Das Uno-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge steht massiv in der Kritik: Mitarbeiter der UNRWA sollen sich am Hamas-Massaker beteiligt haben. Laut dem Bericht einer Expertenkommission hat Israel keine Beweise dafür vorgelegt.
Die israelische Regierung müsse zusätzliche Beweise für die Terrorverbindungen von Mitarbeitern des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) vorlegen. Ausserdem habe die Organisation ein robustes Reglement, um die Neutralität ihrer Angestellten zu überprüfen, obgleich dieses an einzelnen Stellen verbessert werden könnte.
Zu diesem Schluss kommt eine unabhängige Expertenkommission unter Führung der ehemaligen französischen Aussenministerin Catherine Colonna, die ihre Ergebnisse am Montag in New York vorstellte. Diese wurde von der Uno eingesetzt, nachdem Israel zwölf Mitarbeitern der UNRWA vorgeworfen hatte, am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen zu sein. Die israelische Regierung kritisiert die Schlussfolgerungen der Kommission. Zudem ist zweifelhaft, wie unabhängig die Experten urteilen.
Israel ist unzufrieden mit dem Bericht
Laut dem Bericht überprüft die UNRWA alle Mitarbeiter intensiv vor der Anstellung sowie während und nach der Beschäftigung beim Hilfswerk. «Trotz den Massnahmen, um Mitarbeiter und andere Individuen zu überprüfen, die UNRWA zugehörig sind, reichen diese nicht aus, um genügende Verifizierungen zu ermöglichen», heisst es in dem Dokument.
Die Kommission schlägt nun unter anderem vor, zusätzliche Überprüfungsmassnahmen zu etablieren – etwa die Aktivitäten von Mitarbeitern in den sozialen Netzwerken zu überprüfen und Whistleblower innerhalb der Organisation besser zu schützen. «Ausserdem sollten Mitarbeiter erneut überprüft werden, sobald sie befördert werden», sagte Colonna in der Medienkonferenz.
Zudem merkte sie an, dass einige der Inhalte von UNRWA-Schulbüchern problematisch seien, darunter falle unter anderem die Glorifizierung des Jihad sowie abgebildete Karten, auf denen Israel nicht eingezeichnet sei. «Das ist leider sehr genau dokumentiert», sagte Colonna. In dem Bericht heisst es allerdings, dass es keine Beweise dafür gebe, dass eine beträchtliche Zahl von UNRWA-Mitarbeitern Mitglieder terroristischer Organisationen seien.
Israel sieht die Terrorverbindungen von UNRWA-Mitarbeitern als erwiesen an. Laut einem israelischen Dossier soll die Identität der mutmasslich zwölf am Hamas-Massaker beteiligten UNRWA-Mitarbeiter durch Geheimdienstinformationen belegt sein. Die Untersuchung über die Vorwürfe gegen die zwölf Mitarbeiter wurde nicht von der Colonna-Kommission durchgeführt. Diese Vorwürfe werden derzeit vom Büro für interne Aufsicht der Uno geprüft.
Kurz nach der Veröffentlichung des Berichts sagte ein Sprecher des israelischen Aussenministeriums, das Dokument ignoriere die Tiefe des Problems und biete nur kosmetische Verbesserungen an. «Wenn mehr als 2135 UNRWA-Mitarbeiter Mitglieder der Hamas und des Islamischen Jihad und ein Fünftel der Direktoren von UNRWA-Schulen Hamas-Aktivisten sind, ist das Problem der UNRWA in Gaza nicht eines von ein paar schwarzen Schafen.» Der UNRWA-Chef Philippe Lazzarini bestreitet das. Vor wenigen Tagen sprach der Schweizer von einer «heimtückischen Kampagne» Israels, die im Gange sei, um die Aktivitäten seiner Organisation zu beenden.
Auf die israelische Reaktion angesprochen, sagte Colonna, es sei bekannt, dass Israel eine sehr starke Meinung über die UNRWA habe. «Die grosse Mehrheit der internationalen Gemeinschaft teilt diese Meinung nicht.»
UNRWA steht vor dem finanziellen Kollaps
Der Bericht hält ausserdem fest, die Arbeit des Hilfswerks sei unabdingbar für die palästinensischen Flüchtlinge in der Region. Die UNRWA ist heute für rund 5,9 Millionen palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen im Gazastreifen und dem Westjordanland sowie in Libanon, Syrien und Jordanien zuständig.
In diesen Ländern und Gebieten betreibt die UNRWA Schulen und Spitäler. Vielerorts würde die öffentliche Versorgung ohne das Hilfswerk zusammenbrechen – vor allem im Westjordanland, das sich ohnehin in einer schweren Wirtschaftskrise befindet.
Finanziert wird das Hilfswerk durch Spenden. Die wichtigsten Geldgeber waren in den vergangenen Jahren die USA, Deutschland, Schweden, Norwegen, Japan, Frankreich, Saudiarabien, die Schweiz und die Türkei. Als Israel die Vorwürfe Ende Januar publizierte, stellten viele Geberländer ihre Zahlungen vorübergehend ein.
Seitdem haben die meisten allerdings ihre Finanzierung wiederaufgenommen. Einige Länder wie Grossbritannien haben die Wiederaufnahme von den Ergebnissen des Colonna-Berichts abhängig gemacht. Der wichtigste Geldgeber, die USA, hat seine Finanzierung nach einem Beschluss des Kongresses allerdings bis mindestens 2025 komplett gestoppt. Die Organisation stehe kurz vor dem finanziellen Kollaps, teilte die UNRWA vor wenigen Tagen mit.
Zweifel an der Unabhängigkeit der Kommission
Bereits vor Abschluss des Berichts wurden Zweifel an der Unabhängigkeit der Untersuchungskommission laut. Koordiniert von Colonna untersuchten das schwedische Raoul Wallenberg Institute, das Chr.-Michelsen-Institut in Norwegen sowie das dänische Institut für Menschenrechte die israelischen Vorwürfe.
So äusserte sich ein leitender Forscher des dänischen Instituts für Menschenrechte im Januar zum Prozess des Internationalen Gerichtshofs, in dem Israel vorgeworfen wird, einen Genozid in Gaza zu begehen. Er nannte den Prozess einen «Durchbruch» und einen «wichtigen Fortschritt für das humanitäre Völkerrecht».
Das ebenfalls an der Untersuchung beteiligte Chr.-Michelsen-Institut aus Norwegen publizierte im Jahr 2022 einen Bericht über die UNRWA. Darin hielt es fest, dass die Vorwürfe gegen das Hilfswerk, es trage zur Radikalisierung der Palästinenser durch ihre Schulbücher bei, haltlos seien – obwohl der nun veröffentlichte Bericht der Untersuchungskommission zu einem anderen Schluss kommt.
Auch Catherine Colonna, die Leiterin der Kommission, scheint der UNRWA zumindest freundlich gesinnt zu sein. Im Januar schrieb sie auf der Plattform X an den UNRWA-Chef Lazzarini gerichtet: «Vielen Dank und erneut volle Unterstützung für Ihre Arbeit, die nützlicher als jemals zuvor ist.» Am Montag sagte Colonna, das Hilfswerk spiele eine unentbehrliche Rolle in der Region.
Uno-Generalsekretär Antonio Guterres hat den Bericht akzeptiert und angeordnet, die Vorschläge der Kommission rasch umzusetzen. Ein Uno-Sprecher teilte mit: «Der Generalsekretär appelliert an alle Interessenvertreter, die UNRWA aktiv zu unterstützen, da sie lebenswichtig für palästinensische Flüchtlinge in der Region ist.»







