillen – und in ihnen die kleinste Einheit der Muskeln, die Sarkomere. Sie bestehen aus verschiedenen Proteinen. Diese winzigen Bausteine ermöglichen das Zusammenziehen und das Strecken der Muskeln.
Intensives Training strapaziert die Bausteine der Muskeln. Durch die starke Belastung entstehen Mikrorisse in den Myofibrillen, kleine Verletzungen, die das Immunsystem reparieren muss. Genau diese Risse sind nötig, damit der Muskel wachsen kann.
Denn beim Reparaturprozess vergrössert der Körper die Muskeln, um starken Belastungen künftig besser standzuhalten. Er baut zusätzliche Proteine in die Muskelfasern ein – der Muskel wächst. Zudem werden sogenannte Satellitenzellen aktiviert. Das sind ruhende Zellen in den Muskeln, die dorthin wandern, wo Zellen zerstört worden sind. Auch dadurch vergrössern sich die Muskeln.
Übertraining schwächt den Muskel
Wer den Körper allerdings bei diesem Regenerationsprozess stört, riskiert Leistungstiefs. Im schlimmsten Fall reagiert der Muskel gar nicht mehr aufs Training. Denn durch die Mikrorisse nach dem intensiven Training ist die Leistung des Muskels reduziert.
Erst nach der Reparaturphase ist der Muskel stärker. Startet man nun mit dem nächsten Training, beginnt man auf einem höheren Niveau als zuvor. Direkt nach der erneuten Sporteinheit zeigt die Leistungskurve des Muskels aufgrund neuer Mikrorisse wieder einen Knick an – um nach der Regeneration wieder zu steigen.
Wer ständig zu früh trainiert, beansprucht den Muskel immer wieder während des Leistungstiefs. Dadurch mehren sich die winzigen Verletzungen, die Stärke reduziert sich immer weiter, und der Muskel kehrt nicht einmal mehr in seinen Ausgangszustand zurück.
Aber woran erkennt man, ob es noch zu früh fürs nächste Training ist? «Muskelkater ist ein klares Warnsignal», sagt Ingo Froböse. Schlimm sei dieser schmerzhafte Zustand nach dem Training nicht, «doch er zeigt an, dass ich dem Körper noch Ruhe gönnen sollte», sagt der Sportwissenschafter.
Und er empfiehlt, sich an klar definierte Erholungszeiten zu halten, die je nach Sportart variieren. «Zu beachten ist: Anfänger haben eine höhere Regenerationszeit, bei gut trainierten Personen sind die Reparaturprozesse schneller abgeschlossen», sagt Ingo Froböse. Wer sich an die Zeiten hält, hat laut Froböse nicht nur gestärkte Muskeln. Auch Sehnen, Bänder, Knochen und Knorpel regenerieren sich währenddessen:
Das klingt nach viel Pause und wenig Training. Also Beine hoch, Bier aufmachen und abwarten, bis der Körper von selbst stark wird? So einfach ist es nicht. Denn eine Trainingspause ist nur dann effektiv, wenn sie mit einem regelmässigen Training abwechselt.
Abwechselnd verschiedene Muskelgruppen trainieren
Anfängern empfiehlt Ingo Froböse, pro Woche mindestens zweimal zu trainieren. Denn dauere die Auszeit zu lang, wirke sich das ebenfalls negativ auf den Trainingserfolg aus. Ziel sollte es sein, den Muskel auf seinem neuen Leistungshoch erneut zu beanspruchen, sonst baue er die Kraft allmählich wieder ab, weil sie nicht genutzt wird. «Wer nur einmal pro Woche trainiert, fängt jedes Mal fast wieder von vorne an», kommentiert Froböse.
Es gibt aber auch Menschen, die am liebsten täglich Sport treiben. Das ist trotz dem Pausengebot erlaubt. «Profis trainieren an einem Tag nur den Unterkörper, am nächsten nur den Oberkörper, tags darauf nur den Rumpf – und fangen dann wieder von vorne an», erklärt Froböse.
Zudem könne man tageweise zwischen Ausdauer- und Muskeltraining abwechseln, um jeweils auf unterschiedliche Muskelgruppen zu fokussieren. Die Pausen werden also aktiv genutzt, um andere Körperstellen zu trainieren. Bei Ausdauersport in mittlerer Intensität ist laut Froböse keine spezielle Pausenzeit nötig. Dazu gehört leichtes Joggen, bei dem man nicht ausser Atem gerät und sich gut unterhalten kann.
Und was ist, wenn ein Hobbysportler die Erholungszeiten nicht einhalten kann? Wenn das Kleinkind auch am Tag nach dem Oberkörpertraining ständig auf den Arm will? Wenn sich kein Freiwilliger findet, der die Wasserkisten schleppt? Oder wenn mehrere Säcke Erde in den Garten transportiert werden müssen? Froböse: «Wenn Sie intensive Gartenarbeit nach dem Trainingstag planen würden, wäre das tatsächlich kontraproduktiv. Aber Sie können Ihr Kind ruhig ein- oder zweimal hochheben – und die Wasserkiste ebenso. Das toleriert die Muskulatur.»
Absolute Schonung ist also nicht nötig. Doch gibt es auch Methoden, um Muskeln, die gerade pausieren sollen, gezielt bei der Regeneration zu unterstützen?
Massagen und Saunagänge können das Wohlbefinden steigern
Ingo Froböse empfiehlt einerseits, dem Körper nach dem Muskeltraining Kohlenhydrate und Proteine zuzuführen. Andererseits könne man den Stoffwechsel durch verschiedene Massnahmen ankurbeln, um die Reparaturprozesse zu unterstützen. Dazu gehören etwa Saunagänge. Doch der Sportwissenschafter gibt zu, dass die Wirksamkeit solcher Tipps wissenschaftlich nicht erwiesen ist.
Gemäss dem Projekt «Regenerationsmanagement im Spitzensport» eines Forschungsteams aus Deutschland verbessern Saunagänge, Sportmassagen, Kompressionskleidung und ähnliche Massnahmen die Leistung nicht. Die gute Nachricht: Sie können das Wohlbefinden steigern. Wer also bereits einen Saunabesuch nach dem Training geplant hat, sollte darauf nicht verzichten. Denn in der wohlverdienten Sportpause muss sich nicht alles nur um den Trainingserfolg drehen.
Ein Artikel aus der «»