Die Feindschaft zwischen dem jüdischen Staat und der Islamischen Republik prägt seit Jahrzehnten den Nahen Osten – und könnte in einen offenen Krieg ausarten. Das war nicht immer so.
Im Jahr 2024 hat der Konflikt zwischen den Erzfeinden Israel und Iran einen neuen Höhepunkt erreicht: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte griffen sich die beiden Länder direkt an. Die nächste Eskalation ist womöglich nur eine Frage der Zeit. Iranische Hardliner wollen den Bau einer Atombombe vorantreiben. Israelische Politiker denken laut über einen Angriff auf Irans Nuklearprogramm nach. Eine solche Attacke würde höchstwahrscheinlich in einen offenen Krieg münden.
Dabei gab es einst eine Zeit, in der Iran und Israel beste Beziehungen pflegten. Der Blick in die Geschichte zeigt, wie sich der Hass zwischen den beiden Staaten entwickelt hat.
Israel braucht Öl, Iran will Waffen
Die Staatsgründung Israels im Jahr 1948 erfolgte in einem unwirtlichen Umfeld. Der junge, demokratische Staat war von Feinden umringt, während sich in der Region der Einfluss der Sowjetunion sowie arabischer Nationalismus – propagiert vom Irak, von Syrien und Ägypten – breitmachten. Dieses Umfeld bedrohte auch Iran.
Israel suchte nach Freunden und Verbündeten ausserhalb der umliegenden, feindseligen arabischen Staaten – und wurde in der Türkei, Äthiopien und Iran fündig. Die persische Monarchie war wegen ihrer reichen Ölvorkommen besonders interessant. Die arabischen Staaten hatten Israel nach dessen Gründung mit einem Erdölembargo belegt.
Auch der persische Schah Mohammed Reza Pahlevi bemühte sich um enge Beziehungen zu Israel. Dadurch wollte er die Gunst der USA gewinnen, deren Unterstützung er brauchte, um sein Land zu modernisieren. Um die arabischen Staaten nicht zu erzürnen, hielt er die Beziehungen zu Israel geheim.
Diese Ausgangslage mündete in einer strategischen Partnerschaft: Während Iran den jüdischen Staat mit Millionen Tonnen Erdöl belieferte, half Israel dem Schah, moderne Waffen und Rüstungsgüter zu erwerben. Ab den 1950er Jahren halfen israelische Berater bei der Ausbildung der berüchtigten iranischen Geheimpolizei Savak. Die Israeli berieten die Monarchie auch bei der Modernisierung der Landwirtschaft und in weiteren zivilen Bereichen. Der Handel florierte, Menschen pendelten von einem Land ins andere.
1977 erreichte die Partnerschaft einen Höhepunkt. Mit den sogenannten «Öl-für-Waffen-Abkommen» willigte Israel ein, Iran dabei zu helfen, Rüstungsgüter im Wert von einer Milliarde Dollar zu erwerben. Iran sollte diese mehrheitlich in Erdöl bezahlen. Eines der Abkommen, genannt «Project Flower», beinhaltete die Herstellung und Lieferung von Raketen an Iran, die sogar mit Atomsprengköpfen hätten ausgerüstet werden können. Das Projekt wurde jedoch nie umgesetzt. Die Revolution in Iran kam 1979 dazwischen.
Die Mullahs brauchen die Hilfe des «kleinen Satans»
Der Schah hatte sich in Iran zunehmend unbeliebt gemacht. Mit seiner absolutistischen Politik, der erzwungenen Modernisierung, der verschwenderischen Verherrlichung des Perserreichs sowie der Kooperation mit den USA und Israel frustrierte er breite Schichten seiner Bevölkerung. 1978 entlud sich der Frust in zahlreichen Protesten gegen den Schah. Die Demonstranten forderten die Absetzung des Monarchen. Ein Teil von ihnen sehnte sich zudem nach der Rückkehr des verbannten Ayatollah Ruhollah Khomeiny.
Beides geschah. Im Januar 1979 flüchtete der Schah. Im Februar 1979 kehrte der Kleriker Khomeiny unter dem Jubel seiner Anhänger aus dem Exil zurück, liess sich zum Revolutionsführer ausrufen und errichtete eine islamische Theokratie. Khomeiny wollte seine Revolution in die gesamte muslimische Welt exportieren. Doch die mehrheitlich sunnitischen arabischen Staaten waren dem persisch-schiitischen Iran gegenüber skeptisch bis feindselig eingestellt.
Khomeiny, ein überzeugter Antiimperialist, positionierte sich vehement propalästinensisch, antizionistisch und antiamerikanisch – auch um diese Skepsis zu überwinden. Er erklärte sowohl die USA als auch Israel zu Erzfeinden Irans. Die USA wurden zum «grossen Satan», Israel wurde zum «kleinen Satan». Offiziell wurde jegliche Zusammenarbeit mit Israel nach der iranischen Revolution beendet. Insgeheim überlebte sie für ein weiteres Jahrzehnt.
Israel sah Iran nach der Revolution noch nicht als ernsthafte Bedrohung an, trotz der offenen Feindseligkeit. Im Gegenteil: Als der Irak unter Saddam Hussein im Jahr 1980 der Islamischen Republik den Krieg erklärte, fanden wiederholt geheime Waffenverkäufe Israels an Iran statt. Im Gegenzug liessen die Iraner amerikanische Geiseln frei. Iran und Khomeiny waren dringend auf Waffenlieferungen angewiesen.
Israel versuchte mit den Waffenlieferungen, Vertrauen zu den neuen Machthabern in Iran aufzubauen und ihre Gunst zu gewinnen. Viele israelische Experten und Politiker waren zu jener Zeit überzeugt, dass das Regime in Teheran entweder fallen oder aus Pragmatismus mit Israel kooperieren würde. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Vielmehr begann Iran ab 1982 in Südlibanon die Schiitenmiliz Hizbullah im Kampf gegen Israel zu unterstützen.
Die Atombombe kommt ins Spiel
1991 verschoben sich die Machtverhältnisse im Nahen Osten: Die Sowjetunion, die die arabischen Nationalisten unterstützt hatte, brach auseinander. Saddam Husseins Irak, der sowohl Israel als auch Iran bedroht hatte, erlitt eine Niederlage im Golfkrieg. In diesem hatten die Israeli erfahren müssen, dass sie aus der Distanz verwundbar sind: Im Januar 1991 hatte Saddam Hussein Dutzende Scud-Raketen auf den jüdischen Staat abgefeuert. Diese Erkenntnis wurde in Israel mit der feindseligen Rhetorik Teherans gekoppelt – und Iran löste den Irak als grösste Bedrohung ab.
Israel begann, Iran international zu isolieren, und verdächtigte fortan die Mullahs als Strippenzieher hinter allen negativen Ereignissen: dem Scheitern des Friedensprozesses mit den Palästinensern, der zweiten Intifada, Terroranschlägen in Israel oder Angriffen gegen jüdische Einrichtungen in Lateinamerika. Zwei Projekte Irans schienen die wahrgenommene Bedrohung zu bestätigen: der Bau von Mittel- und Langstreckenraketen sowie das iranische Nuklearprogramm.
Im Oktober 1992 warnte der damalige israelische Aussenminister Shimon Peres erstmals vor den iranischen Bestrebungen, eine Atombombe zu entwickeln. Peres glaubte, dass Iran bis zur Jahrtausendwende über eine Bombe verfügen würde. Es war der Auftakt einer bis heute andauernden Kampagne Israels gegen das iranische Nuklearprogramm.
Teheran hatte derweil begonnen, ein Netzwerk von proiranischen Gruppen aufzubauen – um einerseits die Ideen der islamischen Revolution in den Nahen Osten zu exportieren und um sich andererseits gegen weitere Angriffe des Iraks abzusichern. Künftige Konflikte sollten ausserhalb von Irans Landesgrenzen ausgetragen werden. Iran versorgte islamistische Palästinensergruppen wie die Hamas und den Islamischen Jihad sowie den Hizbullah in Libanon mit Waffen und Geld. Diese teilten nicht nur den iranischen Hass auf den jüdischen Staat – sondern konnten diesen auch direkt angreifen.
Vom Schattenkrieg zur direkten Konfrontation
In den Folgejahren bemühten sich weder Israel noch Iran um eine Entschärfung. Vielmehr weiteten sie den Konflikt aus. Israel etwa drängte den amerikanischen Präsidenten George W. Bush, Iran zur «Achse des Bösen» zu zählen – zu jenen Ländern, denen Bush nach 9/11 vorwarf, Terroristen zu unterstützen und nach Massenvernichtungswaffen zu streben.
Als die USA 2003 Saddam Hussein im Irak stürzten, fiel jenes Hindernis weg, das Irans Einfluss im Nahen Osten eingedämmt hatte. Iran weitete seinen Einfluss aus, indem es schiitische Milizen im Irak unterstützte. Als Israel 2006 eine faktische Niederlage gegen den Hizbullah in Libanon erlitt, intensivierte Iran seine finanzielle und militärische Unterstützung auch für die libanesische Schiitenmiliz.
Israel wehrte sich nicht nur auf diplomatischem Weg. 2010 wurde die Sabotage des iranischen Atomprogramms durch die amerikanisch-israelische Schadsoftware Stuxnet bekannt. Im gleichen Jahr wurde ein iranischer Atomforscher bei einem Attentat getötet, das Israel zugeschrieben wird. Er war das erste Opfer in einer mehrjährigen Serie von Angriffen gegen iranische Atomforscher, zu denen sich Israel allerdings nie bekannte.
Eine weitere Eskalationsstufe erreichten die israelisch-iranischen Beziehungen nach dem Arabischen Frühling 2011 und dem darauffolgenden Bürgerkrieg in Syrien. Iran unterstützte den syrischen Machthaber Bashar al-Asad mit Militärberatern und durch die Rekrutierung schiitischer Milizen. Auch in den Irak entsandte Teheran Tausende Soldaten für den Kampf gegen den Islamischen Staat und festigte sein Netzwerk verbündeter Milizen. Der sogenannte «schiitische Halbmond» war entstanden – ein iranisches Einflussgebiet, das von Iran über Irak, Syrien, Libanon bis in die palästinensischen Gebiete reichte.
Israel reagierte nun auch militärisch. Ab 2013 flog die israelische Luftwaffe Hunderte Einsätze gegen Einrichtungen Irans und dessen Verbündete in Syrien. Israel wollte damit vor allem iranische Waffenlieferungen an seine Grenzen verhindern. Immer wieder drohte dieser Schattenkrieg in einen offenen Krieg zu eskalieren.
Dann kam der 7. Oktober 2023.
Israel zerschlägt das iranische Netzwerk
An jenem Tag überfielen Terroristen der Hamas Israel, töteten fast 1200 Menschen und verschleppten über 250 Geiseln. Noch bevor das Ausmass der Greueltaten wirklich an die Öffentlichkeit drang, beschuldigte Israels Präsident Isaac Herzog Iran, als Strippenzieher hinter dem Überfall zu stecken. Bis heute ist unklar, inwiefern Iran von den Plänen der Hamas wusste oder an deren Vorbereitung beteiligt war. Fest steht hingegen, dass Irans Verbündete und Stellvertreter im Nahen Osten an der Seite der Hamas in den Krieg eingriffen: der Hizbullah aus Libanon, die Huthi von Jemen aus. Iran hingegen hielt sich zurück und vermied es zunächst, Israel anzugreifen – sehr zum Verdruss seiner Verbündeten.
Doch die Israeli erhöhten den Druck auf die Iraner: Mit einem Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus im April 2024, der Tötung des Hamas-Chefs Ismail Haniya im Juli in Teheran sowie mit einer beispiellosen Kampagne gegen den Hizbullah, Teherans wichtigsten Verbündeten.
Iran sah sich zu einer Reaktion gezwungen. Nach dem Angriff auf das Konsulat feuerte es Hunderte Drohnen und Raketen auf Israel ab. Der zweite Angriff folgte am 1. Oktober, als Vergeltung für die Ermordung Haniyas und Israels Angriffe in Libanon. Drei Tage zuvor hatten die Israeli den Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah getötet. Israel reagierte auf beide Angriffe mit Luftangriffen gegen iranisches Territorium.
Derzeit scheint eine fragile Ruhe im Nahen Osten eingekehrt zu sein. In Libanon ist eine Hizbullah-kritische Regierung an die Macht gekommen, die Schiitenmiliz ist stark geschwächt. In Syrien stürzten Rebellen den Teheran-treuen Bashar al-Asad und warfen die Iraner aus dem Land. In Gaza schweigen die Waffen – vorerst. Die «Achse des Widerstands» ist weitgehend zerschlagen. Doch die Gefahr eines Krieges zwischen Israel und Iran ist nicht gebannt. In Teheran glauben manche, dass sich Iran nur noch mit dem Bau einer Atombombe absichern könne.
Gleichzeitig hat der amerikanische Präsident Donald Trump erneut eine Politik des «maximalen Drucks» gegenüber Iran angekündigt. Kurz nach seiner Amtsübernahme gab er die Lieferung von 900-Kilo-Bomben an Israel frei, die sein Vorgänger eingefroren hatte. Jene Bomben, die den Hizbullah-Chef Nasrallah in einem Bunker tief unter Beirut getötet haben sollen – und die es Israel ermöglichen würden, Irans unterirdische Atomanlagen ins Visier zu nehmen.