Als wegweisender Komponist, Begründer der Zwölftonmusik und einflussreicher Lehrer ist Arnold Schönberg weltberühmt. Aber er war mehr als das. Schönberg war auch Dichter, sogar Erfinder. Und Maler.
Letztes Jahr übergaben Arnold Schönbergs Erben dem Schönberg-Center in Wien ein ungewöhnliches Konvolut: Es handelt sich dabei um 347 Werke eines bildnerischen Nachlasses, der hauptsächlich zwischen 1906 und 1911 entstanden war. Seit 1998 wird hier in dem neoklassizistischen Palais Fanto gleich beim Schwarzenbergplatz ein grosser Teil des Nachlasses aufbewahrt, ergänzt mit einer öffentlichen Musikliteraturbibliothek.
Gleich am Eingang werden die Besucher in einem Replikat von Schönbergs amerikanischem Arbeitszimmer empfangen. 1874 in Wien geboren, emigrierte der jüdische Komponist 1933 in die USA, nahm 1941 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und verstarb 1951 in Los Angeles. In dem mit Tischen, Regalen und Notenständern vollgepackten Nachbau des Ateliers kann man den Meister noch heute erahnen. Alles scheint gerade erst zurückgelassen worden zu sein. Zwischen den Notenständern und Schreibutensilien erkennt man auch einige seiner Erfindungen wie den Kleberoller: Heute eine Selbstverständlichkeit, gab es damals noch kein Gerät, um das Klebeband kontrolliert abzuwickeln.
Oder die Bleistiftverlängerungen, die Schönberg aus Sparsamkeit bastelte. Bekannt sind seine Notenschreibmaschine und das Schachspiel für vier Parteien. Das steht wenige Schritte weiter in den Räumen der Wechselausstellung; «Koalitions- oder Bündnisschach» nannte er es. Es basiert auf seinen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg: Zwei Grossmächte in den Farben Gelb und Schwarz teilen sich das Feld mit zwei Kleinmächten in Grün und Rot. Die Figuren versinnbildlichen Flugzeuge für Luftstreitkräfte (rot), U-Boote für die Marine (grün) und Landstreitkräfte (gelb und schwarz). Aufgabe ist nicht die Vernichtung, sondern Koalitionen zu bilden – gerade jetzt wünscht man sich einige Politiker an dieses Spielbrett.
Blicke statt Gesichter
Hauptthema in diesen Räumen ist allerdings nicht der Erfindungsreichtum des Musikers. Auch nicht seine Kompositionen. Sondern seine Malerei. 26 Porträts und Zeichnungen sind in der ein Jahr laufenden Sonderausstellung zu sehen, dazu sogar seine Tubenfarben, Pinsel und seine Palette. Es ist keine typisch museale Präsentation. Mitten im Raum steht ein riesiger Tisch mit Schönbergs Notizbüchern, mit Partituren, Briefen und Postkarten – dieser Nachlass kam bereits 1998 nach Wien. An der Wand sieht man ein frühes Schulzeugnis von 1898 mit dem Fach Freihandzeichnen und der Note «lobenswert». Verstreut zwischen biografischen Eckdaten, finden sich noch Theatertexte, Briefe, Aufführungsanweisungen bis hin zu seinem Adressbuch.
Dazwischen hängt eine Fotografie seiner Bücherwand in Los Angeles. Man erkennt einige seiner Selbstporträts, die, lose verteilt, an die Bücher gelehnt, in den Regalen stehen. Diese kuriose Präsentation dient offenbar als Vorbild für die Wiener Ausstellung. Zwar hängen in einem Nebenraum die Zeichnungen ganz herkömmlich und akkurat an der Wand. Die Ölbilder aber sind in geschlossenen Plexiglaskästen zu kleinen Gruppen auf schmalen Holzleisten arrangiert: angelehnt, nicht aufgehängt.
Das passt zu Schönbergs Statement, er sei in der Kunst «ein Outsider, ein Amateur, ein Dilettant». Eine ehrliche, aber zugleich kokettierende Einschätzung. 1910 bat Schönberg seinen Verleger Emil Hertzka in einem Brief, «bekannte Mäcene» zu veranlassen, ihm Bilder abzukaufen oder sich malen zu lassen. «Sie müssen ihnen begreiflich machen, dass ihnen meine Bilder gefallen müssen, weil sie von Fachautoritäten gelobt wurden», fügt er hinzu. In seinen «Aphorismen» hielt er im selben Jahr fest: «Das Porträt hat nicht dem Modell, sondern dem Maler ähnlich zu sein.» Zumindest kurzfristig war er damit erfolgreich: 1911 stellte er gemeinsam mit Kandinsky und dem Blauen Reiter in München und Budapest aus.
Verdrehung der Tatsachen
Aber wie kam der Musiker überhaupt zur Kunst? Das wird in der Ausstellung nur am Rand erwähnt, denn es ist ein heikles Kapitel in Schönbergs Leben. Kurz nach der Jahrhundertwende hatte er in Wien den fast zehn Jahre jüngeren Maler Richard Gerstl kennengelernt. Zwei Sommer verbrachten sie gemeinsam am Traunsee im Salzkammergut. Gerstl gab dem Musiker Malunterricht, Schönbergs Gattin Mathilde sass dem Maler Modell. Manchmal auch nackt. Denn Mathilde und Richard hatten eine Affäre. Schönberg erwischte sie in flagranti. Das prompte Ende der Beziehung, damit verbunden auch sein Ausschluss aus dem Wiener Freundeskreis der Schönbergs, trieb Gerstl 1908 in den Suizid. Es sollte Jahre dauern, bis seine expressive, wilde Malerei endlich entdeckt und gewürdigt wurde.
Schönberg dagegen praktizierte noch einige Jahre weiter. Stolze 75 Selbstporträts fertigte er an. Im expressiven Farbauftrag spürt man den Einfluss Gerstls. Es sind kleine Formate, meist Öl auf Pappe oder Papier. Der Blick des Künstlers ist auf den Kopf konzentriert, der Hintergrund ist ein mit Farbübergängen gefüllter, diffuser, ortloser Raum. Auffällig sind die dominanten Augen, die aus den Gesichtern herausstechen. Dazu erklärte Schönberg 1938 in seinem Text «Malerische Einflüsse»: «Ich habe niemals Gesichter gesehen, sondern, da ich den Menschen ins Auge gesehen habe, nur ihre Blicke.»
Das sei etwas, was nur er getan habe, schreibt er weiter, denn es sei «aus meiner Natur heraus und ist der Natur eines wirklichen Malers vollkommen entgegengesetzt». Im selben, in der Ausstellung zitierten Text schreibt er von einem «gewissen Herrn Gerstel» – in despektierlicher Falschschreibung –, der «angeblich radikal» malte. Als Gerstl seine «recht missglückten Versuche zu malen» gesehen habe, notierte er weiter, habe dieser ausgerufen: «Jetzt habe ich von Ihnen gelernt, wie man malen muss» – eine wilde Verdrehung der Tatsachen.
1949 sprach ein amerikanischer Radioreporter Schönberg auf seine Malerei an. Das Interview ist mit Kopfhörern auf dem zentralen Tisch zu hören. Schönberg war da bereits mehr als ein Jahrzehnt in den USA und erklärt in seinem gebrochenen Englisch, dass für ihn Malen dasselbe sei wie Komponieren. Er wolle darüber Ideen und Gefühle mitteilen, er nennt es «gemalte Musik» – so auch der Titel der jetzigen Ausstellung in Wien.
Die grosse Menge an Selbstporträts erklärt er damit, «immer verfügbar zu sein, wenn ich malen möchte». Ganz unbescheiden spricht er sich selbst «Talent» zu, er habe ein ausgeprägtes Gefühl für Proportionen. Eine Meinung, die zumindest der österreichische Jugendstil-Maler Carl Moll nicht teilte, als er ihm 1910 eine freundlich gehaltene Absage an einen Ausstellungswunsch schrieb: Er sah Schönbergs «künstlerische Ausdrucksform als Maler noch zu sehr im Anfangsstadium» und entschied sich gegen die Sensation eines «malenden Musikers».
Gustav Mahler, ein Förderer und Vorbild Schönbergs, liess dagegen über einen Mittelsmann noch kurz vor seinem Tod 1911 einige Gemälde ankaufen. Kandinsky sah in Schönberg sogar einen Geistesverwandten auf dem Weg der Grenzüberschreitungen. Vielleicht, weil Schönberg 1909 so prägnant formuliert hatte: Er strebe eine «vollständige Befreiung von allen Formen, von allen Symbolen des Zusammenhangs und der Logik an». Damit bezog sich Schönberg auf seine Klavierstücke op. 11, aber man kann es auch in seiner Malerei erahnen.
«Gemalte Musik», Schönberg-Center, Wien. Bis 13. Februar 2026.