Nach dem ersten Einsatz der Suizidkapsel sass der Direktor der zuständigen Organisation zehn Wochen in U-Haft. Ein anderer «dringender» Tatverdacht gegen ihn bleibt bestehen.
Als politischen Gefangenen präsentierte der Erfinder der umstrittenen Suizidkapsel Sarco, Philip Nitschke, seinen Mitstreiter Florian Willet. So schrieb Nitschke vor einigen Tagen auf X: Während der «Rest von uns» Kaffee trinke und debattiere, ob man den Sarco möge oder nicht, sitze Willet seit vielen Wochen in einem Schweizer Gefängnis. Ein «wahrer Märtyrer für die internationale Sterbehilfebewegung» sei Willet, erklärte Nitschke.
..and, meanwhile, while the rest of us sit around drinking coffee and debating whether we do, or don’t like Sarco as an end of life device, Florian Willet spends his 63rd day locked in a Swiss prison… a true martyr to the international right to die cause… pic.twitter.com/EGgsiUi0QJ
— Philip Nitschke (@philipnitschke) November 25, 2024
Nun dürfen Nitschke und seine Mitstreiter aufatmen: Genau zehn Wochen nach der Sarco-Premiere ist Willet wieder auf freiem Fuss. Das vermeldete die Schaffhauser Staatsanwaltschaft am Montag. Willet kam in U-Haft, weil der Direktor als einziger Vertreter der Schweizer Sarco-Organisation The Last Resort am 23. September vor Ort war, als die Polizei eintraf. Zuvor hatte sich eine Amerikanerin als erste Person in der Suizidkapsel das Leben genommen.
Für Aufsehen sorgte während Willets U-Haft insbesondere die Meldung einer niederländischen Zeitung, dass die Schaffhauser Strafverfolgungsbehörden nicht nur wegen möglicherweise verbotener Aspekte der Sterbehilfe ermittelten – sondern auch wegen vorsätzlicher Tötung. Dies, weil am Hals der Amerikanerin offenbar Verfärbungen gefunden worden waren, die sich als Würgemale interpretieren liessen.
Entlastende Beweise
Diesen Tatverdacht, der eine Erklärung für die lange Dauer der U-Haft war, hat die Staatsanwaltschaft nun fallengelassen und Willet entsprechend entlassen. Auch wenn das Obduktionsgutachen des Instituts für Rechtsmedizin des Kantons Zürich zur verstorbenen Frau noch nicht vorliegt, sprechen offensichtlich genug Indizien dagegen, dass Willet die Amerikanerin aktiv getötet haben könnte.
So erklärte Willets Anwalt gegenüber der NZZ, die Staatsanwaltschaft selbst habe ein Dokument vorgelegt, laut dem im Halsbereich der Verstorbenen keine DNA von Willet gefunden worden sei. Filmaufnahmen zeigen laut Nitschke und niederländischen Journalisten, dass die Amerikanerin selbständig in die Kapsel gestiegen ist und den Knopf gedrückt hat, der den Stickstoff in den Sarco fliessen liess.
Die Aufzeichnungen der Sauerstoffkonzentration in der Kapsel sollen zudem eindeutig belegen, dass der Sauerstoffgehalt bei der Aktivierung des Sarco stark abgefallen und die ganze Zeit auf tödlichem Niveau geblieben sei. Das wäre nicht möglich, wenn Willet oder sonst jemand den Deckel des Sarco vor dem Tod der Amerikanerin geöffnet hätte.
Selbstsüchtige Beweggründe?
Willet ist jedoch nur hinsichtlich der vorsätzlichen Tötung entlastet. Betreffend den Straftatbestand der Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord bestehe nach wie vor ein dringender Tatverdacht, schreibt die Staatsanwaltschaft in ihrem Communiqué. Laut Gesetz wird jemand, der einer anderen Person «aus selbstsüchtigen Beweggründen» beim Suizid hilft, mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Ein allfälliger Prozess gegen Willet müsste also die Frage klären, ob die Sarco-Leute tatsächlich verwerfliche Motive haben. Die Anklage würde sich dabei wohl auf selbstsüchtige Beweggründe «ideeller oder affektiver Art» fokussieren, etwa die Suche nach Ruhm und Anerkennung. Denn eine Bereicherungsabsicht lässt sich kaum konstruieren: Die Benutzung des Sarco ist praktisch gratis. Und soll dies laut Erfinder Nitschke auch bleiben: Seine Organisation finanziere sich durch Spenden, erklärte er im Gespräch mit der NZZ.
Ob es überhaupt zu einem Strafprozess kommt, ist jedoch offen. Nitschke sagt, er werde auf jeden Fall das Ende des Verfahrens abwarten, bis die Suizidkapsel wieder eingesetzt wird. «Wir wollen eine klare Entscheidung der Justiz, bevor wir Sarco Nummer zwei, der derzeit produziert wird, in die Schweiz bringen.» Die Untersuchungen könnten nur ein Resultat haben: dass der Sarco gegen kein einziges Schweizer Gesetz verstosse.
Bundesrat will abwarten
Die Untersuchungen in Schaffhausen will auch der Bundesrat abwarten, bevor er entscheidet, ob es in der «Causa Sarco» Bedarf nach gesetzlicher Regelung gibt. Dies antwortete kürzlich Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider auf einen Vorstoss der SVP-Nationalrätin und Sarco-Kritikerin Nina Fehr Düsel.
Baume-Schneider hatte im September bereits darauf hingewiesen, dass die Kapsel sowohl gegen das Produktesicherheitsrecht als auch – wegen der Nutzung von Stickstoff – gegen das Chemikaliengesetz verstosse. Allerdings seien beide Bestimmungen kein geeigneter «Regelungsort» für ein Verbot des Sarco.