Wie viel ist Klubtreue noch wert? In Bern hat man Philippe Furrer nie verziehen, den SCB jemals verlassen zu haben. Dennoch wurde er nun in den Legenden-Status erhoben.
Es hat sich im Schweizer Eishockey eingebürgert, dass die Rückennummern verdienstvoller Spieler nach ihrem Karriereende bei ihren Stammklubs nicht mehr vergeben werden, ganz nach nordamerikanischem Vorbild. Felix Hollenstein (24) und Roman Wäger (21) beim EHC Kloten, Ari Sulander (31) oder Mathias Seger (15) bei den ZSC Lions, Alfio Molina (1), Sandro Bertaggia (2) und Petteri Nummelin (33) in Lugano sind bei ihren ehemaligen Klubs auf diese Weise verewigt.
Beim HC Davos verweigerten Reto von Arx (83) und sein Bruder Jan (78) die Teilnahme am symbolischen Akt. Lieber hätten die unsentimentalen und auch etwas sturen Emmentaler noch ein, zwei Saisons an-, statt ihre Dresse aufgehängt.
In Bern betreffen die zurückgezogenen Nummern 14 Spieler, fünf weitere gelten als sogenannte «Kultspieler». Philippe Furrer fehlte bisher unter ihnen. Dabei wünschte er sich nichts mehr als das. Am Sonntag wurde dieses Versäumnis nachgeholt, und Furrer sagt: «Für mich bedeutet es eine Welt.» Die Zeremonie für den Nationalspieler und dreifachen Meister fand am Sonntag im Rahmen eines Legendenspiels statt, an dem ehemalige Mitspieler und auch Furrers drei Meistertrainer Kent Ruhnke (2004), Larry Huras (2010) und Antti Törmänen (2013) teilnahmen. Nur rund 2000 Zuschauer verfolgten den Akt in der Arena, die üblicherweise über 16 000 Zuschauer füllen. Für das Verkehrschaos vor der Arena sorgte nicht das Legendenspiel, sondern eine Messe für Motorrad- und Roller-Zubehör, die gleichzeitig stattfand.
Im Visier des harten, unversöhnlichen SCB-Anhangs
Man hätte Furrer auch am Abend zuvor im letzten Qualifikations-Heimspiel der Saison gegen den Lausanne HC ehren können. Die Kulisse wäre da bedeutend grösser gewesen (16 250). Doch der SCB befürchtete eine Protestaktion des teilweise fanatischen Berner Anhangs. Der harte Kern der Anhänger, die sogenannten Bäregräbeler, hatten angekündigt, dass man dem Match entweder fernbleibe oder dem Eis während der Zeremonie zumindest den Rücken zuwende, sollte Furrer im Match gegen Lausanne geehrt werden.
Philippe Furrer ist ein SCBler durch und durch. Der 38-Jährige hat ab dem Bambini-Alter sämtliche Nachwuchsmannschaften des Klubs durchlaufen. Während 24 Jahren trug er das SCB-Dress, ehe er gegen Ende seiner Karriere noch etwas anderes sehen wollte und zum HC Lugano wechselte. Das nahm man in Bern noch mit einem Stirnrunzeln hin. Doch dass er nach drei Jahren im Tessin noch vier Jahre bei Fribourg-Gottéron weiterspielte, hat man ihm nie verziehen.
Als in Anhänger-Kreisen ruchbar wurde, dass man den ehemaligen Spieler wider Erwarten doch noch ehren werde, erreichten ihn Hassbotschaften auf seinen sozialen Plattformen. «Du bist kein echter SCBler» oder «du bist keine Legende unseres Klubs» waren noch die schmeichelhaftesten Botschaften. Kaum hatte Furrer den Klub verlassen, gab man seine Rückennummer 29 Martin Ness weiter, der nur 20 Partien für den SCB bestritt und heute für Olten in der Swiss League spielt.
Um die Ablehnung und ihre Vehemenz zu verstehen, mit der die Fans auf Furrers Abgang reagierten, muss man die Rivalität des Berner Anhangs mit jenem von Fribourg-Gottéron kennen. Für einen Berner gibt es nichts Schlimmeres, als wenn sich einer der ihren Gottéron anschliesst. Die Aggressivität zwischen den beiden Anhänger-Gruppen ist berüchtigt und führt regelmässig zu Polizeieinsätzen.
Die Abneigung wird schon den Nachwuchsspielern eingetrichtert. Als der SCB im Play-off-Final 2013 mit Philippe Furrer in der Verteidigung Gottéron besiegte und Meister wurde, verbrannte Christoph Bertschy nach dem Match auf dem Eis zum Gaudi des Berner Anhangs einen Freiburger Schal. Der Clou daran: Bertschy, damals 19-jährig, ist Freiburger, begann seine Karriere auch dort und schloss sich erst mit 14 Jahren dem Nachwuchs des SC Bern an. Heute spielt er wieder für Gottéron und ist hinter den Schweden Marcus Sörensen und Marcus Wallmark der drittbeste Skorer des Teams.
Als Furrer 2018 aus Lugano in die Deutschschweiz zurückkehrte, hätte er sich gerne wieder dem SCB angeschlossen. Doch dort wollte man ihn nicht mehr. Namentlich der mächtige CEO Marc Lüthi sträubte sich dagegen. Furrer hat seither einiges zur unversöhnlichen Stimmung beigetragen. Mehrmals äusserte er sich negativ über seinen Jugendverein.
Im Gespräch mit der NZZ sagte Philippe Furrer: «Wertschätzung ist für mich etwas sehr Wichtiges. Sie zählt mehr als Materielles. Wir müssen aufpassen, dass sie nicht ganz verlorengeht.» Dass man in Bern festgeschrieben hat, ein Spieler müsse seine Karriere beim SCB beenden, damit seine Rückennummer zurückgezogen werde, bezeichnete er einst als «Lex Furrer». Letzte Woche sagte er: «Wenn ich gewusst hätte, dass das eine Voraussetzung ist, ich hätte den Klub nie verlassen.»
Marc Lüthi will sich zur Angelegenheit nicht mehr äussern
Furrer ist nicht die einzige SCB-Legende, die ihre Karriere nicht im Klub beendet hat. Martin Rauch und Patrick Howald, zwei andere verdiente SCB-Spieler, spielten am Ende ebenfalls bei Gottéron. Trotzdem hängen ihre Leibchen schon lange in Bern unter dem Stadiondach. Marc Lüthi will sich zur Angelegenheit nicht mehr äussern. Er sagte einzig, falls er am Sonntag im Stadion sein werde, dann höchstens spontan. Die führende Rolle im Festakt überliess er Rolf Bachmann, der als Chief Sponsoring Officer in der Geschäftsleitung sitzt und im SCB für die zwischenmenschliche Wärme verantwortlich ist. Als Furrers Dress zu den Klängen des Berner Marschs hochgezogen wurde, blieb es im Stadion ruhig.
Die ganze Affäre macht den Anschein einer Provinzposse, einer Lappalie, die überdimensionierte Bedeutung erhielt, weil zwei Männer ihren Stolz nicht überwinden konnten. Doch es ist auch das Produkt der Frage, wie viel Wertschätzung langjährigen Mitarbeitern zusteht, wenn diese nicht bereits über den Lohn abgegolten worden ist, der im Fall von Philippe Furrer in Bern nicht klein war.
Am Montag findet in der Schweizer Meisterschaft die letzte Qualifikationsrunde statt. Der SC Bern spielt auswärts gegen Fribourg-Gottéron. In der Eishalle der Freiburger hängen acht Nummern in Erinnerungen an grosse Spieler. Unter anderen jene von Slawa Bykow (90), Andrei Chomutow (91) und des kanadischen Raubeins Shawn Heins (44), nicht aber die 5 von Philippe Furrer. Es hat ihn nie gestört, weil er im Herzen immer ein Berner geblieben ist.