Alle tun so, als seien sie gerade erfolgreich vom Schlachtfeld zurückgekehrt. Die Begrüssungskumpelei wirkt wie ein Signal, das sich Männer gegenseitig geben: Wieder einen Tag überstanden in Zeiten woker Sensibilisierungszwänge, Bruder!
Von allen Unsitten, mit denen sich Männer im öffentlichen Raum ihrer Bedeutung versichern, ist das eine der schlimmsten: die Abklatschbegrüssung. Den Arm wie zum Armdrücken abgewinkelt, wird ausgeholt und dann die in gleicher Weise vorbereitete und ausholende Hand des Gegenübers klatschend ergriffen und umklammert. Das Knallgeräusch gehört ebenso dazu wie die Erschütterung des Körpers beziehungsweise das Nachzittern des Armes.
Der Abschlag-Klammergriff wird, je nach Intimitätsbedürfnis, noch gesteigert: Die Hände fest miteinander verschraubt, zieht man den Begrüssungspartner zu sich heran. Dann wird heftig auf den Rücken geklopft, als sei der andere eine zu bespielende Trommel oder ein Teppich, der entstaubt werden müsse. Auch die diskursive Begleitung ist markig, vorzugsweise kommt die Formel «Na, mein Lieber?!» zum Einsatz. Daneben hat sich «Geht’s gut?» als Standardspruch etabliert.
Das Ritual hat sich milieuübergreifend durchgesetzt. Es lässt sich in Restaurants ebenso bestaunen wie auf der Strasse oder im Grossraumbüro. Männer, so scheint es, haben derzeit ein erhöhtes Bedürfnis nach Verbrüderung und Solidarität. Als begegneten sich Veteranen einer militärischen Spezialeinheit, wird ausgeholt, eingeschlagen und geklammert, was die Armmuskeln hergeben. Im Abklatschklammervollzug wird der andere zum Kameraden.
Die Kids haben wenigstens eine Choreografie
Man kannte dieses Gestenspiel bislang vor allem von Jugendlichen. Die sogenannten Hip-Hop-Kids packten in beschriebener Weise an: schnell ausgeführte Handverklammerung plus Schulterrempeln über Kreuz, dazu wurde ein kerniges «Bruder!» intoniert. Diese Choreografie wird allerdings flüssig, schnell und wie beiläufig absolviert. Anders als beim bürgerlichen Ausholklatschmann, der seinen Auftritt mit raumgreifender Präpotenz inszeniert. Der klassische Handschlag, eine schon bei Primaten beobachtete Technik zur Darstellung ziviler Absichten, wirkt im Vergleich regelrecht schüchtern. Einfach die Hand ausstrecken und höflich «guten Tag» sagen reicht anscheinend nicht mehr. Es muss jetzt eine dröhnende Theaterschmiere der Begrüssung sein.
Warum ergeht sich nun auch die bürgerliche Klasse in dieser Zurschaustellung von Virilität und Draufgängertum? Was ist das für ein Signal, das die durch die Öffentlichkeit begrüssungsmarodierenden Männer aussenden? Zum einen wird es mit Covid zu tun haben, einer Zeit der Entkörperlichung und der virtuell verfassten Anonymität. Ewig vor dem Rechner, immer nur Bits und Bytes, eine Ausdünnung der konkreten Wirklichkeit zur Phantomzone. Wie gut, jetzt wieder den Körper des anderen zu spüren. Schlag ein, Kamerad, und halt dich an mir fest.
Sieht man den glücklich klammerklatschenden Begrüssungsmann, wie er sein Gegenüber buchstäblich in Händen hält, nur lange genug an, stellt sich ein Gefühl unterschwelliger Erotik ein. Das konventionelle Sich-die-Hand-Geben wirkt dagegen wie der frostige Beweis erzwungener Affektkontrolle. Aber das Armschwingen, Klatschen und Klammern besiegelt einen Männerbund im Zeichen physischer Agitation.
Wohlmeinendes Schütteln
Man kann Männer beobachten, die in dieser Greif- und Verbundspose Minuten ausharren und sich mit «Mein Lieber, geht’s gut?!» traktieren. Manchmal wird das Gegenüber auch ruckartig hin- und hergezerrt. Ein wohlmeinendes Schütteln, als müsste man durch Bewegung erst noch die richtige Form als soziale Skulptur erlangen. Können die Begrüssungsmänner nicht voneinander lassen, wird der Moment ausgedehnt. Wir haben es im Griff, wir ziehen an einem Strang, der in diesem Fall der Arm des Gegenübers ist, sagt dieses soziale Theater. Und ist es nicht ein Glück, auf so innige Weise verbunden zu sein?
Ein Gestus der Bestätigung, Ermächtigung, ganz klar. Aber warum muss sich ausgerechnet der heteronormative Cis-Mann, nach allgemeiner Auffassung der Hersteller und Nutzniesser der etablierten Unrechtsverhältnisse (sexistisch, frauenfeindlich, gewalttätig) seiner Präsenz versichern? Wieso begrüssen sich Männer jetzt so, als seien sie gerade erfolgreich vom Schlachtfeld zurückgekehrt? Selbst Mitglieder der Navy Seals oder der Delta Forces sind diskreter, das gestische Aufkommen beim «Hallo»-Sagen betreffend.
Hatte Covid den sozialen Raum zur Zone körperlicher Kontakte ausgedünnt, verdichtet der Zeitgeist nun das Geschehen zum gesinnungssatten Anspruchsszenario. Der Mann musste lernen: Er ist nicht mehr die Ultima Ratio gesellschaftlichen Handelns, die sittlichen Standards setzen die Frauen. Die Zurschaustellung männlicher Dominanz ist in Verruf geraten. Das fing mit dem «Man Spreading», dem Auseinanderklappen der Beine beim Sitzen, an. Zu Recht beschwerten sich Frauen, dass diese Sitzhaltung eine verkappte Aggression darstelle. Das symbolisch ausgestellte Gemächt musste im Angesicht gespreizter Männerbeine zwangsläufig mitgedacht werden. Eine Mini-Aggression, aber immerhin: ein Übergriff. Auch das Hinterherpfeifen, das auf körperliche Vorzüge gehende Kompliment und das lüstern-pseudoverhuschte Berühren, gemeinhin als «touchyness» («Pass auf, er ist touchy!») bekannt, sind passé.
Festhalten am Rollenmodell
Es ist gut, wenn sich Sublimierungsgebote durchsetzen, die Straffung der äusseren Form wirkt auf den Charakter zurück. Männer waren in dieser Hinsicht lange eine Sollbruchstelle, und #MeToo hat das ganze Ausmass der Misere deutlich gemacht. Buchstäblich unter der Hand aber muss sich ein kulturelles Unbehagen beim konventionellen Männertypus breitgemacht haben. Die Begrüssungskumpelei wirkt wie ein Signal, das sich Männer gegenseitig geben: Wieder einen Tag überstanden in Zeiten woker Sensibilisierungszwänge, Bruder!
Im gefühlten Dauerkampf gegen ein postmodern-diverses Kulturklima bestätigt man sich so der Identität als Mann etablierten Zuschnitts. Mögen die Verhältnisse immer unübersichtlicher werden und die Anstandspflichten entsprechend komplizierter sein: Wir halten fest – aneinander und am über Jahrhunderte bestätigten Rollenmodell.
Das männliche Schwingen, Klatschen und Klammern ist eine Ohnmachtsrevue, ein Stück aus dem Geiste der Kompensation. Umso exzentrischer muss es aufgeführt werden. Wird sich diese Tendenz zuspitzen? Wie wird der Sozialraum weiter erschüttert werden vom zeitgeistgequälten Mann? Schlimmes ist zu befürchten. Brusttrommeln, Klammergriffe um den Nacken, das mafiose In-die-Wangen-Kneifen. Das wechselseitige Aneinanderschmettern der Brustpartie, bislang amerikanischen Footballspielern vorbehalten. Die Abklatschbegrüssung ist sicher erst der Anfang.