Die GCK Lions ziehen im Schnitt 200 Zuschauer pro Abend an – zumeist Familienangehörige. Aber für Martin Christen und seinen Weggefährten Simon Berger bedeutet der Eishockeyklub alles. Auch wenn ihre Begeisterung kaum jemand teilt.
Ein Treffen um 18 Uhr? «Ganz schlecht», sagt Martin Christen. Um diese Zeit öffne das Stadion, da müsse er sich erst einmal einrichten. Und während des Spiels auch suboptimal, da ist er mit Trommeln beschäftigt. Es ist Freitagabend, und Christen hat nicht zu viel versprochen. 21 Trikots und drei Flaggen hängt er im Fan-Sektor des Eishockeyklubs GCK Lions auf, fein säuberlich; dazu bringt er die Trommel in Position. Es ist sein Ritual, er tut das seit mehr als zwei Jahrzehnten.
Für sich genommen ist das noch nichts Spezielles – quer über den Globus reisen Menschen ihren Lieblingsteams hinterher. Das Alleinstellungsmerkmal von Christen ist der Umstand, dass er der einsamste Fan der Schweiz sein dürfte. Meist steht er allein in der Kurve, dem «Fan-Eggä GCK». Auswärts begleitet ihn oft Simon Berger, ein Verbündeter, der zum Freund geworden ist, die Heimspiele aber lieber auf den Sitzplätzen verfolgt. Berger hat sich das GCK-Logo auf dem Unterarm tätowieren lassen.
Die GCK Lions sind das einzig verbliebene reine Farmteam im Schweizer Eishockey. Sie spielen auf der Kunsteisbahn KEK in Küsnacht, einer Agglomerationsgemeinde Zürichs mit knapp 15 000 Einwohnern. Sie sind das Überbleibsel der Eishockey-Fraktion der Grasshoppers; seit kurz nach der Fusion mit dem Zürcher SC von 1997 spielt das Team in der Swiss League und dient als Zulieferer der ZSC Lions. Der Klub wird finanziell vom ZSC-Mäzen Walter Frey unterfüttert, der das Budget von knapp 3 Millionen Franken massgeblich schultert. Auf den Banden der KEK werben sechs Unternehmen, der grosse Rest ist verwaist. Bis zur 2022 abgeschlossenen Renovation der Halle prangte das Logo eines Sanitärunternehmens und dazu eine Telefonnummer mit der 01-Vorwahl. Sie ist in Zürich 2007 abgeschafft worden.
Das Biotop GCK funktioniert, es produziert in hoher Kadenz Spieler, zwischen 70 und 80 Nationalliga-Profis sind hier ausgebildet worden. Und 6 Mitglieder der Nationalmannschaft, die 2024 in Prag WM-Silber holte. Darunter Leonardo Genoni und Jonas Siegenthaler.
Die Trommel reist im Mannschafts-Car an die Auswärtsspiele – und Christen manchmal mit ihr zurück
Aber GCK ist ein Klub ohne Öffentlichkeit. Der Zuschauerschnitt liegt bei 200. Wieso wird man Fan eines Vereins, dessen Mannschaft sich alle drei Jahre runderneuert? Und für den sich sonst niemand begeistert? Seinen Klub, das hat Nick Hornby einmal geschrieben, suche man sich nicht aus. Er findet einen. Im Fall von Martin Christen trifft das nur bedingt zu. Die Fan-Karriere von Christen, 54, begann in den 1980er Jahren im EHC Kloten, ehe er sich dort mit anderen Anhängern überwarf. Weil er im Fussball zu GC hielt, sagte er sich: Eigentlich könnte ich auch im Eishockey dort hin. «Ich bin für immer ein Hopper und kein Löwe. Den Hardturm habe ich geliebt», sagt Christen.
Eine Stunde vor Spielbeginn ist das Stadionrestaurant noch geschlossen, eine freundliche Frau vertröstet – die Kasse sei leider noch nicht da. Aber Christen und dem bei null Grad in kurzen Hosen angereisten Berger wird selbstverständlich trotzdem eine Cola ausgeschenkt. Der Verein kümmert sich um seine beiden leidenschaftlichsten und, na ja, einzigen Fans: Die Trommel und Christens Hockeytasche mit den Trikots reisen im Mannschafts-Car an die Auswärtsspiele – der Transport im öffentlichen Verkehr wäre zu kompliziert. Es kam auch schon vor, dass Christen selber einsteigen durfte, wenn er im Wallis den letzten Zug verpasste. «Er ist ein Unikat, eine wirklich treue Person», sagt Hans Peter Rathgeb, der den Klub als Medienbetreuer und Berichterstatter seit fast zwei Jahrzehnten begleitet.
Die Saisonkarte müssen Christen und Berger inzwischen nicht mehr bezahlen, das übernehme «der Hauptsponsor», sagt Christen. Was ein Synonym für Walter Frey ist. Vor dem Bistro huscht Christian Weber vorbei, der ehemalige GCK-Coach und heutige Sportchef des Gegners EHC Winterthur. Christen winkt ihn gestenreich für einen kurzen Schwatz an den Tisch und freut sich, dass Weber ihn nicht vergessen hat. Aber wie könnte er? Christen kennt in der darbenden Swiss League jeder. Oft wird der Gästesektor allein für ihn und Berger geöffnet. In Visp haben sie die beiden nach dem Spiel kürzlich zum Fondue eingeladen.
Die Fan-Seele ist längst Gegenstand von soziologischen Untersuchungen. Eine der gängigen Theorien, wieso so viele Menschen sich als Teenager einen Klub aussuchen und sich dann ihr Leben lang Wochenende für Wochenende von ihm desillusionieren lassen, ist ein schwierig zu beschreibendes Zusammengehörigkeitsgefühl. Ja, wir verlieren und werden vom Schiedsrichter betrogen, aber immerhin leiden wir zusammen. Bei GCK kann das schwerlich der Grund sein. Wenn man Christen fragt, ob er sich manchmal einsam fühle, alleine mit seiner Trommel in den grossräumigen Sektoren, dann wirkt er überrascht und sagt: «Nein, noch nie. Es geht ja auch nicht um mich, sondern um GCK.» Es ist selbstlose Hingabe, wie man sie nicht mehr oft sieht.
Am Sonntag geht’s zum Cup-Final nach La Chaux-de-Fonds –im Car hat es noch ein paar Plätze frei
Der Klub nimmt eine dominante Rolle in Christens Leben ein. Er arbeitet in einem 70-Prozent-Pensum als Schreiner und hat sich ausbedungen, die freien Halbtage auf den Dienstagnachmittag, Mittwochmorgen und Freitagnachmittag zu legen. Es sind die traditionellen Spieltage der Swiss League. Er verpasst ungern Spiele. Mit seinem Copain Berger reiste er zu Vorbereitungspartien auch schon ins Ausland. Nach Feldkirch und mit der Fähre nach Ravensburg. Dem Bruder beschied er schon, er könne leider nicht an den Geburtstag kommen – GCK spiele. «Wenn es ein Runder ist, kann man darüber diskutieren», sagt Christen. Was macht er im Sommer? «Nicht viel», sagt er. Bei einer Niederlage nach 60 Minuten hätte GCK die Play-offs verpasst, die Meisterschaft wäre zu Ende gewesen, Ende Januar schon, so früh wie noch nie. Er wirkt erleichtert darüber, dass es dank einem 5:2-Sieg anders kommt.
Am Sonntag spielt GCK schon wieder, es geht nach La Chaux-de-Fonds. Es ist der Final des National Cup, an dem die Vereine der National League aus Profitgier seit 2021 nicht mehr teilnehmen. Ein Sponsor hat eine Carfahrt von Küsnacht aus organisiert, nach dem Play-off-Final vom letzten Frühjahr ist es erst das zweite Mal in der Klubgeschichte, dass es so etwas gibt. Die Fahrt ist gratis. Christen sagt, man solle doch mitkommen. Es seien noch Plätze frei.
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