Der Tech-Unternehmer hat die Welt der Computerspiele revolutioniert, und nun kämpft er gegen die Marktmacht von Apple und Google. Diese überzieht er mit Klagen und greift damit ihr Milliardengeschäft an.
Vorurteile über Computer-Nerds besagen, dass sie sich von klein auf für Computer und Technik interessierten. Dass sie im sozialen Umgang etwas unbeholfen seien. Dass sie am liebsten Tag und Nacht vor dem Rechner sässen und programmierten oder zockten.
Das alles trifft auch auf Tim Sweeney zu. Der 53-Jährige ist Gründer und CEO von Epic Games, der Firma hinter «Fortnite», dem erfolgreichsten Computerspiel unserer Zeit. Doch Sweeney ist mehr als ein milliardenschwerer Nerd. Er ist der Mann, der schon vor Jahren einen Glaubenskrieg gegen die grössten Tech-Konzerne Amerikas angezettelt hat – und der gerade erfolgreich Google verklagt hat.
Ein guter Programmierer und pfiffiger Unternehmer
Timothy Dean Sweeney wuchs in den 1970er Jahren im ländlichen Potomac, Maryland, auf, als jüngster von drei Söhnen. Seine Mutter zog die Kinder gross, sein Vater zeichnete aus Satellitenbildern Landkarten für das amerikanische Verteidigungsministerium. Schon als Junge hinterfragte Sweeney die Dinge: Er zerlegte Radios und andere elektronische Geräte in ihre Einzelteile und bastelte sie wieder zusammen. Seine Faszination für Elektronik weitete sich auf Computer aus, als einer der Brüder ihm einen Apple II Plus schenkte. «Ab jenem Moment verbrachte ich mehr Zeit mit Programmieren als mit Schlafen oder in der Schule oder mit irgendetwas anderem», sagte Sweeney einmal.
Später studierte er an der Universität von Maryland Maschinenbau, brach aber das Studium kurz vor dem Abschluss ab, um sich ganz dem Programmieren zu widmen. 1991, mit zwanzig Jahren, gründete er im Keller seiner Eltern mit seinem Ersparten – 4000 Dollar – die Firma Potomac Computer Systems, aus der später Epic Games wurde.
Schnell zeigte sich, dass Sweeney nicht nur ein guter Programmierer war, sondern auch ein pfiffiger Unternehmer: Neben diversen Computerspielen entwickelte er Programme für Grafikanimationen, die er an Firmen lizenzierte. Die Gebühren daraus verschafften ihm ein verlässliches und wachsendes Einkommen. Besonders lukrativ sind bis heute die Einnahmen aus der sogenannten Unreal Engine, die Sweeney in jenen ersten Jahren baute: Es ist eine Art Werkzeugkoffer für 3-D-Grafiken, die es Programmierern und Filmstudios ermöglicht, relativ einfach komplexe Grafikmodule zu bauen. Die Unreal Engine ist heute eine der wichtigsten Grafik-Engines überhaupt.
«Fortnite» revolutioniert die Videospielindustrie
Das Geschäft lief gut für Sweeney, mit 30 Jahren konnte er sich einen Lamborghini und einen Ferrari kaufen. Doch der echte Durchbruch kam für ihn und Epic Games im Jahr 2017 mit dem Spiel «Fortnite».
Auf den ersten Blick ist es ein klassisches Survival-Shooter-Spiel – die Nutzer bekämpfen sich gegenseitig und kämpfen dabei um ihr Überleben. Die Idee dahinter stammte nicht von Sweeney, sondern von einer Brainstorming-Nacht mit anderen Entwicklern. Was «Fortnite» aber bis heute so revolutionär macht, sind Sweeneys Geschäftsideen.
Erstmals konnten alle das gleiche Spiel mit Freunden zocken – unabhängig von der eigenen Spielkonsole. Sweeney hatte nämlich die Firmenchefs von Nintendo, Sony und Microsoft überzeugt, ihre Plattformen übergreifend zu öffnen. Plötzlich konnten Spieler mit unterschiedlichen Endgeräten von konkurrierenden Herstellern – also etwa Sonys Playstation, Nintendos Switch und Microsofts Xbox – gegeneinander antreten.
Zudem war und ist «Fortnite» gratis. Epic Games verdient nur an den Zusatzfunktionen, welche die Nutzer für ihre virtuellen Spielfiguren kaufen: ein cooles Outfit etwa oder einen lustigen Tanz, den der Avatar aufführen kann. Diese Add-ons kosten gerne einmal 500 Dollar und sind oft nur vorübergehend erhältlich. Das macht sie unter «Fortnite»-Fans so begehrt wie seltene Tropfen unter Weinliebhabern.
Auch verzichtet «Fortnite» in seinen Grafikdarstellungen auf Blutlachen und allzu plastische Gewaltdarstellungen, wie man sie aus anderen Shooter-Spielen kennt. Stattdessen kann der eigene Spieler auch eine Banane oder ein Hotdog sein. Das stiess auf Sympathien bei Nutzergruppen, die sonst von Shooter-Spielen abgeschreckt werden – und bei Eltern, die ihren Teenagern solche Spiele sonst verbieten.
«Fortnite» revolutionierte den Gaming-Markt. Stolze 650 Millionen Nutzer haben seit 2017 ein Nutzerkonto eröffnet. Bis heute ist es das wohl populärste Spiel, im vergangenen Jahr nutzten 126 Millionen Nutzer ihr Konto monatlich.
Allein zwischen 2018 und 2022 verdiente Epic Games mit «Fortnite» fast 22 Milliarden Dollar. Auch heute noch macht das Spiel 85 Prozent des Umsatzes von Epic Games aus, der jüngst bei 5,6 Milliarden Dollar lag.
Bei der letzten Investitionsrunde 2022 wurde die Firma mit 32 Milliarden Dollar bewertet. Sie ist nicht an der Börse kotiert, Sweeney hält die Mehrheit der Firmenanteile. Sein Vermögen beläuft sich inzwischen gemäss dem Bloomberg-Milliardärs-Index auf 6,21 Milliarden Dollar. Zweitgrösster Investor ist der chinesische Technologiekonzern Tencent, wofür Sweeney angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Washington und Peking immer wieder Kritik erntet.
Inzwischen ist «Fortnite» nicht mehr nur ein Spiel, sondern eine eigene virtuelle Welt, ein Metaversum. 2021 kamen für ein Konzert der Sängerin Ariana Grande 27 Millionen Nutzer zusammen. Auch Firmen können innerhalb von «Fortnite» ihre eigenen Spiele und Welten erschaffen. Gemeinsam mit dem Spielzeughersteller Lego etwa baute Epic Games jüngst eine Kinderversion der virtuellen Welt.
Sweeney hat Tausende Hektaren Land dem Staat geschenkt
Zumindest nach aussen scheint der Erfolg Sweeney nicht allzu sehr verändert zu haben. Er trägt nach wie vor am liebsten Cargohosen und seit Jahrzehnten das mehr oder weniger gleiche Brillenmodell. Er hat keine Kinder und ist alleinstehend, isst am liebsten frittiertes Hühnchen und trinkt Cola light. «Ich führe ein recht einfaches Leben», sagte er 2019 dem «Wall Street Journal».
Epic Games sitzt bis heute auch nicht im Silicon Valley, in Austin oder einem anderen Tech-Hub – sondern in North Carolina, in der Metropolregion der Hauptstadt Raleigh. So bewahre er seine Angestellten vor dem Gruppendenken des Silicon Valley, erklärte Sweeney im Gespräch mit dem «Wall Street Journal». Unter der Belegschaft ist Sweeney dafür bekannt, dass er gern einmal im Büro auf dem Trampolin hüpft oder mit Rollschuhen über den Firmenparkplatz fährt.
Neben Computern ist seine zweite grosse Leidenschaft das Wandern. In die Natur hat er auch grosse Teile seines Vermögens gesteckt: Im Laufe der vergangenen Jahre hat Sweeney in seiner Wahlheimat North Carolina mehr als 24 000 Hektaren Waldfläche gekauft, was mehr ist, als der schweizerische Nationalpark umfasst. Tausende Hektaren davon hat er Umweltschutzorganisationen und dem für Artenschutz zuständigen Bundesministerium geschenkt.
Krieg gegen die Tech-Titanen
Schon Jahre bevor Epic Games mit «Fortnite» einen weltweiten Hit schuf, stiess sich Sweeney daran, dass die grossen Technologiekonzerne um ihre digitalen Ökosysteme Schutzwälle zogen. In einem Meinungsbeitrag im «Guardian» prangerte er schon im Jahr 2016 das wettbewerbsfeindliche Verhalten von Microsoft an, weil der Konzern damit «der gesamten PC-Industrie schadet».
Jahre später verschärfte sich das Problem noch: Wenn «Fortnite»-Nutzer einen In-App-Kauf tätigten, also mit echtem Geld virtuelle Extras im Spiel kauften, dann verdienten Google und Apple daran 30 Prozent mit. Das bedeute, so kritisierte Sweeney, dass die beiden Konzerne mehr Geld mit einem Spiel verdienen könnten als diejenigen, die es entwickelt hatten. «Das ist total unfair und zeigt, wie sehr der Markt ausser Kontrolle geraten ist.»
Ob man Plattformen und Ökosysteme für alle öffnet, ist für ihn eine Glaubensfrage – und zwar eine, für die er nun einen Feldzug gegen Big Tech eingeleitet hat. Sweeney nutzte seine neu gewonnene Prominenz und sein Vermögen dafür, gegen Apple und Google in den Kampf zu ziehen. So verstiess er ab 2019 absichtlich gegen die Nutzungsbedingungen beider Plattformen, um einen Rechtsstreit zu provozieren. Die Idee dahinter war, die Tech-Konzerne gerichtlich dazu zu zwingen, ihre App-Ökosysteme für den freien Wettbewerb zu öffnen. «Wir kämpfen für offene Plattformen und neue Nutzungsbedingungen, von denen alle Entwickler profitieren», schrieb Sweeney 2020 auf Twitter (heute X). «Es wird ein verdammt heftiger Kampf werden!»
Today, Apple said Epic is seeking a special deal, but that’s not true. We’re fighting for open platforms and policy changes equally benefiting all developers. And it’ll be a hell of a fight! https://t.co/R5A48InGTg
— Tim Sweeney (@TimSweeneyEpic) August 14, 2020
Sweeney gehe es dabei nicht um Geld oder sein Ego, sondern um Grundsätzliches, sagte Bruce Stein, ein Investor von Epic Games, gegenüber der «New York Times». «Er hatte schon lange Prinzipien, noch bevor er das Geld hatte, dass er sich Prinzipien hätte leisten können.»
Für Sweeney wurde es jedoch ein teurer Kampf: Die Mühlen der amerikanischen Justiz mahlen langsam, die Rechtsstreite kosteten Sweeney und Epic Games mehrere Jahre und Hunderte Millionen Dollar. Noch dazu bieten beide Plattformen «Fortnite» nun nicht mehr in ihren App-Stores an.
Doch letztlich scheint sich der Aufwand gelohnt zu haben, denn die Gerichte gaben Sweeney in einigen Punkten tatsächlich recht: Im Streit gegen Apple erwirkte Sweeney, dass der Konzern nun seinen bis dato hermetisch abgeriegelten App-Store zumindest etwas öffnen muss. Und im Prozess gegen Google stellten sich die Geschworenen vor wenigen Wochen gar vollumfänglich hinter Epic Games.
Es war ein Riesenerfolg in Sweeneys Glaubenskrieg gegen die Tech-Konzerne. «Ich will, dass jeder sieht und versteht, dass Google absolute Kontrolle darüber hat, welche Apps auf (dem Betriebssystem) Android verfügbar sind», sagte er selbst im Zeugenstand. Dieses Ziel hat er erreicht. In den kommenden Tagen wird nun entschieden, welche Zugeständnisse Google konkret machen muss. Der Konzern will zwar in Berufung gehen. Doch man kann davon ausgehen, dass auch Sweeney weiterkämpfen wird.