Leander Haussmann hat mit seinen Filmen die DDR als Komödie zur Kenntlichkeit gebracht. Nun bricht er aus den Institutionen aus und tingelt mit einem Zirkuswagen durch die Provinz.
Es gibt Tage, da nimmt Berlin all seine Kräfte zusammen. Die Stadt schwitzt, brüllt und hupt. Mit seinen fast zwei Metern segelt Leander Haussmann durch das frühlingshafte Chaos, wird auf dem Radweg niedergeklingelt und sagt: «Die Radfahrer sind die Nazis von heute.» Seine Wohnung auf der Schönhauser Allee ist noch nicht so weit. Nicht der ideale Sonnenstand. Ungünstig verschattet. Deshalb ins «Pirouette» direkt gegenüber. Der Name passt, denn der Film- und Theaterregisseur ist ein Schwadroneur, ein Meister windungsreicher Erzählungen.
Wenn er redet, muss man ihn bremsen, wieder auf die Spur führen. Im kleinen österreichischen Ort Haag werde er demnächst Sommertheater machen, erzählt er. «Haag, nicht Den Haag!» Dann sind da die gesammelten Geschichten vom versunkenen Heimatland namens DDR, in dem man als Künstler Hofnarr und Dissident zugleich sein konnte.
Aber zwischendurch fällt Haussmann auch plötzlich wieder ein, wie er Mitglied bei den Grünen wurde oder dass ihn kürzlich Sahra Wagenknecht zu einer Party eingeladen hat. «Leander, geh da bloss nicht hin!», wurde er von den Freunden gewarnt. «Dann biste in der Zeitung mit der Wagenknecht im Arm und einem Glas in der Hand. Was sollen die Leute denken.»
Die DDR als Komödie
Mit seiner DDR-Trilogie, den Filmen «Sonnenallee», «NVA» und «Stasikomödie», hat Haussmann etwas Besonderes gemacht. Er wollte Ostdeutschland aus dem sepiafarbenen Bewältigungszwang herausholen und zeigen, dass sich die Mauer-Diktatur auch als Komödienstoff eignet. Die 1999, 2005 und 2022 entstandenen Werke waren Publikumserfolge.
In Leander Haussmanns Filmen triumphiert die Liebe immer über alle politischen Widrigkeiten. Damit diese Gleichung aufgeht, müssen die Widrigkeiten kleiner wirken, als sie in Wirklichkeit waren. Die Stasimänner, es sind ja Komödien, kann man an ihren typischen Herrenhandgelenkstaschen erkennen. Die Kader der NVA, der Nationalen Volksarmee, an ihrer kriegsuntauglichen Vertrotteltheit.
Wie es damals wirklich war? «Wir sind auf den Bänken der Karl-Marx-Allee gesessen und haben ‹Scheiss DDR!› gerufen. Wenn die Polizei kam, sind wir weggelaufen», erzählt Leander Haussmann. Aber er erzählt auch anderes. Von seinem Vater, dem Schauspieler Ezard Haussmann. «Der hatte 1967 ein Projekt mit dem grossen Burt Lancaster, eine tschechisch-amerikanische Koproduktion. Dann kam der Prager Frühling, und mein Vater hatte nichts Besseres zu tun, als ein Beileidsgebinde vor der tschechischen Botschaft in Ostberlin abzulegen. Zehn Jahre Berufsverbot!»
Der junge Leander Haussmann ist als Absolvent der Schauspielschule Ernst Busch durch die Provinztheater getingelt, hat in Parchim und Gera gespielt und nach dem Mauerfall in Weimar inszeniert. Die Wende meint es gut mit ihm. 1993 gelingt ihm in München mit «Romeo und Julia» ein glorioser Wurf. 1995, mit sechsunddreissig, wird er Intendant am Bochumer Schauspielhaus.
Peter Zadek und Claus Peymann waren Vorgänger an diesem ehrenwerten Haus der Avantgarde, und der Neue lässt als Motto zwei Worte plakatieren: «Viel Spass!» Es knirscht bald im Gebälk der gehobenen Ruhrpottkultur. «‹Sie haben keine Ahnung vom Westen›, hat damals ein Funktionär zu mir gesagt.»
Übertreibungskünstler
Haussmann, der sich immer wünscht, dass es zwischen den Menschen rundläuft, eckt an. Er ist ein Missversteher, einer, der die Dinge anders versteht als die Welt rund um ihn herum. Das kann sehr gut sein oder auch weniger gut. Dazu kommt heute jenes Quantum Trotz, das einen leicht ins Aus schiessen kann.
«Ich glaube, dass die ganze #MeToo- und Woke-Bewegung verkackt ist», sagt der Mann im Sonnenschein vor dem «Pirouette». Von den Nebentischen drehen sich die Köpfe junger Prenzlauer-Berg-Leute herüber. Sie können nicht wissen, dass Haussmann hier gleich ums Eck mit dem inklusiven «Theater RambaZamba» der politischen Korrektheit den Mittelfinger gezeigt hat. Aber so, dass es schon wieder sehr korrekt und menschlich war.
Der gebürtige Quedlinburger ist ein Übertreibungskünstler. Immer in die Vollen, auch wenn er dabei immer öfter leer ausgeht. Kürzlich wurde er gefragt, ob er nicht ein deutsches Remake der französischen Komödie «Willkommen bei den Sch’tis» machen wolle. Samt Drehbuch. Bei den Filmproduzenten haben sich die Stirnen in Falten geworfen, als er mit der Idee daherkam, das Land der herzergreifend zurückgebliebenen Sch’tis im sächsischen Erzgebirge anzusiedeln und die Handlung in einem Ort spielen zu lassen, wo es Hakenkreuze auf der Kirchenglocke gibt. Die Hauptfigur, die in den exotischen Stamm eindringt, wäre bei Haussmann eine Frau gewesen und selbstverständlich schwarz. Wenn man ihn fragt, ob das ein guter Film hätte werden können, sagt er: «Der Trailer wäre jedenfalls gut gewesen.»
Leander Haussmann musste lernen, einzustecken, aber er hat so etwas wie eine Hauptstory. Die Geschichte mit dem alten weissen Mann. Es kränkt ihn, dass sich die Welt so einen denunziatorischen Begriff ausgedacht hat. Er fühlt sich gemeint, weil er mit seinen bald sechsundsechzig Jahren hadert. Mit ihren sichtbaren Folgen. Aber nicht nur mit diesen. Oben lichten sich die Haare, aber im Gesicht formiert sich Gegenwehr in Gestalt eines schönen Menjoubärtchens.
Haussmann trägt ein ausgewaschenes Levi’s-T-Shirt und spricht das Wort Rentner mit rollendem Theater-R aus. Seine Jugend, die mindestens bis vierzig gedauert haben muss, wird auf anrührende Weise verklärt. «Weil diese Zeit vorbei ist, darf ich das jetzt sagen: Ich war ein sehr hübscher Mann. Ich war richtig schön. Natürlich, ohne dass ich das gewusst hätte. Ich habe immer in die Fresse bekommen. Schönheit bei gleichzeitiger Begabung wurde in Deutschland immer gross bezweifelt. Brecht sah auch sehr gut aus und hat sein Fett abbekommen. Sloterdijk nie. Aus Gründen!»
Widerhaken der Liebe
Vielleicht gibt es bei Leander Haussmann eine Vatergeschichte. Er ist ewiger Sohn geblieben und damit zur Jugendlichkeit verdammt. Ezard Haussmann war ein berühmter Volksbühnen-Star, ein Mime alter Schule. Dieser Tatsache verdankt sich eine der schönsten Generationsanekdoten des Theaters. Leander, der Sohn, hatte in Schillers «Don Carlos» im Berliner Schillertheater die Rolle des Königs von Spanien mit dem Vater besetzt.
In einer Szene sollte er der Königin gegenüberstehen und sich nach Männerart durch die Pluderhose hindurch am Sack kratzen. Das mache er nicht, liess Ezard Haussmann wissen. Das sei unter seiner Mimenwürde. Aus dem Publikumsraum mischte sich die Kostümbildnerin ein, Ezards Frau Doris, Leanders Mutter: «Jetzt versuch es doch mal!» Immer wieder kam ein «Warum?».
Im Stück geht es um einen Vaterkonflikt, und das war jetzt auch so einer. Bis Leander Haussmann auf die Frage des Vaters, warum er sich am Sack kratzen solle, die richtige, die schliesslich erfolgreiche Antwort fand: «Weil es dich juckt.» Vater-Sohn-Experiment nennt Haussmann junior das in seiner Autobiografie «Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück.»
Bei allen Emanzipationsprozessen des Leander Haussmann gibt es einen Widerhaken der Liebe. Immer bleibt etwas zurück. Ein Gefühl. Ein sentimentales Gefühl für die DDR, für die grossen Zeiten am Theater und für die eigene Jugend. Es geht nicht weg, nur weil man jetzt alt ist, Ostdeutschland verschwunden ist und weil man Filme macht, die «Hai-Alarm am Müggelsee» heissen.
Demnächst also Haag in Niederösterreich. Strassentheater mit «Die eingebildete Kranke» nach Molière. «Der eingebildete Kranke», da hat Leander Haussmann einmal als sehr junger Mensch auf den Strassen Ostberlins mitgespielt. Für Haag habe er sich Zirkuswagen bauen lassen, sagt der Regisseur in der Abendsonne. Er sei jetzt wieder fahrendes Volk. Wie früher. Alles ganz frei. Leander Haussmann lächelt wie einer, der der Welt einen Streich spielt. Aber auch wenn es umgekehrt wäre, er würde es wegstecken und weitermachen.