Eine Mitarbeiterin hat gegen ihn Vorwürfe erhoben, die sich um unangemessenes Verhalten und Machtmissbrauch drehen. Horner könnte zum Verhängnis werden, dass er sich von wichtigen Playern in der Szene entfremdet hat. Aber er lässt sich nichts anmerken.
Es ist eine schöne Bescherung im Hause Horner – zumindest jene in der neuen Staffel der Netflix-Serie «Drive to Survive». In Folge zwei bestellt der Hausherr Christian Horner den Weihnachtsmann auf seinen Landsitz in Mittelengland. Der Nikolaus fragt: «War Papa auch schön brav in diesem Jahr?» Die Kinder müssen zuerst darüber nachdenken. Aus dem Hintergrund ruft Geri Halliwell, ehemaliges Spice Girl und seit 2015 mit Horner verheiratet: «Er hat eine Weltmeisterschaft gewonnen!» Ist das alles, was zählt im Leben des dienstältesten Teamchefs der Formel 1?
In Erinnerung bleibt dem interessierten Zuschauer auch die präzise Dienstanweisung von Horner an Santa Claus: «Eine Minute, dann mit der Glocke läuten.» So ist Horner auch am Kommandostand bei Red Bull Racing stets zu erleben: als einer, der allen sagt, wo es langzugehen hat, auch dem dreifachen Weltmeister Max Verstappen.
Ohne Zweifel ist Horner ein Machtmensch, sonst hätte der 50-Jährige die Partytruppe des österreichischen Getränkekonzerns nicht an die Spitze der Königsklasse des Motorsports geführt, sonst hielte er sich nicht seit zwanzig Jahren auf seinem Posten.
Doch nun sind diese dunklen Wolken aufgezogen, nachdem eine Mitarbeiterin gegen ihn Vorwürfe erhoben hatte, die sich um unangemessenes Verhalten und Machtmissbrauch drehen. Eine von Red Bull beauftragte Anwaltskanzlei hat Horner zwar gerade noch rechtzeitig vor dem Saisonstart vom Samstag in Bahrain entlastet, doch ob ihm das etwas nützt? Sicher ist: Christian Horner ist zur umstrittensten Person der Formel 1 geworden.
Christian Horner picks the 2 most memorable moments of his career:
«Abu Dhabi 2010, our first World Championship won by Vettel against Ferrari. And Abu Dhabi 2021, Max’s first.»
[@Corriere] #F1 pic.twitter.com/Sadd5cw3CV
— RBR Daily (@RBR_Daily) September 14, 2023
Ehemalige Rennfahrer bescheinigen ihm eine bis zur emotionalen Eiszeit reichende Gefühlskälte
Die Affäre Horner ist längst auch eine Affäre des Top-Motorsports. Offenbar gibt es Kräfte im Umfeld seines Rennstalls, denen der einst nur mässig erfolgreiche Rennfahrer zu mächtig geworden ist. Gemunkelt wird von einer Entfremdung zwischen Horner und den Konzernoberen in Österreich sowie dem Lager von Max Verstappen, seinem Vollstrecker auf der Rennstrecke. Unterdessen wurden auch 170 Megabyte Daten, die Horner belasten sollen, an rund 150 Adressaten im Fahrerlager verschickt. Diese liegen der NZZ vor, ebenso eine Klageandrohung von Horners Anwälten.
Dass er Konflikten aus dem Weg gehe, das hat man Horner noch nie vorwerfen können. Oft genug hat er sie sogar geschürt. So sass er auch in diesen Tagen im Fahrerlager am Sakhir International Circuit prominent auf der Terrasse vor dem Pavillon von Red Bull Racing, als gäbe es keine juristische Angelegenheit.
Er spricht, lacht, isst. Und nahezu jede seiner Bewegungen wird vom Surren und Klicken von Kameras begleitet. Es berührt ihn offenbar nichts. Dieser Schein kann jedoch trügen, obschon ihm ehemalige Rennfahrer eine bis zur emotionalen Eiszeit reichende Gefühlskälte bescheinigen. Dass er besonders kaltschnäuzig sei, das wird selbst Horner kaum bestreiten. Sonst wäre er kaum Trauzeuge des früheren Formel-1-Zampanos Bernie Ecclestone geworden, einer anderen umstrittenen Figur der Rennserie.
Christian Horner meeting with @FIA president Mohammed @BenSulayem amid questions over the Red Bull team principal’s future. #F1 #BahrainGP #RaceFans pic.twitter.com/278X9D2oNE
— RaceFans (@racefansdotnet) March 1, 2024
Der britische Humor ist bei ihm ausgeprägt bis zum Zynismus
Wer dem klischeehaften Gemisch der Formel 1 aus Geld, Sex, Macht und Motoren folgen will, könnte in Horner tatsächlich eine Idealbesetzung sehen. Doch das wäre eine Vorverurteilung und würde dem Manager nicht gerecht. Wenige verstehen die komplexen Mechanismen und Beziehungsgeflechte des Motorsports so gut wie Horner, wenige können so geschickt mit den Egos in Rennställen oder bei Sponsoren umgehen und zugleich im entscheidenden Moment so rücksichtslos sein wie er. Das Finale von 2021, als Red Bull den damaligen Rennleiter zur Rechtsbeugung getrieben hat, ist ein drastisches Beispiel dafür. Der Erfolg gab Horner recht.
Freunde gewinnt man mit dieser Art kaum, aber darum geht es nicht in diesem auf die Spitze getriebenen Wettbewerbsumfeld. Im Podcast «Mind, Set, Win» sagt Horner den Kernsatz seines Lebens an der Boxenmauer: «Wenn du an der Spitze stehst, wollen dich alle umhauen.»
Der britische Humor ist bei ihm ausgeprägt bis zum Zynismus. Verziehen wird ihm das oft, da er genauso als harter Arbeiter bekannt ist wie als jemand, der für den Rennsport alles zu opfern bereit ist. Dieser Stallgeruch, das Wissen und die Wertschätzung in der Branche unterscheiden ihn von vielen anderen Statthaltern in der Formel 1. «Im Herzen bin ich immer noch Racer», sagt Horner. Eine ähnliche Ausnahmestellung, was Erfolg, Cleverness und Durchsetzungskraft angeht, wird sonst nur dem Österreicher Toto Wolff zugeordnet, dem 30 Prozent der Anteile am Mercedes-Rennstall gehören.
Es verwundert nicht, dass sich Horner und Wolff in herzlicher Abneigung verbunden sind. Horner beschied dem Gegenspieler einst, er gehöre sicher nicht zu denen, die dem Rivalen den Hintern küssten. Sein fein erscheinendes Lächeln kann seine grundsätzliche Gnadenlosigkeit nicht immer kaschieren – Horner ist ein Mann mit vielen Gesichtern.
🎙️ Want to know Christian Horner’s final message to the @redbullracing team ahead of the Abu Dhabi Grand Prix in 2021? Fin out for yourself in the latest Mind Set Win podcast with the man himself: https://t.co/jBfYrmy5HS#redbullracing #f1 #formula1 #podcast pic.twitter.com/ybz0EDuKgu
— Red Bull Motorsports (@redbullmotors) March 30, 2023
Es bietet sich kein adäquater Nachfolger an
Einer der aggressivsten Protagonisten im Renngeschäft zu sein, würde Christian Horner kaum als Anschuldigung verstehen, vielmehr als Kompliment. Viele attestieren dem passionierten Jäger und Tontaubenschützen, dass er sich festbeissen könne. Das Gespür bei der Wahl der Fahrer oder beim Wechsel auf die richtige politische Seite ist ihm ebenfalls nicht abzusprechen.
Bislang konnte Horner auch dann stets auf seinen Instinkt vertrauen, wenn an seinem Stuhl gesägt wurde. Als Porsche vor anderthalb Jahren das Sagen in seinem Rennstall übernehmen wollte, flog er zu den Red-Bull-Mehrheitseignern nach Thailand. Und die dort ansässige Familie Yoovidhya soll ihm nun in der Krise, der vielleicht grössten in seinen zwei Jahrzehnten an der Teamspitze, den Rücken stärken. Dennoch ist ungewiss, ob er sie überstehen wird. Auch weil viele glauben, dass da noch etwas nachkommen wird.
Sein Vorteil ist genau in jener Alleinherrschaft zu suchen, die offenbar vielen ein Dorn im Auge ist: Es bietet sich gegenwärtig kein adäquater Nachfolger für Horner an. Ein erfolgreiches Formel-1-Team ist eine Zweckgemeinschaft von Egoisten, nicht zwingend von Idealisten. Doch wenn diese Gruppe einmal gespalten ist, wird es kompliziert. Christian Horner hat das schwierigste Rennen seiner Karriere wohl erst noch vor sich.