Der Einfluss des Menschen findet sich auf der ganzen Erde. Dennoch verweigert ein Fachgremium jetzt die Ausrufung eines Menschenzeitalters. Das hat auch damit zu tun, was Geologen unter Zeit verstehen.
Die Menschen verändern die Erde in rasantem Tempo. Fast überall auf dem Planeten ist ihr Einfluss zu spüren – von den Abgasen in der Luft und dem Klimawandel über den Plastikmüll im Meer bis hin zu radioaktiven und giftigen Substanzen im Boden. Doch eine neue Epoche bedeutet das nach Einschätzung von Geologen trotzdem nicht. Ein Fachgremium hat es am Montag abgelehnt, den Beginn des «Anthropozäns» zu deklarieren.
Das «Menschenzeitalter» hätte dem seit 11 700 Jahre andauernden Holozän ein Ende gesetzt – also der Epoche, in der wir uns gegenwärtig befinden. Damit findet eine teilweise emotional geführte Debatte ein vorläufiges Ende.
Bis zu einem neuen Anlauf muss man zehn Jahre warten
Das Gremium, das die Entscheidung gefällt hat, ist eine Unterabteilung der Internationalen Union der Geologischen Wissenschaften (IUGS). 18 Wissenschafter und Wissenschafterinnen haben als sogenannte Subcommission on Quaternary Stratigraphy nicht weniger als die Aufsicht über die geologische Zeitskala inne. Zwei Drittel der Gremiumsmitglieder sprachen sich jetzt gegen das Anthropozän als neue Epoche aus. Der Entscheid ist nicht endgültig, bis zu einem neuen Anlauf muss allerdings zehn Jahre gewartet werden.
Eine öffentliche Mitteilung der Kommission fehlt noch, und es bestehen Unklarheiten über den ordnungsgemässen Ablauf der Wahl. Doch auf verschiedenen Kanälen ist bereits bekanntgeworden, wie die opponierenden Wissenschafter ihre Ablehnung begründen. Laut der «New York Times» zweifeln sie keineswegs den riesigen Einfluss des Menschen auf die Erde an. Aber sie waren unter anderem nicht mit dem gewählten Datum für den Beginn des Anthropozäns einverstanden.
Vorgeschlagen war für den Start des neuen Zeitabschnitts das Jahr 1952. Denn damals begannen sich die radioaktiven Spuren der ersten Atombombentests niederzuschlagen. Wenn das Anthropozän erst 1952 begänne, würde man den Einfluss des Menschen auf Klima und Umwelt in der Zeit davor ignorieren, erklärte der niederländische Geologe Thijs van Kolfschoten gegenüber der NZZ. Der emeritierte Professor der Universität Leiden hat in der Kommission Wahlrecht.
Der Beginn des Anthropozäns ist unklar
Ähnlich äusserte sich ein weiteres Kommissionsmitglied gegenüber der «New York Times», der Geologe Jan Piotrowski von der Universität Aarhus in Dänemark. Auch den Beginn der Landwirtschaft oder die industrielle Revolution könnte man nach seiner Ansicht bereits zum Anthropozän zählen.
Es gibt aber auch ganz grundsätzliche Argumente, die gegen die Deklaration des Anthropozäns als Epoche sprechen und im Hintergrund eine Rolle gespielt haben dürften. Innerhalb der Fachdisziplin dient die geologische Zeitskala eigentlich dazu, sich zeitlich in der Vergangenheit zu orientieren – insbesondere in den geologischen Ablagerungen, die oft Hunderte Millionen Jahre alt sind.
Oft lässt sich nicht sehr genau bestimmen, wann ein Abschnitt endete und der nächste begann. In solchen Fällen nutzen die Wissenschafter auffällige geologische Schichten, um die zeitliche Abfolge überall auf der Erde wiederzuerkennen. Dieses Problem existiert in der Neuzeit überhaupt nicht mehr, denn alle Ereignisse lassen sich sehr genau datieren. Mit anderen Worten: Die geologische Zeitskala erfüllt nur für die lang zurückliegende Vergangenheit einen Zweck.
Epoche statt Event – die Ambition war gross
Vor allem die Anthropocene Working Group, eine internationale wissenschaftliche Arbeitsgruppe, hatte sich jahrelang für die Deklaration des Anthropozäns eingesetzt. In der Öffentlichkeitsarbeit kooperierte die Gruppe stark mit dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Im vergangenen Jahr hatte die Arbeitsgruppe mit viel Stolz einen möglichen Ort präsentiert, an dem man den Beginn des Anthropozäns definieren könnte – den pittoresken Crawford Lake in Kanada.
Zu den stärksten Kritikern der Gruppe zählt Stanley Finney von der California State University in Long Beach, der Leiter der IUGS. Diese übergeordnete Fachgesellschaft hätte in dem langwierigen Entscheidungsprozess das letzte Wort gehabt, wenn das Anthropozän das erste Votum überstanden hätte.
Laut dem Wissenschaftsmagazin «Science» beklagt sich Finney darüber, die Anthropozän-Arbeitsgruppe habe darauf bestanden, den neuen Zeitabschnitt zu einer Epoche zu erklären, also auf die gleiche Stufe wie das Holozän zu stellen. Weniger formelle Bezeichnungen seien abgelehnt worden. Finney und andere Geologen hatten vorgeschlagen, das Anthropozän stattdessen als geologisches «Event» einzustufen, eine Klassifizierung, an die weniger strenge Kriterien angelegt werden. Doch das war der Anthropozän-Arbeitsgruppe deutlich zu wenig.
Jetzt hat die Arbeitsgruppe mit ihrer Strategie zwar Schiffbruch erlitten. Aber daran, dass alle Welt sagt, wir befänden uns längst im Anthropozän, dürfte sich durch die fehlende Adelung zur geologischen Epoche nichts ändern. Der Begriff des Anthropozäns ist längst etabliert. Niemand wird ihn jetzt aufgeben, nur weil Wissenschafter ihn nicht formalisieren wollen.