Johan Floderus wurde mit fadenscheinigen Gründen inhaftiert und nach 790 Tagen gegen einen iranischen Kriegsverbrecher ausgetauscht. Seine sexuelle Orientierung verheimlichte der Schwede.
Wer das Gebäude der EU-Kommission in Brüssel betritt, dem begegnet Johan Floderus schon nach wenigen Metern. «Welcome home, Johan», steht auf einem grossen Plakat. Die Erleichterung, die im Juni dieses Jahres in der EU-Zentrale nach der Freilassung des Schweden herrschte, hält auch Monate später noch an.
Der Mitarbeiter des Europäischen Auswärtigen Dienstes hatte im April 2022 Iran besucht, als Tourist zusammen mit Freunden. Bei der Rückreise wurde er am Flughafen aus heiterem Himmel verhaftet und in den Norden Teherans gebracht. Der damals 32-jährige Schwede erkannte das Evin-Gefängnis, die berühmteste und berüchtigtste Haftanstalt des Landes. Die nächsten 790 Tage sollte er dort verbringen.
Wie er es schaffte, dort den Verstand nicht zu verlieren und trotz regelmässigen Rückschlägen die Hoffnung nicht aufzugeben, erzählte er nun «Politico». Die erste Zeit war die schwierigste. Floderus war anfangs noch überzeugt davon, dass er Opfer einer Verwechslung geworden sei und bald mit einem der nächsten Flüge nach Brüssel würde zurückkehren können.
Der Spionage bezichtigt
Doch dem war nicht so: Iran bezichtigte ihn der Spionage und führte als «Beleg» frühere Reisen nach Iran an, die er im Auftrag des EU-Aussenbeauftragten gemacht hatte, um Hilfsprojekte mit afghanischen Flüchtlingen durchzuführen. Man habe ihm und der EU vorgehalten, das iranische Establishment stürzen zu wollen, sagt er heute.
Floderus war in einer Einzelzelle gefangen, die er lediglich drei Mal wöchentlich während jeweils zwanzig Minuten verlassen durfte. Da er nichts zu tun hatte, ging er in seiner zwölf Quadratmeter grossen Zelle sechs Stunden pro Tag im Kreis herum und machte während zweier weiterer Stunden Fitnessübungen. Doch damit war der Tag noch nicht um. «Wenn ich völlig erschöpft war, legte ich ein nasses Handtuch auf mein Gesicht, schloss die Augen und flüchtete einfach mental», sagt er. «Ich verbrachte eine Stunde damit, einfach woanders zu sein. Es war die beste Zeit des Tages.»
Die Öffentlichkeit wusste zu diesem Zeitpunkt noch nichts von der Inhaftierung. Sein Partner erzählt, dass sich Freunde nach ihm erkundigt hätten, als er nicht nach Hause gekommen sei – er habe ihnen aber nur sagen dürfen, dass sich Johan um einen «familiären Notfall in Schweden» kümmern müsse. Der EU-Aussendienst und die schwedische Regierung hatten entschieden, die Sache unter Verschluss zu halten, um mit Iran ohne öffentlichen Druck verhandeln zu können.
Schach, Kartenspiele und Englisch
Worum es dem Regime ging, war schnell klar: Nur zwei Monate vor der willkürlichen Festnahme Floderus’ war der ehemalige iranische Justizbeamte Hamid Nouri in Schweden wegen Kriegsverbrechen zu einer lebenslänglichen Haft verurteilt worden. Das passte den Mullahs naturgemäss gar nicht – also musste ein Zufallsopfer aus jenem Staat her, um die «Geiseldiplomatie» in Gang setzen zu können. Doch die schwedische Regierung lenkte vorerst nicht ein.
Nach acht Monaten konnte Floderus, der fliessend Farsi spricht, immerhin die Isolierzelle verlassen. Seinen Mitinsassen habe er Kartenspiele und Schach beigebracht, um die Zeit totzuschlagen. Gar Poker, das nach islamischem Recht verboten ist, hätten sie gespielt, erzählt er. Manchen habe er Englischunterricht erteilt.
Dass er homosexuell ist, verheimlichte der grossgewachsene Schwede gegenüber seinen Zellengenossen, unter denen sich Dissidenten, Mörder und Mitglieder der IS-Terrormiliz befanden. Die Gefängnisbeamten wussten aber wohl von seiner sexuellen Orientierung – sie hatten bei der Verhaftung sein Mobiltelefon durchsucht.
Das romantische Ende
Mit seinem Partner konnte Floderus zum ersten Mal nach zehn Monaten und auch danach nie länger als ein paar Minuten telefonieren. Die einzige Person, mit der er regelmässig in Kontakt treten durfte, war ein Mitarbeiter der schwedischen Botschaft. Dieser überreichte ihm eines Tages Leo Tolstois «Krieg und Frieden». Floderus las das 1500-Seiten-Epos drei Mal.
Im Juni fand die Leidensgeschichte schliesslich ein Ende: Floderus sowie ein Landsmann, der ein halbes Jahr zuvor ebenfalls inhaftiert worden war, durften das Gefängnis verlassen. Der Preis dafür war allerdings hoch: Schweden musste im Gegenzug den Kriegsverbrecher Nouri freilassen. Man habe «schwierige Entscheidungen» fällen müssen, sagte danach der Ministerpräsident.
Am Flughafen in Stockholm warteten die Familie und sein langjähriger Partner. Für ihn wurde das Wiedersehen nach weit über zwei Jahren doppelt emotional: Noch auf dem Rollfeld ging Floderus in die Knie – und machte ihm einen Heiratsantrag.