Die gebürtige Britin Emma Pooley war Weltmeisterin im Zeitfahren, brilliert auch in anderen Ausdauersportarten und hat einen Doktortitel in Geotechnik. In ihrem neuen Buch verbindet sie ihre Liebe für Sport mit jener für Essen.
Es gibt Mahlzeiten und Häppchen, die haben sich in Emma Pooleys Gedächtnis eingebrannt. Da war die beste Pizza ihres Lebens nach ihrem zweiten Platz am Giro d’Italia 2011, von der sie heute noch weiss, wie sie belegt war. Da war ein Käsebrötchen in Andermatt, so simpel und so himmlisch, nachdem sie nach drei Alpenpässen einen Hungerast erlitten hatte. Oder da war eine Solero-Glace in einer Bergbeiz nach dem Weltrekord im Everesting 2020 mit dem Velo, als sie so erschöpft und so glücklich war, dass sie auf den Boden sass und fast weinte. Was Everesting ist, dazu später mehr.
Emma Pooley ist ein Universalgenie im Ausdauersport. Die 42-Jährige war für Grossbritannien Weltmeisterin und Olympiazweite im Zeitfahren, hat Radrennen wie die Grande Boucle Féminine oder Flèche Wallonne gewonnen. Vor drei Jahren wurde sie nach ihrer Einbürgerung in der Schweiz Elfte an den Berglauf-Weltmeisterschaften über 80 Kilometer, sie war mehrfache Duathlon-Weltmeisterin, hat Ironmen absolviert, die Aufzählung ist unvollständig.
In diesen Wochen nun ist Pooley zur Autorin geworden: Sie veröffentlicht ein Buch mit Haferflockenrezepten für Snacks für die Veloausfahrt oder den Trailrun. Sie blättert im Buch, während sie in der heimeligen Küche ihres alten Bauernhauses in Hausen am Albis sitzt und aus ihrem facettenreichen Leben erzählt. Von Abenteuern in der Natur, die anders herausgekommen sind als geplant, bis zu ihrem Einsatz für den Radsport der Frauen.
Gesunde Snacks statt teure Riegel für die Veloausfahrt
Auch ihr Buch ist angereichert mit Anekdoten aus ihrer Karriere. Ausdauersport und eine intensive Beschäftigung mit dem Essen gehen Hand in Hand, doch das Verhältnis ist oft kompliziert. Pooley sagt: «Zu meiner Zeit als Radprofi sah man das Essen sehr klinisch: Du brauchst so und so viele Kalorien pro Tag, Schoggi ist nicht nötig, und es muss auch nicht gut schmecken.»
Gegen die vielen Restriktionen und das Credo, dass dünner immer besser sei, wehrte sich Pooley – indem sie erst recht Schokolade ass. «Ich war etwas rebellisch.» Über die Jahre erarbeitete sie sich einen positiven Zugang zum Essen. Sie geniesst es heute, gesund zu essen.
So kam ihr vor über zehn Jahren auch die Idee für das Buch, das angelehnt an Beethovens «Ode an die Freude» «Oat to Joy» heisst – «oat» ist das englische Wort für Hafer. Weil Pooley nicht ständig auf hochverarbeitete und teure Riegel zurückgreifen wollte, experimentierte sie in der Küche mit Haferflocken. Die Snacks kamen auch bei ihren sportlichen Mitstreiterinnen gut an, sie teilte die Rezepte mit ihnen.
Im Buch thematisiert sie auch andere Aspekte ihrer Radsportkarriere als das Essen. Etwa, wie sie sich der Angst vor dem Fahren im Peloton stellte, vor allem in Abfahrten. «Ich habe heute noch Albträume davon.» Denn obwohl Pooley im Radsport die grössten Erfolge ihrer Karriere erzielte, kam sie erst als Quereinsteigerin zu dieser Sportart, ihre Leidenschaft gilt bis heute vor allem dem Laufen.
Doch Pooley ist verletzungsanfällig. Nach einem Ermüdungsbruch lieh sie sich mit 21 Jahren als Alternative zum Lauftraining ein Rennvelo aus. «Ich fand es gar nicht lustig», sagt sie. «In Südengland war es windig und flach, das Velo war mir zu gross, und mir war ständig kalt.» Was ihr aber gefiel: die Klubszene in England, der soziale Aspekt der gemeinsamen Ausfahrten und die Pausen mit Kaffee und Kuchen.
In den folgenden Jahren feierte sie im Duathlon und im Radsport zahlreiche Erfolge. Damals lebte sie längst in der Schweiz. Nach Abschluss ihres Studiums in Bauingenieurwissenschaften in Cambridge entschied sie sich, an der ETH Zürich in Geotechnik zu doktorieren. Ihre Doktormutter war die spätere Rektorin Sarah Springman, ebenfalls eine ausgezeichnete Triathletin.
Jahrelang kombinierte Pooley Studium und Spitzensport, 2016 trat sie vom Radsport zurück. Der Sport hat sie aber nie losgelassen. Sich in der Natur zu bewegen, sei für sie wie Meditation, sagt sie. Und sie fordert sich immer wieder heraus. Zurzeit tastet sie sich an den Alpinismus heran, auch wenn sie dafür ihre Höhenangst überwinden muss. Sie nimmt zu Fuss oder auf dem Velo auch an Ultra-Events teil oder sucht sich schlicht kleine Abenteuer in den Bergen in Form von Bikepacking-Touren, die oft damit enden, dass sie das Velo tragen muss – unter ihren Freunden sind diese Ausflüge berüchtigt.
Im Sommer 2020 fuhr Pooley das Hope 1000, eine Mountainbike-Prüfung über 1000 Kilometer und 30 000 Höhenmeter durch die Schweiz, die ohne Hilfe nonstop absolviert wird – sie nahm dafür das Gravelbike. Da wegen der Corona-Pandemie alle Wettkämpfe abgesagt waren und sie sich in ausgezeichneter Form befand, entschied sie danach spontan, sich am Everesting-Weltrekord zu versuchen.
Das Phänomen Everesting gibt es als offizielle Challenge seit 2012, und sein Prinzip ist so: Zu Fuss oder mit dem Velo werden 8848 Höhenmeter ohne Pause auf immer demselben Abschnitt überwunden, insgesamt ergibt sich also das Äquivalent zum höchsten Berg der Welt, dem Mount Everest. Pooley suchte sich für das Auf und Ab die Haggenegg im Kanton Schwyz aus, eine Steigung mit 13 Prozent im Durchschnitt, die 1 Meter 57 kleine Athletin liebt es steil.
Die Form war da. Aber an jenem Tag war es so heiss, dass sie ihren Wasserverbrauch unterschätzte und öfter als geplant anhalten musste, um ihre Flasche aufzufüllen. Zudem fuhr ein Bauer auf der schmalen Strasse sein Heu ein und hielt sie bei ihrem letzten Anstieg an, um sie zusammenzustauchen. Dennoch schaffte sie in 8 Stunden und 53 Minuten einen Weltrekord. «Nie wieder», dachte sich Pooley – und absolvierte zwei Monate später ein Everesting mit dem Gravelbike.
Das Everesting möchte sie auch noch zu Fuss versuchen
Nun reizt es sie, das Ganze auch noch zu Fuss zu versuchen. «Das Schöne am Everesting ist für mich, dass es nicht diskriminierend ist. Jeder auf der ganzen Welt kann es machen, und es geht nicht darum, schnell zu sein. Ich bewundere jene fast noch mehr, die 24 Stunden dafür benötigen.» Eine solche Herausforderung sagt ihr viel mehr zu als der Strassenradsport, der aus so vielen Regeln besteht, auch ungeschriebenen, dass er in ihren Augen viele abschreckt.
Ist Pooley fit genug, versucht sie vielleicht auch, sich zum dritten Mal für die Berglauf-WM zu qualifizieren.
Bei dem eindrücklichen Palmarès gibt es in Pooleys Leben aber auch ein Kapitel, das sie nicht erfolgreich abgeschlossen hat. Mit fast vierzig Jahren setzte sie einen lang gehegten Wunsch um und begann ein Zahnmedizinstudium. Zwei Jahre später brach sie es ab. «Es war das erste Mal, dass ich etwas Grosses aufgegeben habe», sagt sie, «das hat eine kleine Lebenskrise ausgelöst.»
Und doch hatte die Niederlage etwas Gutes: Obwohl sie dachte, sie habe so viele Jahre nach dem Studium und ohne Erfahrung keine Chance in ihrem Beruf, arbeitet sie nun als Geotechnikerin. Für ein Unternehmen, das alles unter der Oberfläche macht, von Baugruben-Prognosen bis zu Naturgefahren-Beobachtungen in steilem Gelände. Sie hat auch dort ihr Glück gefunden.