Im Sägemehl ist der 18-Jährige eine Ausnahmeerscheinung – äusserlich, aber auch körperlich. Ein Porträt.
Wie, schon vorbei? Sinisha Lüscher kann es nicht glauben. «Da geht noch mehr!», ruft er in die Weite des Kellers in einem Fitnessstudio in Zofingen (AG). Schweiss tropft von seinem Kinn, er atmet schnell, laut und schwer.
Eben noch hat Lüscher einen Vorschlaghammer auf einen ausrangierten Traktorreifen katapultiert, dumpf tönte der Stahl auf dem Gummi, Schlag um Schlag. Als gäbe er den Takt vor für Lüschers Powershow. Dieser hat sich danach keuchend auf den Boden gesetzt und einen mit siebzig Kilogramm Gewicht beladenen Metallschlitten an einem dicken Seil zu sich gerissen, ist aufgesprungen, hat den Schlitten im Sprint wieder weggeschoben. Danach hat er einen Sandsack malträtiert, immer wieder mit den offenen Handflächen auf den Sack eingedroschen. Alles in einminütigen Intervallen, ein hochintensives Training, das die Ausdauer fördert und seinen ganzen Körper fordert.
Jetzt aber ist Lüscher überrascht, dass er seine Morgentrainingseinheit schon beenden soll. Er hat doch noch jede Menge Energie. «Für jetzt reicht es wirklich», sagt sein Trainer. «Du hast heute Abend noch Schwingtraining.»
Sinisha Lüscher ist 18 Jahre alt und kein Ausdauersportler, er macht diese Übungen aus einem anderen Grund: Er will der erste schwarze Schwingerkönig werden.
Lüscher absolviert eine KV-Lehre bei der Raiffeisenbank, er schwingt für den Schwingklub Olten-Gösgen, und in ihm vereinen sich zwei Kulturen: die Wurzeln seines Vaters aus Ghana und seiner Mutter aus dem Aargau. «Trotz meiner Andersartigkeit finde ich in der Tradition des Schwingsports meinen festen Stand», schreibt Lüscher auf seiner Website. Er glaubt, «dass Anderssein und Tradition sich perfekt ergänzen können».
Anderssein, das beschreibt Lüschers Trainingsmethoden als auch sein Aussehen. In beidem erfüllt er so gar nicht die Klischees der üblichen Schwinger. Mit Brillanten in den Ohren, krausem Haar und dunkler Haut ist er eine Ausnahmeerscheinung im Sägemehl. Seine Hautfarbe sei immer ein Thema, sagt Lüscher, ohne sein Äusseres zum Thema machen zu wollen: «Für mich steht der Sport im Mittelpunkt.»
Für einige andere, gerade zu Beginn seiner ersten Schwingen, ist das anders. Sie beleidigten Lüscher rassistisch, wollten ihn nicht in die Duschen lassen, nicht in ihrem traditionsreichen Sport akzeptieren. «Mein gutes Umfeld hat mich davon abgeschottet», sagt Lüscher. Vom Rassismus, den er nicht als Problem seines Sports, sondern der gesamten Gesellschaft sieht. Von den Sprüchen, Beleidigungen, Ausgrenzungen. «Durch all die wertvollen Erfahrungen habe ich gelernt, welche Menschen die richtigen an meiner Seite sind.»
«Der Junge hat einen brutalen Biss»
Zu diesem Kreis zählt Jürg Monhart, der für Lüscher nicht nur Athletiktrainer, sondern auch Mentor und Begleiter ist. Monhart begleitet Lüscher seit drei Jahren. Er sah den damaligen Teenager trainieren, sah, wie Lüscher trotz seinen damals 130 Kilogramm Körpergewicht mühelos, vor allem aber explosiv Gewichte bewegte und Schwinger auf den Rücken drückte. Und Monhart wusste auf den ersten Blick: «Der Junge hat einen brutalen Biss. Er ist einer mit Killerinstinkt.»
So einen Jungen habe er noch nie gesehen, sagt Jürg Monhart heute, obwohl er in seinen sechzig Lebensjahren ziemlich viele kraftvolle Männer erlebt hat. Als persönlicher Trainer von Kanuten, Boxern, Bodybuildern oder dem jungen Fussballer Joachim Löw sowie als Kommandant der SBB-Transportpolizei. Aus all dieser Erfahrung zieht er Details, die er in Lüschers Training einbaut.
Aus der Leichtathletik zum Beispiel stammen Übungen, die Lüschers Explosivität steigern sollen, aus dem Boxen und Ringen Elemente, die seine Technik schulen sollen. «Alles, um aus Sinisha einen kompletten Athleten zu machen», sagt Monhart. Dafür gingen sie ihren eigenen Weg, den Gregor Bucher als Schwingtrainer mitgestaltet. «Die traditionellen Schwingerkreise tun sich zurzeit noch schwer damit, dass wir unseren unkonventionellen Weg gehen», sagt Monhart.
Lüscher belastet das nicht. Er sagt: «Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die sowieso niemand kann». Für ihn ist der Widerspruch das Interessante im Schwingen. Freundschaft ausserhalb des Ringes, faires Kämpfen innerhalb.
Er hat sich inzwischen damit abgefunden, dass nun wirklich Zeit für eine Mittagspause ist, und sitzt am Esstisch. Auf seinem Teller liegen zwei riesige Steaks, dazu isst er Nudeln. «Nur aus Fleisch entsteht Fleisch», sagt Lüscher lachend. Momentan wiegt er 115 Kilogramm bei einer Grösse von 1,80 Metern. Sein Idealgewicht, wenn es nach ihm geht. 5 Kilogramm zu wenig, wenn man Monhart fragt. «Masse, Kraft und Explosivität, darauf kommt es an», sagt der Trainer.
Kleinere Schwinger wie Lüscher haben oft einen Nachteil gegenüber massigeren Gegnern. «Die teilweise fehlende Grösse kompensiert Sinisha mit seinem ausserordentlichen Gefühl für das Schwingen», sagt Monhart.
Zu viele Fehler gegen starke Gegner
Dass er das längst nicht ist, zeigt seine Statistik in der zu Ende gehenden Saison. Auf dem Stoos und der Rigi verpasste Lüscher jeweils um 0,25 Punkte einen Bergkranz. Gegen defensive Gegner fielen ihm bislang selten gewinnbringende Lösungen ein. Gegen starke Gegner erlaubte sich Lüscher noch zu oft Fehler. Alles in allem sei er nicht so zufrieden mit seiner Saison, sagt Lüscher. Vor allem, weil ihn kleinere, muskuläre Verletzungen immer wieder aus dem Trainings-Flow gebracht hätten.
Aber: Er feierte in dieser Saison, seiner zweiten bei den Aktiven, auch seine ersten Festsiege in Suhr und am Munimatt-Schwinget in Gösgen. Er gewann vier Kränze und steht nun bei bislang zehn Kranzgewinnen. Und er legte schon mehrfach Eidgenossen ins Sägemehl.
Lüschers kurzfristigere Ziele auf dem Weg zum Schwingerkönig sind eher bescheiden. Beim Jubiläumsschwingfest am Sonntag in Appenzell will er sicher sechs Gänge bestreiten und möglichst viel Spass haben. Fürs Eidgenössische Schwingfest im nächsten Sommer hat er sich vorgenommen, eine Duftmarke zu setzen. Die Saisonplanung für die kommende Saison steht noch aus. Fest steht aber: Lüschers andersartiger, eigener Weg zeigt nach oben.
Seine Mutter brachte ihn zum Schwingen. Sie erkannte früh die enorme Energie, die in ihrem Sohn steckt – und zwang ihn mit elf, zwölf Jahren, sich diesen Urschweizer Sport einmal anzuschauen. «Zunächst fand ich das so lala», sagt Lüscher. Er spielte noch Fussball, wie sein älterer Bruder, der als Teenager für den FC Aarau in der Challenge League debütierte, aber die grosse Karriere verpasste. «Doch dann hat mich das Schwingen voll gepackt», sagt Lüscher. Als er mit 15 den Eidgenössischen Nachwuchsschwingertag gewann, entschied er sich gegen den Fussball und setzte seinen Fokus voll auf das Schwingen.
Der Sport reizt ihn, weil man als Schwinger alles in seinen eigenen Händen habe. Man sei immer auf sich selbst angewiesen, seine eigene Disziplin, Stärke und Ausdauer. «Ganz einfach: Je mehr man trainiert, desto besser wird man», sagt Lüscher. Die Gegnereinteilung sei zwar auch immer ein Faktor, «doch am Ende heisst es Mann gegen Mann».
Nach dem Zmittag muss Lüscher weiter. Erst zur Massage, dann zur Arbeit, ehe er am Abend wieder trainieren wird. Ihm reicht es noch lange nicht.