Seit der Einführung Anfang Jahr ist an einen normalen Arbeitsalltag offenbar nicht mehr zu denken.
In Bern hatte die neue Software desaströse Folgen: Nachdem das Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz und der Sozialdienst sie einführt hatten, kündigten die Angestellten gleich dutzendweise. Über 60 von rund 350 Personen gingen. Und von denen, die blieben, mussten sich etliche wegen Burn-outs krankschreiben lassen.
Für viele Klientinnen und Klienten der beiden Ämter bedeutete dies: Auf einmal wurden ihnen keine Gelder mehr überwiesen, Rechnungen wurden nicht mehr bezahlt. Stattdessen erhielten sie Betreibungsandrohungen von Krankenkassen und Telefongesellschaften. Die Verunsicherung war enorm.
Die Tamedia-Zeitungen resümierten im Juni 2024: «Innert eines Jahres hat die Software zwei der grössten Ämter der Berner Stadtverwaltung an den Rand des Zusammenbruchs geführt». Und genau diese Software sorgt jetzt auch in Zürich für Ärger.
Denn das Sozialdepartement von Stadtrat Raphael Golta (SP) hat sich von dieser Vorgeschichte nicht beeindrucken lassen. Es hielt an seinen Plänen fest und installierte Anfang dieses Jahres dieselbe IT-Anwendung.
Mit dem Resultat, dass nun auch die Stadt Zürich ihre Krise hat.
Drei Mal verschoben wegen «Herausforderungen»
Die umstrittene Anwendung heisst Citysoftnet und ist ein gemeinsames Projekt der Städte Basel, Bern und Zürich. 2014 gründeten sie einen Verein mit dem Ziel, zusammen ein sogenanntes Fallführungssystem zu beschaffen.
Eine solche Software erlaubt es den Verwaltungen, die Dossiers aller ihrer Klientinnen und Klienten zu überblicken und zu bearbeiten. In Zürich sind 17 000 Personen in einer solchen Datenbank erfasst. 11 000 von ihnen erhalten wirtschaftliche Sozialhilfe von gesamthaft 22 Millionen Franken – pro Monat. Weitere 21 Millionen werden monatlich im Rahmen von Einkommens- und Vermögensverwaltungen ausgezahlt.
Dies sollte die neue Software besser können als die bisherige Lösung. Und mehr noch: Man hoffte gar, die neue Lösung würde sich als Schweizer Standard etablieren.
Doch davon ist Citysoftnet heute weit entfernt. In Bern hat das Projekt vor allem Chaos und Mehrkosten verursacht. Schon über 20 Millionen Franken hat die Software dort verschlungen. Die Zuständigen in Basel warten mit der Einführung weiterhin zu.
In Zürich hat sich die Implementierung des Programms wiederholt verzögert, wie in der Antwort des Stadtrats auf eine Anfrage dreier SVP-Gemeinderäte vom 25. September 2024 nachzulesen ist. Citysoftnet wurde demnach drei Mal verschoben. Wegen «fachlicher und technischer Herausforderungen». Und weil es bei der «Entwicklung der Betriebsreife» der Anwendung haperte.
Doch all dies brachte das Sozialdepartement nicht von seinen Plänen ab. Im Gegenteil, man gab sich zuversichtlich. In der stadträtlichen Antwort vom September heisst es: Es gebe «keine Gründe», von dem Projekt abzulassen. Die Rahmenbedingungen in Zürich seien besser als in Bern.
Enorme zusätzliche Belastung
So ging Citysoftnet im Januar also auch in Zürich in Betrieb. Und die Anwendung scheint auch hier Probleme zu verursachen.
Auf eine Anfrage, die die NZZ am Mittwoch stellte, reagierte das Sozialdepartement am Donnerstagnachmittag mit einer Medienmitteilung. Darin steht zwar, dass der Kostenrahmen des Projekts Citysoftnet im Umfang von 26,4 Millionen Franken bisher eingehalten worden sei. Ausserdem seien Ende Januar sämtliche Zahlungen an Klienten korrekt ausgeführt worden.
Aber: Die Umstellung auf das neue System mit 800 Anwendern habe «erwartungsgemäss zu einer sehr hohen Arbeitsbelastung» geführt.
Die Arbeitsbelastung für das städtische Personal sei auch heute, sechs Wochen nach der Einführung der Anwendung, noch zu spüren. In der Mitteilung ist von einer «intensiven Zeit» die Rede. Wo genau die Probleme liegen, lässt die Mitteilung offen. Man wolle aber möglichst schnell «in den gewohnten Arbeitsalltag» zurückkehren.
Entnervte Mitarbeiter haben deshalb an die Gewerkschaft VPOD eingeschaltet. Man haben Kenntnis von den Missständen im Sozialdepartement, schreibt die zuständige Gewerkschaftssekretärin auf Anfrage. «Mitarbeitende der Sozialen Dienste haben sich bei uns gemeldet, weil wegen des neuen Systems noch mehr Druck auf ihnen lastet».
Für viele Verwaltungsangestellte sei Citysoftnet «der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt». Demnach herrschte schon schon vor der Einführung der neuen Anwendung ernsthafter Personalmangel.
In Bern ist 2029 schon wieder Schluss
In Bern geht das Citysoftnet-Debakel derweil in die nächste Runde: Bei der Ausschreibung der Software war 2017 von einer 20-jährigen Laufzeit die Rede gewesen. Doch daraus wird nun nichts, zumindest nicht in der Stadt Bern. Diese wird das Programm nämlich schon 2029 – nach bloss 6-jähriger Laufzeit – wieder abstellen.
Anstelle von Citysoftnet wird die Stadt Bern ein anderes Fallführungssystem installieren müssen. Welches das sein wird, gibt der Kanton vor. Er will so für einheitliche Abläufe in allen seinen Gemeinden sorgen.
Das wirft die Frage auf: Drohen sich kommunale und kantonale Planung auch in Zürich zu überschneiden? Die Stadt Zürich schreibt dazu pauschal: Es gebe derzeit «keine Diskussionen in diese Richtung». Auf der Medienstelle des Sozialamtes des Kantons Zürich war am Donnerstagnachmittag niemand zu erreichen.