Der US-Pharmakonzern Eli Lilly hat in den vergangenen fünf Jahren den Börsenwert versechsfacht. Dank seiner Abnehmspritze winken ihm stark steigende Umsätze. Wer wie Roche in diesem Bereich noch nichts auf dem Markt hat, wird von Investoren übergangen.
«Wer hat, dem wird gegeben», heisst es, oder auf Englisch: «The winner takes it all.» Im Pharmasektor trifft das vortrefflich auf den amerikanischen Medikamentenhersteller Eli Lilly zu.
Die Aktien der Firma sind 2024 trotz Verlusten im zweiten Semester um ein weiteres Drittel gestiegen. Über die vergangenen fünf Jahre gerechnet, hat sich ihr Kurs gar versechsfacht. Und mit einer Marktkapitalisierung von mittlerweile 750 Milliarden Dollar ist Eli Lilly mit Abstand zum wertvollsten Pharmakonzern der Welt aufgestiegen.
Das Unternehmen verdankt seine Beliebtheit bei Investoren hauptsächlich dem Medikament Mounjaro, das zunächst gegen Diabetes zugelassen wurde. Seit einem Jahr ist es unter dem Markennamen Zepbound in den USA und Europa auch zur Behandlung von starkem Übergewicht beziehungsweise von Fettleibigkeit erhältlich.
Kurz vor Weihnachten erteilte die US-Gesundheitsbehörde FDA dem Produkt auch als Therapie gegen Schlafapnoe grünes Licht. Diese Erkrankung, bei der die Atmung während des Schlafs wiederholt kurzzeitig aussetzt, tritt bei übergewichtigen Patienten häufig auf.
Noch viel Raum für Wachstum
Analysten der Investmentbank Morgan Stanley beziffern die Zahl der Betroffenen, die in den USA gleichzeitig an Schlafapnoe und Fettleibigkeit leiden, auf 10 Millionen. Nach ihrer Einschätzung dürfte die zusätzliche Indikation dazu führen, dass weitere private Krankenversicherer die Kosten für die Behandlung mit Zepbound übernehmen. Auch der staatliche Versicherer Medicare, dessen Leistungen allen Bewohnern der USA ab 65 offenstehen, könnte das Produkt für Patienten mit starkem Übergewicht und Schlafapnoe freigeben.
Noch erreicht Zepbound ähnlich wie das Konkurrenzprodukt Wegovy des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk nur einen Bruchteil der Patienten, die für eine Behandlung infrage kämen. In den USA, wo 110 Millionen von Fettleibigkeit Betroffene lebten, liege die Marktdurchdringung beider Medikamente zusammen erst bei 6 Prozent, geben die Branchenexperten zu bedenken.
Die Analysten von Morgan Stanley erklären sich das vor allem damit, dass noch immer zu wenig produziert wird, um die hohe Nachfrage zu befriedigen. Aber auch die Einschränkungen bei der Kostenübernahme versperren vielen Patienten den Zugang zu den neuartigen Produkten zur Gewichtsabnahme.
Rasche Ausweitung der Produktion
Die Behandlung mit Zepbound kostet in den USA für Selbstzahler je nach Dosis zwischen 400 und 550 Dollar pro Monat. Für Wegovy mussten Patienten bis anhin sogar über 1300 Dollar berappen. Deutlich günstiger ist das Produkt in Europa. Dank Rabatten sowie zusätzlichen Produktionskapazitäten, welche die Anbieter selbst und zusammen mit Partnern fieberhaft aufbauen, dürften beide Medikamente aber für einen grösseren Kreis von Patienten verfügbar werden.
Finanzanalysten erwarten denn auch, dass Eli Lilly und Novo Nordisk den Umsatz in den nächsten zwei Jahren stark ausweiten werden. So soll allein Eli Lilly den Konzernerlös von 45 auf 70 Milliarden Dollar erhöhen. Novo Nordisk dürfte laut der Datenbank S&P Capital IQ den Umsatz im selben Zeitraum von 40 auf knapp 57 Milliarden Dollar steigern.
Von solchen Wachstumsraten können andere Pharmakonzerne nur träumen. Novartis beispielsweise wird sich, so erwartet es der Markt, bis 2026 mit einer Umsatzsteigerung von 2,5 auf knapp 48 Milliarden Dollar begnügen müssen. Roche dürfte die Verkäufe um immerhin fast 6 auf 67 Milliarden Franken erhöhen, wird aber auch so deutlich hinter dem fulminanten Wachstum von Eli Lilly und Novo Nordisk zurückbleiben.
Dämpfer für Novo Nordisk
Novo Nordisk erhielt erst Ende vorletzter Woche an der Börse einen argen Dämpfer, nachdem publik geworden war, dass sich eine potenzielle weitere Abnehmspritze des Konzerns im späten Stadium der klinischen Entwicklung als nicht ganz so wirksam wie erhofft erwiesen hatte. Der Vorfall, der das Unternehmen gleichentags 100 Milliarden Dollar an Börsenkapitalisierung kostete, illustriert, in welch stratosphärische Höhen die Erwartungen rund um das Geschäft mit den Therapien gegen Fettleibigkeit gestiegen sind. Kommt es zu Enttäuschungen, drohen unweigerlich Kurseinbrüche.
Allerdings trauen Beobachter Eli Lilly und Novo Nordisk zu, sich weiterhin den grössten Anteil der stark expandierenden Einnahmen in diesem Markt zu sichern. Bis anhin haben die beiden Konzerne als einzige Hersteller sogenannte GLP-1-Agonisten erfolgreich zur Behandlung von Fettleibigkeit lanciert. Der Markt, dessen Volumen sich 2023 auf 10 Milliarden Dollar beschränkte, könnte sich bis zur nächsten Dekade auf über 100 Milliarden vergrössern.
Firmen, die wie Roche und Novartis in diesem Geschäft noch nichts auf dem Markt haben, müssen sich damit abfinden, von Anlegern ignoriert zu werden. Die Genussscheine von Roche tendierten dieses Jahr lediglich seitwärts. Seit 2019 haben sie einen Fünftel an Wert eingebüsst. Der Aktienkurs von Novartis bewegte sich sowohl im Zeitraum der letzten fünf Jahre als auch 2024 auf der Stelle.
Expansion mithilfe von Akquisitionen?
Bei beiden Schweizer Branchenschwergewichten fällt es Analysten schwer, längerfristig starke Wachstumstreiber zu identifizieren. Dazu sei die Pipeline in Forschung und Entwicklung zu schwach aufgestellt, monieren viele.
Eine Möglichkeit wäre indes, sich zusätzliche Einnahmen durch Akquisitionen zu beschaffen. Analysten von Baader Europe raten Roche, Wirkstoffe ausserhalb der GLP-1-Technologie zu erwerben, um am boomenden Geschäft mit Therapien gegen Fettleibigkeit zu partizipieren. «Das wäre eine der schnellsten Arten, um die Aufmerksamkeit des Finanzmarkts zu gewinnen», konstatieren sie.