«Let’s Talk About Feelings», der neue Roman des Millennial-Autors, produziert einen Protagonisten so langweilig, wie das die Literatur schon lange nicht mehr erlebt hat.
Er befürchte, hat der französische Schriftsteller Michel Leiris einmal gesagt, «dass Literatur so etwas ist wie eine Komödie der Gefahr». Nimmt man diese Definition, dann sind die Romane von Leif Randt so etwas wie Gegenliteratur.
Hier gibt es nirgendwo Gefahr. Die Knautschzonen ökonomischer Abgesichertheit tragen die Figuren durchs Leben. Auch in den Zonen des «love interest» sind die Gefühle bis in die Risikolosigkeit heruntergedimmt.
Der Vater dilettiert auf Tiktok
«Allegro Pastell» war vor fünf Jahren Randts epochemachender Roman über ein Lebensgefühl der Millennials, das schon im Titel steckt: ein bisschen lebhaft, aber auch Pastell. Nichts allzu Gewagtes, keine Aufregungen.
Im neuen Roman von Leif Randt, «Let’s Talk About Feelings», geht es jetzt noch weniger aufregend zu. Jedenfalls hat die Literatur schon lange keine langweiligere Hauptfigur hervorgebracht als diese. Der Name des Helden ist Programm: Marian. Er ist offiziell einundvierzig Jahre alt, gefühlt aber deutlich jünger.
Auf einem Schiff am Berliner Wannsee muss der Sohn Abschied von seiner verstorbenen Mutter nehmen. Ihre Asche wird in die Wellen gestreut. Marian liest seine Trauerrede vom extra dafür gekauften Tablet ab. Die Mutter war Model und Mode-Ikone, der Vater früher Sprecher bei den ARD-«Tagesthemen». In seiner Pension dilettiert er jetzt erstaunlich erfolgreich auf Tiktok. Er hat eine Ferienwohnung auf Teneriffa und hat mit seiner zweiten Frau noch zwei Kinder gezeugt: Teda ist DJ und reist für ihre Sets durch die Welt, ihr Bruder Colin engagiert sich beim Ortsverein Charlottenburg der Regierungspartei Progress ’16, einer Art SPD.
Politische Wirklichkeitsverschiebung
Beim Politischen gibt es in Leif Randts Roman sanfte Verschiebungen der Wirklichkeit. Fast so, als müsste er sich gegen den Einbruch des tatsächlichen Lebens in den selbsterschaffenen Kosmos der Scheinwelten schützen. Marian ist sozusagen der Hausmeister dieser Scheinwelten. Obwohl der Roman nicht aus der Ich-Perspektive erzählt ist, wird man in eine Gedankenwelt hineingezwungen, die affiziert ist von Oberflächen.
Als Boutiquenbesitzer leidet Marian unter einem vielleicht nicht gefährlichen, aber doch enervierenden «millennialhaften» Distinktionssyndrom, das sich selbst als Stil verklärt. Er beurteilt die Menschen seiner Umgebung danach, was sie tragen. Und so wird man über die dreihundert Seiten des Romans Zeuge eines Gedankenstroms, der Labelnamen aneinanderreiht und sich in modischen Beschreibungsexzessen ergeht.
Vom «Heat-Tech-Winterset von Alberta» geht es über die «erstaunlich engen Hosen von Monica Spicer» und die «T-Shirts von Silent Mustache mit ziemlich gelungenen Rückenprints» bis zum «glänzenden Abeltoyago-Fleece». Die modische Frühreife des Gymnasiasten Marian wird so beschrieben: «Er trug Holzketten um den Hals und Schlüsselketten an tiefsitzenden Nylonhosen. Dass er keine Baggyjeans, sondern ausschliesslich Baggyhosen aus anderen Materialien trug, war ein kleiner Twist mit grosser Wirkung.»
Im Stil steckt die Essenz des Menschen
Bei Leif Randt kämpft man sich durch Garderoben, in denen angeblich die Essenz des Menschen stecken soll, aber in Wahrheit sucht man auch den vergeblich. Randt ist der Meister einer Künstlichkeit, in der man bei einigem Willen Satire erkennen kann. Oder leider eben auch nicht. Und dann ist «Let’s Talk About Feelings» trotz seinen virtuos komponierten Bildern ziemlich banal.
In der Boutique «Kenting Beach» läuft es nicht richtig rund, und weil man über das Piratenlabel Pandabuy auch Markenfälschungen im Laden hat, macht man sich ein bisschen Sorgen, dass man verklagt werden könnte. Keine grosse Sache für Marian, finanziell ist er einigermassen abgesichert. Er führt ein Leben an der Normalnull der Aufregungen. Die beendete Beziehung zu Franca, die schon von einem anderen ein Kind bekommt, das dann Carmen Caribu Schmitt heissen wird, hängt ihm noch ein bisschen nach.
Mit der Ärztin Selin («bleigraues Jackett mit überlangen Ärmeln») könnte etwas werden, aber die Sache verläuft im Sand. Der Werbetexter Piet («weite Shorts aus einem festen Jerseymaterial, ein weisses Basecap und ein grünes Seidenhemd») und der «Kenting Beach»-Buchhalter Sergej sind Marians Freunde. Wenn sie ihn nach dem Tod der Mutter fragen, wie es ihm geht, antwortet er: «Normal.»
In diesem kybernetischen Glückszustand, der keine unmittelbare Bewegung erforderlich macht, fühlt sich ein Held am wohlsten, dessen Midlife-Krise sich allein dahingehend auswächst, dass er eine bunte Designerküche kauft. «In diesen Räumlichkeiten kocht ein eleganter Clown», hat Marians Mutter gerade noch sagen können.
Im luftdichten Nirgendwo
Den Roman über vermisst man den distanzierten Blick auf das Elend einer ungefährdeten Zufriedenheit, die sich dann auch noch im Politischen überhebt. Für das Apolitische ergreift Leif Randts Hauptfigur Partei und denkt abenteuerliche Dinge wie diese: «So viel Liebe zum Detail wie bei den expressiven Fashion Kids in China war vielleicht nur möglich, wenn man sich zu gesellschaftlichen Themen gar nicht erst äussern durfte und diese also weniger Kapazitäten lähmten.»
Was Leif Randt wirklich kann: seine Romanszenarien in luftdichtes Nirgendwo verschieben. Seine Art, die Wirklichkeit zu überhöhen, hat etwas Affirmatives und kann gleichzeitig als Kritik an den Verhältnissen durchgehen. Dieser Kippeffekt ist bei «Let’s Talk About Feelings» über weite Strecken vielleicht das Unterhaltsamste, gleichzeitig aber auch ermüdend.
In der Mitte hohl
Gegen Ende des Romans gibt es tatsächlich noch so etwas wie romance, die wie ein Metakommentar zum bisher Geschehenen zu lesen ist. Marian verliebt sich in eine junge Filmemacherin namens Kuba. Sie hat gerade einen Film namens «Foxtown» gedreht, in dem zwei Freundinnen im Wohnmobil quer durch Europa und von Outlet-Center zu Outlet-Center fahren.
«Auf eine Art ist das auch ein Modefilm. Ich glaube, er könnte dir gefallen», sagt Kuba. Im hippen Stadtmagazin «BerlinHasBeen» kam der Streifen über die beiden Modefetischistinnen leider nicht so gut weg. «In der Mitte hohl», war die Kritik übertitelt. «Wo Marian eine schöne, universelle Melancholie empfunden hatte und ganz nah bei den sympathischen Figuren gewesen war, hatten sich in der Kritikerin anscheinend Antipathie und eine bleierne Ohnmacht ausgebreitet, und das war, dachte Marian, natürlich das Problem der Kritikerin und nicht das Problem des Films.» Film wie Buch: So ist es.
Leif Randt: Let’s Talk About Feelings. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2025. 320 S., Fr. 35.90.