Der israelische Angriff auf den Hizbullah-Führer Fuad Shukr ist für die Miliz eine schwere Demütigung. Umso mehr wollen viele Anhänger der Miliz in Beirut Blut sehen, wie ein Besuch vor Ort zeigt.
«Wir werden das niemals hinnehmen», sagt der junge Mann mit dem sauber ausrasierten Bart, der in der Küche einer einfachen Wohnung in Dahiye sitzt. Normalerweise arbeitet der 21-Jährige, der bloss Ahmed genannt werden will, als Automechaniker in der vom Hizbullah dominierten Vorstadt im Süden von Beirut. Doch am Dienstagabend wurde er, wie viele Männer hier, im Herzen zum Krieger.
Denn kurz nach 20 Uhr Ortszeit erschütterte eine gewaltige Explosion das Viertel. Wenig später stand fest: Israel hatte Fuad Shukr ins Visier genommen, einen hohen Kommandanten des Hizbullah – jener mit Iran verbündeten Schiitenmiliz, die weite Teile Libanons beherrscht. Es war die seit Tagen erwartete Antwort auf den mutmasslichen Hizbullah-Raketenangriff auf die Golanhöhen, bei dem am vergangenen Wochenende zwölf Kinder und Jugendliche getötet worden waren.
«Ich bin gemeinsam mit ein paar Freunden mit dem Motorrad sofort zum Ort des Angriffs gefahren», erzählt Ahmed. «Wir wollten zeigen, dass wir bereit sind, in den Kampf zu ziehen.» Der junge Mechaniker trägt eine Pistole an der Hüfte. Ein Mitglied des Hizbullah sei er deshalb aber noch lange nicht, sagt er. Den Namen von Fuad Shukr kannte er bisher auch nicht.
Alle wollen Rache
All das spiele aber keine Rolle. «Der Hizbullah ist im Herzen aller hier», sagt Ahmed. «Du kannst dir nicht vorstellen, wie wütend wir sind. Es ist uns völlig egal, welche Folgen das nach sich zieht. Wir wollen, dass der Hizbullah mit aller Härte zurückschlägt.» Der junge Mann ist nicht der Einzige, der in Dahiye so redet. Überall im Viertel hört man die Forderung nach Vergeltung. Und das, obwohl der Tod Shukrs noch nicht einmal offiziell bestätigt ist.
Denn der Angriff vom Dienstag traf den Hizbullah bis ins Mark. Dahiye, dieses lärmige Viertel mit seinen Motorrad-Schwärmen und frei hängenden Stromkabeln, ist nicht irgendein Ort. Es ist das pochende Herz der «Muqawameh» – des Widerstands – wie die schiitische Kampforganisation hier ausschliesslich genannt wird.
In Dahiye galten ihre Führer bisher als sicher. Ein Angriff auf das Viertel, in dem die wichtigsten Institutionen des Hizbullah ihren Sitz haben, werde eine unvergleichliche Reaktion auslösen, hatte der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah kürzlich gesagt. Und vor ein paar Wochen, zum Abschluss des schiitischen Ashura-Festes, marschierten hier trotz aller Anspannung herausgeputzte Hizbullah-Pfadfinder in weinroten Hemden durch die Strassen, begleitet von einer Blaskapelle.
Für den Hizbullah ist der Angriff eine Demütigung
Nun bereitet sich das Viertel auf einen möglichen Krieg vor. Die Strassen sind leerer als sonst, überall stehen schwarz gekleidete Sicherheitsleute herum, die jeden Fremden feindselig beäugen. In vielen Häusern sind nur noch Männer übrig, ihre Frauen und Kinder haben sie zur Sicherheit weggeschickt. Sie wissen, was ihnen drohen könnte. Denn 2006, nach dem letzten Krieg mit Israel, glich das Viertel einem Trümmerfeld.
Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, bekamen die Bewohner bereits letzte Nacht. Eine israelische Drohne schoss mehrere Raketen in das Gebäude, in dem Shukr und weitere Hizbullah-Funktionäre vermutet wurden. Der Präzisionsangriff zertrümmerte die oberen Stockwerke des tristen Betonblocks. Auch am nächsten Tag liegt immer noch Schutt auf der Strasse. Sonst ist das Gebäude jedoch seltsam intakt geblieben.
Für den Hizbullah ist der Schlag eine Demütigung. Wie ist es möglich, dass es den Israeli gelungen war, trotz höchster Alarmbereitschaft und allen Vorsichtsmassnahmen, einen derart wichtigen Kommandanten mitten im Stammland zu treffen? In Dahiye, wo schon in normalen Zeiten Fremden gegenüber tiefes Misstrauen herrscht, macht sich daher nun blanke Paranoia breit. Überall diskutieren die Bewohner darüber, wie es so weit kommen konnte.
Shukr war offenbar eine prägende Figur
«Mit Sicherheit haben sie Spione hier. Mit Technologie alleine ist das nicht zu erklären», sagt ein Mann in einem rosa Hemd, der unweit der Einschlagstelle wohnt. Seinen Namen will er nicht nennen. Aber er wäre bereit zu reden – allerdings nicht auf der Strasse. Er bittet daher hoch in seine Wohnung, die leer ist. Seine Frau und die Kinder hat er bereits in der Nacht zuvor weggeschickt.
Der Hizbullah habe keine andere Wahl, als hart zu reagieren, sagt er, während er in seinem Wohnzimmer eine Zigarette nach der anderen raucht. Der 62-Jährige sagt, er sei früher selbst Kämpfer gewesen. Erst bei den Palästinensern, später bei der säkularen Amal-Bewegung, danach beim Hizbullah. Er habe Shukr persönlich gekannt. «Ich habe ihn seit 20 Jahren nicht mehr gesehen. Er war jedoch ein grosser Kämpfer, mehr wert als 10 000 Männer.»
Shukr, der den Hizbullah mit aufgebaut hat, gilt nicht nur unter älteren Kämpfern als prägende Figur. Er soll ein enger Berater von Nasrallah und für die Raketen-Truppen des Hizbullah zuständig gewesen sein. Auch deshalb hat der israelische Angriff die Miliz in eine schwierige Lage gebracht. Zwar hat der Hizbullah am 8. Oktober zur Unterstützung der Hamas einen Grenzkrieg vom Zaun gebrochen, bisher schien er aber nicht gewillt, gegen den Erzfeind in eine offene Schlacht zu ziehen.
«In Gaza stehen sie das auch durch»
Doch nun haben sich die Vorzeichen geändert. Die Miliz steht nach dem Anschlag von Beirut und der Tötung des Hamas-Chefs Ismail Haniya in Teheran wenige Stunden später nicht nur unter dem Druck ihrer Anhängerschaft. Sie muss auch ihre Wehrhaftigkeit wiederherstellen. Denn für die Truppe, die auf strikte Geheimhaltung setzt und deren Kommandanten oftmals nicht einmal Nahestehenden bekannt sind, dürfte die Tötung Shukrs ein schwerer Schock gewesen sein.
Die Miliz werde wohl entweder Tel Aviv angreifen müssen – oder zumindest eine wichtige Militäreinrichtung irgendwo tief in Israel, mutmassen die Bewohner von Dahiye. Andere fordern gar einen offenen Krieg. Aber nicht alle sind davon begeistert. «Natürlich mache ich mir Sorgen», sagt Khodr Hamed, der in einer Strasse ein paar Blocks vom Ort des Drohnenangriffs entfernt wohnt und bei einem Bekannten in der Küche sitzt. «Ich habe schliesslich Frau und Kinder.»
Hamed, der lange in England gelebt hat, betrieb bis vor kurzem eine kleine Bäckerei. «Ich musste sie allerdings schliessen», sagt er. Schuld sei die schlimme Wirtschaftskrise, die Libanon seit Jahren heimsuche und die Armen in Vierteln wie Dahiye besonders hart treffe. Hamed hat den letzten Krieg 2006 miterlebt. Es sei furchtbar gewesen, überall seien Bomben gefallen, sagt er. Diesmal werde es wohl noch schlimmer. «Aber in Gaza stehen sie das auch durch – und kämpfen trotzdem weiter.»