Eine der treibenden Kräfte hinter dem Coup gegen die bisherigen Krankenkassenverbände ist der Chef der KPT, Thomas Harnischberg. Unter den «internen Fehden» habe das Ansehen der Branche gelitten, sagt er. Und trotz SVP-Hintergrund ist er des Lobes voll für die Gesundheitsministerin.
Herr Harnischberg, es gibt bereits zwei Krankenkassenverbände: Santésuisse und Curafutura. Nun wollen Sie noch einen dritten gründen. Wieso das?
Wir wollen nicht einen dritten Verband gründen – sondern den einzigen. Wir sind zurzeit bereits 13 grosse Versicherer, die mit über 90 Prozent der Grundversicherten die klare Mehrheit vertreten. Das ist ein starkes Zeichen für eine einheitliche Lösung. Die Gründungsmitglieder werden ihre Mitgliedschaften in den bestehenden Verbänden kündigen. Wir gehen daher davon aus, dass es Curafutura und Santésuisse in der heutigen Form nicht mehr geben wird. Curafutura dürfte aufgelöst werden. Bei Santésuisse möchten wir, dass die Tochtergesellschaften als Dienstleister für die gesamte Branche bestehen bleiben. Die gesamte politische Arbeit aber soll an den neuen Verband übergehen.
Das ist ein Paukenschlag. Weshalb haben Sie und Ihre Mitstreiter sich für diesen relativ brachialen Weg entschieden?
Es war schon lange klar, dass es so nicht weitergehen kann. Die beiden Verbände haben sich in der Öffentlichkeit und im Austausch mit der Politik ein permanentes Hickhack geliefert. Nicht einmal in wichtigen Dossiers und vor Volksabstimmungen waren sie in der Lage, am gleichen Strick zu ziehen. Das war manchmal fast schon peinlich. Dabei haben die Krankenkassen bei den meisten Themen dieselben Anliegen und Bedürfnisse. Wegen der Unstimmigkeiten konnten wir unsere Interessen weniger gut durchsetzen, unsere Schlagkraft und unser Ansehen haben gelitten. Deshalb haben wir als KPT bereits letztes Jahr die Mitgliedschaft bei Curafutura gekündigt. Ein Verband muss für seine Mitglieder da sein, nicht umgekehrt. Das war hier nicht mehr der Fall.
Wie brachten Sie die anderen Krankenkassen dazu, ebenfalls auszutreten und einen Neustart zu riskieren?
Der Wunsch, einheitlich aufzutreten, ist in der ganzen Branche vorhanden. Die meisten Krankenkassenchefs wissen schon lange, dass sich etwas ändern muss. Die Frage war nur, wann und wie wir den Neuanfang machen. Der Streit um den ambulanten Tarif in den letzten Wochen war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Das ist gesundheitspolitisch das wichtigste Geschäft seit langem. Dass es die Verbände hier nicht schafften, eine gemeinsame Position zu finden, hat weder die Bevölkerung noch die Politik verstanden – und wir in der Branche erst recht nicht. Man nimmt uns nicht mehr ernst, wenn unsere Vertreter sich bei derart wichtigen Fragen gegenseitig widersprechen.
Weshalb gründen Sie einen neuen Verband? Man könnte das als Beispiel dafür sehen, dass es im Gesundheitswesen immer noch zu viel Geld gibt: In anderen Branchen würde man bestehende Verbände umbauen, den Kurs ändern, die Chefs austauschen. Warum planen Sie nicht einfach eine Fusion und setzen einen neuen Direktor ein?
Es gab in der Vergangenheit auch schon Fusionsbestrebungen. Vorübergehend hat es gut ausgesehen, als die Präsidien neu besetzt wurden. Doch letztlich sind alle Versuche gescheitert, weil eine Fusion zu viele Verlierer produziert. Jetzt fehlt uns die Zeit für weitere Anläufe. Verbesserungen sind in den gegenwärtigen Strukturen nicht möglich, es braucht einen Neuanfang. Unabhängig davon werden die Kosten mit unserem Plan garantiert sinken. Wir finanzieren künftig nur noch einen Verband für die politische Arbeit.
Was geschieht mit den Angestellten der bestehenden Verbände?
Wir sind bestrebt, gute Lösungen für alle zu finden. Die Mitarbeitenden beider Verbände leisten fachlich gute Arbeit. Wir sind sehr interessiert, viele Fachleute für den neuen Verband zu gewinnen.
Können Sie sich vorstellen, dass einer der Direktoren der bestehenden Verbände den neuen Chefposten übernimmt?
Die Personalien sind noch offen. Eines steht für mich aber gerade nach den Erfahrungen der letzten Jahre fest: Die Person an der Spitze ist extrem wichtig. Ihr Charakter, ihr Rollenverständnis, ihre Offenheit werden darüber entscheiden, ob der neue Verband ein Erfolg wird. Wir brauchen jemanden, der mit allen reden kann und den Konsens sucht.
Sind es diese Eigenschaften, die Sie bei den amtierenden Verbandschefs vermissen?
Das habe ich nicht gesagt. Generell wünsche ich mir weniger Konfrontation und mehr Pragmatismus. Und natürlich haben die derzeitigen Probleme auch mit zwischenmenschlichen Schwierigkeiten zu tun. Was objektiv fehlte, ist der Wille zum Kompromiss.
Lange gab es einen einzigen Verband: Santésuisse. 2013 ist er an inneren Spannungen zerbrochen, Curafutura entstand. Was macht Sie so sicher, dass es den neuen Verband in ein paar Jahren nicht genauso zerreissen wird?
Wir werden uns genau überlegen müssen, wie wir die Strukturen und die Spielregeln des neuen Verbands festlegen. Vor allem müssen wir klären, wie wir unsere Positionen definieren und mit internen Differenzen umgehen, die es weiterhin geben wird. Aber andere Branchen, die heterogener sind als wir, schaffen das auch, zum Beispiel der Versicherungsverband. Bei uns sind die Unterschiede in den letzten Jahren sogar noch kleiner geworden. Die Geschäftsmodelle der Krankenkassen nähern sich an. Und noch etwas stimmt mich zuversichtlich: In den letzten Jahren haben wir die Erfahrung gemacht, dass zwei Verbände nicht zielführend sind.
Sprich: Schlimmer als heute kann es nicht werden?
Das ist salopp ausgedrückt, aber nicht ganz falsch.
Ist es wirklich so schlimm?
Das ist jetzt meine persönliche Meinung: Ja, es ist schlimm. Mit unseren internen Fehden geben wir in der Öffentlichkeit und der Politik ein schlechtes Bild ab. Da fragt sich doch jeder Stimmbürger, was mit den Krankenkassen los ist, wenn die selbst nicht wissen, was sie wollen. Ich kann es ihnen nicht einmal verargen. Ich anerkenne, dass beide Verbände stets das Beste wollten und von ihren Lösungen überzeugt waren. Aber das reicht nicht. Man muss sich auch zusammenraufen können. Sonst entsteht in der Bevölkerung eine ungute Stimmung. Dann werden plötzlich politische Schnellschüsse mehrheitsfähig, weil man ein Zeichen gegen die zerstrittenen Krankenkassen setzen will.
Gründen Sie den neuen Verband vor allem, um die Einführung einer staatlichen Einheitskasse zu verhindern?
Vom neuen Verband erwarten wir, dass wir wieder mit einer Stimme sprechen und unsere Argumente besser zum Ausdruck bringen können. Wenn uns das gelingt, können wir den Leuten auch erklären, dass es illusorisch ist, wenn die SP behauptet, man könne mit einer staatlichen Einheitskasse Geld sparen. Ich habe früher beim Staat gearbeitet und kenne dieses Umfeld. Es ärgert mich, wenn SP-Präsidentin Mattea Meyer die Arbeit der Krankenkassen und ihrer Mitarbeitenden schlechtmacht. Ich lade sie ein, unsere Leute hier am Hauptsitz einen Tag bei der Arbeit zu begleiten, zu schauen, was wir wirklich machen. Aber wer weiss, vielleicht sollten wir es einfach einmal drauf ankommen lassen.
Wie meinen Sie das?
Ich sage das jetzt als absolut persönliche Meinung: Ich hätte nichts dagegen, wenn der Bund in einem Kanton wie Genf oder Neuenburg erlauben würde, eine staatliche Einheitskasse während ein paar Jahren auszuprobieren. Dann wollen wir mal sehen, ob die Gesundheitskosten und Prämien wirklich weniger steigen. Das gehört auch zur Offenheit, die ich mir für die Zukunft wünsche.
Am Mittwoch hat der Bundesrat über den ambulanten Tarif entschieden, bei dem die bestehenden Verbände ebenfalls uneins waren. Wie beurteilen Sie den Entscheid und die Arbeit der Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider?
Positiv. Ich erkenne einen Willen, zuzuhören und Lösungen zu suchen, der gerade im Vergleich mit dem früheren Gesundheitsminister sehr erfreulich ist. In den Diskussionen um den Tarif hat sich die Bundesrätin stark engagiert und das Gespräch mit vielen Akteuren gesucht, um diesen Kompromiss aufzugleisen – obwohl dies eigentlich die Aufgabe der gesamten Gesundheitsbranche gewesen wäre: der Versicherer, der Spitäler, der Ärzte. Wir müssen die Tarifpartnerschaft dringend neu beleben. Die Wiedervereinigung der Krankenkassen ist ein erster Schritt dorthin.
Ein politischer Kassenchef
fab. Thomas Harnischberg ist ein untypischer Krankenkassenchef: Der CEO der Berner KPT hat eine eminent politische Vergangenheit. Seine Wurzeln liegen in der bernischen SVP. Der Rechtsanwalt war in den Stäben mehrerer Bundesräte von Adolf Ogi über Christoph Blocher bis zu Eveline Widmer-Schlumpf tätig. Später fand er via Mobiliar zur KPT, die er seit 2022 führt. Die KPT hat zuletzt mit einem starken Wachstum für Furore gesorgt.