Der schnellste Mann der Schweiz wird zum zweiten Mal gesperrt, für insgesamt 14 Jahre zieht ihn das Schweizer Sportgericht aus dem Verkehr. Die Urteilsbegründung legt die Hintergründe des Betrugs des 34-jährigen Wilson offen.
Seine Karriere endete mit einem Knall: Kurz vor der Abreise an die Sommerspiele 2021 in Tokio gab Alex Wilson bekannt, in einer Urinprobe vom März sei Trenbolon gefunden worden, eine Substanz, von der er zuvor noch nie gehört habe. Das Mittel wird in der Kälbermast eingesetzt, weshalb Wilson die Erklärung präsentierte, es sei durch kontaminiertes Fleisch in seinen Organismus gelangt.
Seine Theorie wurde entkräftet, der Athlet für vier Jahre gesperrt – doch Wilson bestritt stets, jemals Dopingsubstanzen zu sich genommen zu haben. Dabei wäre es wohl geblieben, hätte Wilson nicht mit dem amerikanischen Drogendealer Eric Lira zusammengearbeitet. Der Mann, der sich als Kinesiologe und Naturheiler bezeichnet, wurde im Februar in den USA zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Es war das erste Mal, dass das Rodtschenkow-Gesetz zur Anwendung kam, das es ermöglicht, gegen Hintermänner des Dopings vorzugehen. Die Ermittlungen führte die Bundespolizei FBI. Wilson hatte behauptet, er habe sich von Lira bloss wegen Rückenschmerzen behandeln lassen und dessen Unterdruckkammer benutzt, um die Sauerstoffproduktion im Blut anzuregen.
Ab Montag hätte Wilson wieder starten dürfen
Lira aber legte ein umfassendes Geständnis ab, um Strafminderung zu erreichen – und lieferte auch Fakten zum Schweizer Sprinter. Diese führten in der Schweiz zur Eröffnung eines zweiten Verfahrens gegen Wilson. Und zu einem knallharten Urteil: Wilson wird vom Schweizer Sportgericht für weitere zehn Jahre gesperrt. Das wurde kurz vor Ablauf der ersten Sperre bekannt. Ab kommenden Montag wäre der Athlet wieder startberechtigt gewesen, allerdings hat er schon länger erklärt, er werde nicht in den Sport zurückkehren.
Swiss Sport Integrity legt in einem Communiqué dar, wie es zur zweiten Verurteilung kam. Aufgrund von Hintergrundinformationen wurde 2022 eine Blutprobe vom Juli 2021 noch einmal gezielt auf EPO untersucht. Sie war positiv. Wilson bestritt, die Substanz verwendet zu haben, doch das zweite Verfahren nahm seinen Lauf.
Ermittlungen aus den USA belegen zudem, dass der Sportler im Besitz von diversen Dopingmitteln war, namentlich von Wachstumshormonen. Ausserdem gab er im Kontrollsystem absichtlich falsche Aufenthaltsorte an, um nicht stets unangekündigt greifbar zu sein. Auch das ist ein Verstoss gegen die Antidoping-Regeln.
Die Regeln sehen bei einem zweiten Dopingfall die Verdoppelung des maximalen Strafmasses von vier auf acht Jahre vor. Aufgrund erschwerender Umstände hat das Sportgericht noch zwei Jahre daraufgepackt. Zusammen mit der ersten Sperre ergibt das 14 Jahre – das Gericht hat ein Exempel statuiert.
Alex Wilson ist offensichtlich ein Betrüger
Und so ergibt sich knapp vier Jahre nach der Nachricht von einer positiven Dopingprobe ein völlig anderes Bild, als es Wilson selbst von sich zeichnete. Er ist nicht das naive Opfer, das nach dem Verzehr von ein paar saftigen Steaks in die Mühlen der Dopingbekämpfung gerät, sondern offensichtlich ein Betrüger, der mit allen Mitteln zum Erfolg kommen wollte.
Als das erste Verfahren gegen ihn 2021 bereits eröffnet war, lief er in den USA an einer Provinzveranstaltung unter nie ganz geklärten Umständen mit 9,84 Sekunden vermeintlich Europarekord über 100 Meter, über vier Zehntel schneller als kurz zuvor an den Schweizer Meisterschaften. Die Zeit wurde nie homologiert.
Der Prozess gegen den Dealer Lira hat auch offengelegt, dass sich die Methoden in der Leichtathletik trotz vollmundigen Beteuerungen in den letzten zwanzig Jahren nicht gross geändert haben. 2002 lief der amerikanische Sprinter Tim Montgomery mit 9,78 Sekunden Weltrekord. Ein Jahr später flog der Balco-Skandal auf, benannt nach einem Labor, in dem Sportler systematisch gedopt wurden.
Wie man Sprinter zu Rekorden dopt
Im Rahmen der Ermittlungen wurde ein Dokument gefunden, das aufzeigte, wie Montgomery über Monate mit diversen verbotenen Substanzen zum Rekord getunt worden war: Anabolika, Wachstumshormone, EPO. Es scheint, als hätten sich Wilson und seine Hinterleute an diesem Schema orientiert.
Der frühere Leichtathlet hat sich längst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Und so wird wohl auch niemals die Frage geklärt werden, wie und warum er zum Betrüger wurde. Es gibt Insider, die behaupten, der Tod seines Mentors und Trainers Lloyd Cowan im Januar 2021 habe ihn völlig aus der Bahn geworfen. Cowan starb an Covid, Wilson musste sich wenige Monate vor den Sommerspielen ein neues Umfeld suchen.
Dieses war offensichtlich toxisch. Der neue Trainer war O’Neil Wright, und es scheint, als habe er die Kontakte zum Drogendealer Lira geknüpft. 2022 wurde die von Wright trainierte Dreispringerin Sabina Allen für vier Jahre gesperrt – aufgrund von Erkenntnissen im Fall Lira. Es gibt allerdings auch Leute, die sagen, Wilson habe bereits 2019 damit geprahlt, dass er Zugang zu speziellen Hilfsmitteln habe.
So oder so bleibt nichts übrig von der sportlichen Tellerwäscherkarriere des Alex Wilson. Mit sieben Jahren kam er mit seiner Mutter aus Jamaica in die Schweiz, er hatte Mühe in der Schule, fand einen Platz im Sport und arbeitete sich hoch bis aufs EM-Podest 2018. Seine spontanen Sprüche machten ihn zum Publikumsliebling. Doch dann wollte er zu hoch hinaus – und fiel tief.