Unter der Discokugel erlangte er Weltruhm. Dann brachte er lange keinen Schritt mehr vor den andern. Jetzt wird der amerikanische Schauspieler siebzig Jahre alt.
Wie viele schlechte Filme kann ein guter Schauspieler machen, bis er kein guter Schauspieler mehr ist? Sehr viele, endlos viele. Das eine hat mit dem andern wenig zu tun, dafür steht exemplarisch der amerikanische Grossschauspieler John Travolta.
Wenn man ganz ehrlich ist, hat John Travolta fast nur schlechte Filme gemacht. In der mittlerweile etwa 55 Jahre überdauernden Karriere kommt bemerkenswert viel Bruch zusammen. Erste Gehversuche als Kinderdarsteller nicht mitgerechnet, bringt er es auf grob gezählt 65 Film- und Fernsehproduktionen, davon sind sicher 50 schlecht bis sehr schlecht.
Andererseits hat er «Pulp Fiction» (1994) gemacht. Der Dialog über McDonald’s in Frankreich («die sagen ‹Royale with Cheese›») oder die Szene im Retro-Restaurant, wo er als Auftragsmörder Vincent Vega den überteuerten Milk-Shake der Gangsterbraut Mia Wallace (Uma Thurman) probiert: Travolta spielt das mit einer gnadenlos ernsthaften Nonchalance weg, die macht ihm keiner nach.
Es war nicht nur die Hüfte
Und natürlich sind auch die Tanz- und Musikfilme «Saturday Night Fever» (1977) und «Grease» (1978) grossartig. Travolta als halbstarker Tony Manero mit Lacklederjacke und geföhnter Pompadour-Frisur («Saturday Night Fever») oder Travolta als halbstarker Danny Zuko mit Bikerjacke und pomadisierter Pompadour-Frisur («Grease»): Seine Karriere begann unter der Discokugel.
Aber es war nicht nur der Hüftschwung, der den jungen Travolta unwiderstehlich machte. Allein wie sein Tony durch Bay Ridge, Brooklyn, läuft und den Ladys hinterherschaut oder wie Danny durch die Gänge der Rydell Highschool geht und ihm die Girls hinterherschauen: Travoltas Markenzeichen in diesen jungen Schauspieljahren ist seine expressive Darstellung des Aufreissers, der fragile Männlichkeit mit metrosexueller Coolness kaschiert.
Coolness ist eine Frage der Körperspannung: Der frühe Travolta macht einen maximal geraden Rücken, die Schlaghose klebt ihm an der Taille, Brust raus, aktive Schultern. Klassische Darstellungskünstler arbeiten mit den Gesichtsmuskeln: Travoltas Spiel kommt mehr aus Beckenbereich und Schultergürtel. Davon abgesehen macht der junge Mann den Anschein, als klopfe unablässig ein Beat in ihm. Auch in stillen Szenen wirkt er, als hätte er Kopfhörer in den Ohren: irgendwas mit Disco.
«Saturday Night Fever» bringt ihm eine Oscar-Nomination, und «Grease» bringt ihm Weltruhm. Was kann noch schiefgehen? Ausserdem beweist er in «Blow Out» (1981) von De Palma, dass er sich ebenso für einen abgründigen Thriller eignet. Doch dann kommt der strahlende Gewinnertyp urplötzlich aus dem Tritt.
Wer in den frühen achtziger Jahren geboren ist, ist mit dem Travolta aus «Look Who’s Talking» (1989) aufgewachsen. Der Film lief im Privatfernsehen gefühlt jeden Sonntag. Man hat ihn gut in Erinnerung, wenn auch nicht in guter. «Look Who’s Talking» ist diese Komödie, in der man hören kann, wie ein Baby über die Welt der Erwachsenen denkt. Der Film kostete 7,5 Millionen Dollar und nahm 300 Millionen ein, Travolta hat nicht alles falsch gemacht.
Aber mehr als genug. Angefangen bei den verzweifelten Fortsetzungen «Look Who’s Talking Too» und «Look Who’s Talking Now». Oder zuvor schon beim Versuch, an der Seite von Olivia Newton-John in «Two of a Kind» (1983) an den Erfolg von «Grease» anzuknüpfen. Die Story: Gott ist mit den Nerven durch, die Menschheit muss weg, er plant eine Sintflut. Doch eine Gruppe Engel legt ein gutes Wort für die Weltbevölkerung ein. Und zur Veranschaulichung verweisen die Engel auf zwei Sünder, die das Potenzial haben, Liebende zu werden (Travolta und Newton-John).
Der Film ist ein Witz, ein Flop mit Ansage, Travoltas Ruf ist ramponiert. Er sucht sich danach aber unverdrossen weiter Rollen aus, bei denen nie klar ist, was er in ihnen sieht: In «Perfect» (1985) stellt er einen Journalisten dar, der über Fitnessstudios als Singlebörsen schreibt und sich in eine Fitnesstrainerin verliebt. Flop, natürlich.
Das Scientology-Debakel
Oder zur Jahrtausendwende das vollendete Fiasko: «Battlefield Earth: A Saga of the Year 3000». Der Science-Fiction-Film, vom gleichnamigen Roman des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard inspiriert, darf auf keiner Liste der schlechtesten Filme fehlen. Travolta, nach Tom Cruise das zweitbeste Gesicht der Sekte, hat das Projekt auch als Produzent durchgeboxt. Ausserhalb von Scientology wollte den Film naturgemäss niemand sehen. Am Ende lagen sich die nicht-scientologischen und die scientologischen Produzenten in den Haaren. Das wenige, was der Film einspielte, musste vor Gericht verteilt werden.
Wer John Travolta belächeln möchte, muss nicht weit suchen. Mannigfaltige filmische Pleiten, dazu Scientology. Auch gab eine Zeitlang sein seltsamer, wie mit dem Lineal gezogener Haaransatz zu reden, der auf eine übereifrige Transplantation hindeutete. Aus dem schönen jungen John mit den hohen Wangenknochen war über die Jahre der ungesund aufgedunsene Travolta geworden.
Doch trotz allen publikumswirksamen Blamagen bleibt er einer der grössten Hollywoodstars. In jeder Weltgegend kennt man ihn, selbst die unmöglichsten Filme macht er erträglich oder zumindest speziell. Etwas ist an ihm dran – was ist es?
Man könnte argumentieren: Ein Star, der weniger gute Filme gemacht hat als alle anderen Stars, muss ein besonderer Star sein. Er hat offensichtlich Qualitäten, die sämtliche Stolperer beruflicher oder auch sonstiger Natur vergessen machen.
Selbstgewissheit ist sicher ein Punkt. Travolta wirkt unbeeindruckt, unbeirrt. Nicht, dass man ihn mit Trump vergleichen wollte, aber es geht in diese Richtung: Geltungsdrang ist auch einnehmend. Menschen, die nicht zweifeln, faszinieren. John Travolta ist kein Zweifler. Er wusste immer, was er will. Nach allem, was man liest, wollte er nie etwas anderes sein als Schauspieler.
Alle Kinder gehen zum Film
Seine Eltern bremsten ihn nicht. Der italo-amerikanische Vater Salvatore «Sam» war ein semiprofessioneller American-Football-Spieler, der ein Geschäft für Autoreifen betrieb und beharrlich an das Land der unbegrenzten Möglichkeiten glaubte. Die Mutter Helen, irische Wurzeln, war auch überzeugte Amerikanerin. Sie versuchte sich als Schauspielerin und unterrichtete Theater. Eine Arbeiterklassefamilie, der Ort ist Englewood, New Jersey: John wird 1954 als das jüngste von sechs Kindern geboren.
Auch alle fünf Geschwister gehen später zum Film. Er habe schon als kleines Kind auf Kommando eine Show abgezogen, sagt John Travolta in einem Interview mit Larry King auf CNN: «I would perform for anybody at a drop of a hat.» Er sagt auch: «Wir hatten nicht viel, aber wir hatten Zugang zur Kunst.»
Der geborene Performer ist zwölf Jahre alt, als das Actors Studio, die renommierte New Yorker Schauspielwerkstatt, in Englewood haltmacht. Brando, Al Pacino, auch Robert De Niro: Die Grossen geben Kurse. Die Mutter Travolta sieht zu, dass ihr Junge bei den Workshops reinschauen darf. Sie habe ihn nicht drängen müssen, sagt John Travolta 1978 in einem Interview mit «Rolling Stone»: «Mann, niemand hat mich ins Showgeschäft gedrängt. Ich habe mich danach gesehnt!»
Star-Sein ist eine Sache der Einstellung. John Travolta hat nichts als die Einstellung – was hätte aus ihm anderes werden sollen als ein Star? Das ist der eine Punkt. Der andere Grund, weshalb Travolta trotz allen Pleiten und Pannen unverwüstlich ist: Als Hollywoodstar hat man ein bisschen crazy zu wirken. Es gehört sogar zum Jobprofil. Tom Cruise kann man unmöglich ernst nehmen, Brad Pitt war und ist als Sexsymbol auch lustig, Leonardo DiCaprio bleibt süchtig nach Lingerie-Models.
Es gibt natürlich auch die Soliden, einen Daniel Day-Lewis oder eine Meryl Streep. Aber das sind Schauspielstars, ein Hollywoodstar ist etwas anderes. Er hat den Kopf in den Sternen. Er soll abgehoben sein. Und in der Aufmerksamkeitsökonomie gehört es dazu, auch einmal vom Himmel zu fallen. Denn Amerikaner lieben Comebacks. Erst das grosse Comeback macht die Karriere komplett. John Travolta hat wahrscheinlich mehr Comebacks gefeiert als jeder andere.
Die Tragödien
Nicht vergessen darf man ausserdem, dass sein Leben von Schicksalsschlägen gezeichnet ist. Er tanzte, aber er trauerte auch viel. Vor vier Jahren starb seine Frau, die Schauspielerin Kelly Preston, an Brustkrebs. Bereits die erste grosse Liebe, Diana Hyland, hat er mit Anfang zwanzig an die Krankheit verloren. Die Mutter starb ebenfalls an Krebs, als sie 66-jährig war. Und 2009 kam der älteste Sohn mit sechzehn Jahren bei einem Familienurlaub auf den Bahamas ums Leben; nach allem, was man weiss, ein Krampfanfall.
In seinen siebzig Jahren hat John Travolta Tragödien erlebt, die alles andere relativ erscheinen lassen. «Berufliche Höhen und Tiefen waren für mich nie von Bedeutung», sagte er einmal. «Meine persönlichen Verluste, und davon gab es viele, waren es, die mich geprägt haben.» Filme liebe er zwar, «ich hatte das Glück, dass ich sie machen konnte, aber sie sind nicht das Leben». An Flauten gewöhne man sich: «Man vertraut einfach darauf, dass man es übersteht.» John Travolta ruht in sich. Vielleicht ist es das: Es gibt den Bewegungsapparat Travolta, und es gibt den Travolta, der die Ruhe weghat.