Die sogenannte CCS-Technik wird gebraucht, will man die CO2-Emissionen so stark senken, wie es die Klimaziele vorsehen. Deutschland plant jetzt sogar ein Pipelinenetz für CO2.
Ein Morgen im Jahr 2035: In der Zentrale des CO2-Hubs Basel macht sich die Schichtleiterin an die Arbeit. Vor sich hat sie eine digitale Landkarte mit drei grossen Pipelines, die aus Industriezentren der Schweiz zu ihrer Anlage führen. Die Schichtleiterin meldet ihren Kollegen in der deutschen CO2-Leitzentrale in Wilhelmshaven den voraussichtlichen Entsorgungsbedarf der Schweiz.
Wenig später bekommt sie einen Plan zurück, zu welchen Uhrzeiten sie welche Mengen Schweizer Treibhausgase zur Verpressung 600 bis 1200 Meter tief unter der Nordsee schicken darf.
Sieht so die Zukunft aus? Was jetzt noch wie Science-Fiction klingt, ist bereits ganz real in Vorbereitung. Bis zum Jahr 2050 wollen die Schweiz und die EU treibhausgasneutral werden, also im Saldo keine Treibhausgase mehr freisetzen. Doch für einen Teil des CO2 – geschätzte 7 bis 12 Millionen Tonnen pro Jahr in der Schweiz und 50 bis 60 Millionen Tonnen in Deutschland – ist bis jetzt keine tragfähige Möglichkeit in Sicht, sie ganz abzustellen.
Um diese Mengen trotzdem von der Atmosphäre fernzuhalten, sollen sie gesammelt und dann entweder für neue Produkte genutzt oder viele hundert Meter tief ins Gestein verpresst werden, um für immer dort zu bleiben.
Von der Schweiz nach Rotterdam
Auch in der Schweiz beschäftigt man sich mehr und mehr mit der Entsorgung von CO2. So gibt es zum Beispiel ein Projekt der ETH Zürich namens «Demo Up Carma» («Demonstration and upscaling of carbon dioxide management solutions for a net-zero Switzerland»), finanziert vom Bundesamt für Energie und vom Bundesamt für Umwelt. In diesem Projekt wird erprobt, CO2 in Containern per Zug nach Rotterdam und weiter per Schiff nach Island zu bringen, wo das Gas im Kontakt mit Gestein schadlos werden soll (NZZ vom 16. Februar 2024).
In Deutschland nimmt nun ein Plan Konturen an, der für die Schweiz ebenfalls relevant ist: Man möchte ein verzweigtes Netz von CO2-Pipelines installieren, das in die Nordsee mündet. Von Karlsruhe in Baden-Württemberg könnte eine Pipeline nach Basel gelegt werden, um eidgenössisches CO2 aufzunehmen – darüber gab es bereits Gespräche zwischen deutschen Anbietern und Schweizer Behörden.
Seit die EU grünes Licht für die «Abscheidung und Einlagerung von Kohlenstoff», kurz CCS für Carbon Capture and Storage, gegeben hat, kommt viel Schwung in konkrete Projekte. Vielen deutschen Unternehmen kann es gar nicht schnell genug gehen. Das betrifft zum Beispiel die Produzenten von Kalk, der als Zutat in vielen industriellen Prozessen benötigt wird.
Ein erheblicher Teil des CO2, rund 750 Kilogramm pro Tonne Kalk, komme im Herstellungsprozess aus dem Gestein selbst, sagt Martin Volmer, Klimaschutzstratege von Lhoist, dem Weltmarktführer für industriellen Kalk. Dieses Abgas sei «unvermeidbar, wenn man unsere Produkte herstellen will».
CCS eignet sich gut für die Zementindustrie
In einer ähnlichen Lage befindet sich die Zementindustrie. Beton ist aus unserem Leben kaum wegzudenken, aber in der Herstellung ebenfalls sehr CO2-intensiv.
CCS ist dort, wo Kohlendioxid in konzentrierter Form vorliegt, also in Industrieanlagen oder Kraftwerken, technisch machbar. Das deutsche Helmholtz-Geoforschungszentrum hat im brandenburgischen Ketzin bereits zwischen 2008 und 2013 demonstriert, dass man CO2 sicher in den tiefen Untergrund verpressen und dort dauerhaft einlagern kann.
«Unsere Nachuntersuchungen über fünf Jahre hinweg haben anschliessend gezeigt, dass der Speicher dicht ist», sagt die Institutsleiterin Susanne Buiter. Das Kohlendioxid werde entweder in salzhaltigem Wasser gebunden oder verwandle sich langsam selbst zu Gestein.
Zur selben Zeit hat allerdings die damalige Berliner Regierung das Verfahren per Gesetz aus Angst vor Widerständen aus der Bevölkerung faktisch verboten. «Im Kern wurde dem Ganzen damals ein Riegel vorgeschoben, und das ist bis heute so geblieben», kritisiert die Geophysikerin Buiter.
Grosse Industrieunternehmen drängen darauf, dass der Bann schnell aufgehoben und die unterirdische CO2-Einlagerung mit einem neuen Gesetz ermöglicht wird. «Um die internationalen Klimaziele zu erreichen, müssen die ersten grosstechnischen Abscheideanlagen im Zementsektor vor 2030 in Betrieb genommen werden – und dafür braucht es die entsprechende Infrastruktur von Pipelines und Lagerstätten», sagt eine Sprecherin von Heidelberg Materials, einem der weltweit grössten Unternehmen der Zementbranche.
Auch die deutschen Wissenschaftsakademien fordern den Einsatz des Verfahrens: «Das Risiko, ohne den Einsatz von CCS die Klimaziele zu verfehlen, überwiegt die Risiken der CCS-Anwendung», schrieben sie Mitte April.
Die Wirtschaft weiss: Emissionen kosten künftig immer mehr
Für die Firmen ist Zeit teuer. Denn der Preis für CO2-Emissionen dürfte trotz einer Verbilligung in letzter Zeit mittelfristig in der EU deutlich steigen. Jahr für Jahr schrumpft die Zahl der verfügbaren Zertifikate gegen null. Für Unternehmen mit unvermeidbaren Emissionen geht es bei CCS um die Existenz – sofern nicht etwa dem Nachschub an Beton zuliebe die Klimaziele geschleift werden.
Lhoist bereitet sein Kalkwerk im nordrhein-westfälischen Wülfrath, Heidelberg Materials sowie seine Zementfabrik im ebenfalls nordrhein-westfälischen Geseke deshalb schon jetzt mit EU-Fördermitteln auf CCS vor. Ein wichtiger Schritt ist die Einführung des sogenannten Oxyfuel-Verfahrens.
Bei der bisherigen Verbrennung mit Luft befindet sich im Abgas viel Stickstoff – einfach weil Luft zu 78 Prozent aus Stickstoff besteht. Dieses Gas nimmt Platz weg. Im sogenannten Oxyfuel-Verfahren soll dagegen konzentrierter Sauerstoff für die Verbrennung eingesetzt werden. Dann besteht das Abgas zum grössten Teil aus CO2.
Dazu müssen aber teure neue Öfen entwickelt und eingebaut werden. Zudem braucht es neuartige Anlagen, um das Treibhausgas abzukühlen und transportfähig zu machen. Heidelberg Materials plant anfangs den Transport per Zug nach Wilhelmshaven ein, weil man nicht warten will, bis das Pipelinenetz steht. Insgesamt geht es bei beiden Projekten um jährlich 1,7 Millionen Tonnen CO2.
Politisches Ringen um die Verpressung unter dem Meer
Doch warum soll das ungeliebte Gas nicht im Gestein an Land entsorgt werden? Das wäre auch laut Martin Volmer von Lhoist am wenigsten aufwendig. Verantwortliche Politiker befürchten aber weiterhin erhebliche Widerstände aus der Bevölkerung. Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzt deshalb ganz auf das Meer.
Ende Februar stellte Habeck seinen Gesetzentwurf in Berlin vor. Der Bund erlaubt darin grundsätzlich nur die Verpressung im Meer, zum Beispiel in der sogenannten ausschliesslichen Wirtschaftszone bis 200 Seemeilen vom Küstenmeer entfernt oder in Kooperation mit Dänemark oder Norwegen.
Dass zwischen der Schweiz und der Nordsee doch noch weitere Endlagermöglichkeiten an Land entstehen werden, ist unwahrscheinlich. Zwar bot Wirtschaftsminister Habeck den sechzehn Bundesländern an, sie könnten CCS-Projekte an Land in Eigenregie und ohne Förderung durch den Bund realisieren. Eine Umfrage bei den zuständigen Ministerien der Länder ergab jedoch, dass die meisten von Habecks Angebot keinen Gebrauch machen wollen.
Die Kapazitäten werden also endlich sein. Das bedeutet für die Schweiz, dass man sich rechtzeitig Kontingente sichern müsste, um zum Zug zu kommen.
Ein Transportnetz für Kohlendioxid ist bereits in Planung
Die CO2-Pipelines sollen in privater Trägerschaft entstehen und betrieben werden. Das auf Fern-Pipelines spezialisierte Unternehmen OGE und ein junges Unternehmen namens Tree Energy Solutions (TES) profilieren sich bereits mit weit fortgeschrittenen Planungen für das «CO2-Startnetz», das knapp 1000 Kilometer lang sein und ein Transportvolumen von rund 18 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ermöglichen soll.
Die Firmen Wintershall Dea und HES Wilhelmshaven Tank Terminal haben zudem eine Absichtserklärung für ein Terminal an der Nordseeküste namens «CO2nnect Now» unterzeichnet. Von dort aus würde das Gas zu sogenannten Injektionsstellen auf offener See gebracht.
Ob der Plan gelingt und sich damit auch der Schweiz eine Möglichkeit für den direkten Transport von CO2 zur Nordsee eröffnet, hängt nun an der Ampelkoalition in Berlin. Sie müsste rasch ein neues CCS-Gesetz verabschieden. Vor allem Habecks eigene Partei, die Grünen, hat ökologische wie klimapolitische Bedenken: Dass CO2-Pipelines auch durch bestehende Meeresschutzgebiete gebaut würden, stösst vielen sauer auf. Umweltschützer warnen davor, dass die Speicher undicht werden könnten und das Meeresökosystem darunter leiden könnte.
Zweiter grosser Kritikpunkt ist, dass laut dem Gesetzentwurf auch Gaskraftwerke ihr CO2 im Untergrund entsorgen dürften. Nur deutsche Kohlekraftwerke will Habeck ausschliessen. Je mehr Nutzer, desto billiger der Transport pro Tonne, lautet das Kalkül. Dagegen fürchten Kritiker, dass dies fossile Geschäftsmodelle verlängern könnte: «CCS bei Gaskraftwerken ist kontraproduktiv, weil erneuerbare Energien als Alternative viel günstiger sind», sagt Niklas Höhne, Professor für Klimapolitik an der Universität von Wageningen in den Niederlanden und Leiter des New Climate Institute in Köln.
Habeck will CCS der eigenen Partei damit schmackhaft machen, dass das Verfahren künftig nicht nur dafür eingesetzt werden soll, Emissionen zu vermeiden, sondern auch dafür, Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Diese sogenannten negativen Emissionen werden laut dem Weltklimarat IPCC vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wichtig. Ohne Zutun des Menschen würde es Jahrhunderte oder Jahrtausende dauern, bis der CO2-Gehalt und damit die Erwärmungskraft wieder sinkt.
Der Klimaökonom Ottmar Edenhofer, einer von zwei Direktoren des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, befürwortet die Strategie mit den negativen Emissionen: «Wir brauchen eine planetarische Müllabfuhr», sagt er.