Die Zukunft der Mädchenschule St. Katharina in Wil wird in wenigen Tagen am Bundesgericht verhandelt. Ist die Geschlechtertrennung diskriminierend? Dürfen öffentliche Schulen christlich orientiert sein? Der Fall könnte zum Präjudiz werden.
«Seit über zweihundert Jahren gelingt es der Mädchensekundarschule St. Katharina, sich der Zeit anzupassen, ohne Bewährtes aufzugeben. Eine Schule, in der sich die Schülerinnen und das Lehrerteam wohl fühlen – ein heimeliges Schulhaus, gelegen in einer natürlichen Gartenanlage mit einer ganz speziellen Schulatmosphäre.» So beschreibt sich das «Kathi», wie die katholische Mädchenschule St. Katharina in Wil im Kanton St. Gallen genannt wird. Eine der bekanntesten «Kathi»-Absolventinnen ist Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Sie ist ein Aushängeschild der Schule, die den Mädchen dabei helfen will, «ein gesundes, starkes Selbstbewusstsein zu entwickeln».
Die Schule St. Katharina ist bei den Eltern und den Mädchen beliebt, an Schülerinnen fehlt es nicht, die Platzzahl ist begrenzt, bei zu grosser Nachfrage entscheidet das Los. Seit 2016 wird die Schule nicht mehr vom Kloster St. Katharina, sondern von einer privaten Stiftung getragen. Die Schule steht Schülerinnen aller Religionen und Konfessionen offen und ist für Mädchen aus Wil unentgeltlich. Eltern von auswärtigen Schülerinnen zahlen ein Schulgeld. Die Schule hat einen Leistungsauftrag der Stadt Wil, sie ist staatlich anerkannt und unterrichtet nach offiziellem Lehrplan.
Eine eigene Schule für Muslime?
Doch der traditionsreichen Institution weht ein steifer Wind entgegen. Dass eine von einer privaten katholischen Trägerschaft geführte Schule so erfolgreich ist, passt vielen nicht. Und wenn die Schule dann auch nur Mädchen zulässt und sich am christlichen Glauben orientiert, ist ohnehin Widerstand programmiert.
Am 17. Januar wird sich das Bundesgericht mit dem Fall «Kathi» beschäftigen. Es tut dies ausnahmsweise an einer öffentlichen Beratung, was darauf hindeutet, dass der Fall als sehr bedeutsam angesehen wird oder unter den Richtern umstritten ist. Welches genau der Knackpunkt ist, über den die Richter diskutieren werden, ist nicht bekannt. Die Frage, ob geschlechtergetrennter Unterricht an staatlich anerkannten Schulen heute noch zulässig ist und wie es mit der konfessionellen Ausrichtung steht, spielt jedoch voraussichtlich eine zentrale Rolle. Möglicherweise wird das Urteil zu einem Präzedenzfall, der über die Wiler Mädchenschule hinausgeht und generelle Leitlinien für Schulen aufstellt.
Die Sache vor Bundesgericht gebracht haben Politiker der Grünen. Geht es nach ihnen, müssen Volksschulen im Kanton St. Gallen durch die Gemeinden selber geführt werden. Es sei unzulässig, diese Aufgabe an Private zu delegieren. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen hatte diesen Punkt geprüft und war zum gegenteiligen Schluss gekommen.
Weiter halten die Grünen die Glaubensfreiheit für verletzt. Die private Trägerschaft der Schule, die Stiftung St. Katharina, identifiziert sich mit dem katholischen Glauben. Religiöse Aktivitäten haben einen hohen Stellenwert im Unterricht, es werden Wallfahrten, Mediationen, eine Woche in Assisi und anderes durchgeführt. «So wachsen alle Mädchen, egal welcher Religion oder Konfession sie angehören, zu einer Gemeinschaft zusammen», heisst es auf der Website der Schule.
Das kantonale Verwaltungsgericht sieht in der christlichen Orientierung keine Probleme. Die Mädchen könnten ohne förmlichen Dispens den Anlässen wie Gottesdiensten oder Adventsfeiern fernbleiben. Die Grünen halten die klare Identifikation mit dem Christentum und die religiösen Aktivitäten dagegen für problematisch. Für sie ist klar: Die Stadt Wil darf einer katholischen Schule keinen Leistungsauftrag geben. Sonst müsse sie – aus Gründen der Gleichbehandlung – angesichts der wachsenden Zahl von Muslimen gegebenenfalls auch einer muslimischen Schule einen Leistungsauftrag erteilen, heisst es in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht.
Bildungserfolg der Mädchen
Am meisten stören sich die Beschwerdeführer aber an der Geschlechterfrage. Es sei krass diskriminierend, dass eine staatlich anerkannte Schule nur Mädchen zum Unterricht zulasse und Knaben nicht. Erstere profitierten damit von einem vielfältigeren und attraktiveren Bildungsangebot als Letztere. Man dürfe einer Schule, die eine Staatsaufgabe wahrnehme, nicht erlauben, die Aufnahme von Knaben zu verweigern. Auch die lange Tradition des «Kathi» als reine Mädchenschule rechtfertigt es nach Ansicht der Grünen nicht, die Sache anders zu sehen. Auch hier ist das Verwaltungsgericht zu einem anderen Schluss gekommen.
Die Schule St. Katharina selber wäre inzwischen bereit, Knaben aufzunehmen und eine eigene Knabenschule zu führen, getrennt von den Mädchen. Letztes Jahr einigte sich die Trägerschaft mit der Stadtregierung von Wil auf eine neue Vereinbarung, die es erlaubt hätte, für Schüler ein ähnliches Angebot anzubieten wie für Schülerinnen. Doch diese Expansionspläne stiessen auf Widerstand: Vor ein paar Wochen lehnte das Stadtparlament die Vereinbarung ganz knapp ab (mit den Stimmen der Grünen). Aus der angestrebten Öffnung und der Zulassung von Knaben wird nun nichts. Das «Kathi» bleibt vorerst eine reine Mädchenschule.
Neben den rechtlichen Aspekten geht es bei der Wiler Mädchensekundarschule noch um etwas anderes: um den Bildungserfolg der Mädchen und um die Durchmischung der Klassen an der öffentlichen Schule. Die besonders guten und leistungsstarken Schülerinnen besuchen vorzugsweise das «Kathi», damit fehlen sie in den städtischen Schulen. Diese müssen mit den «restlichen» Mädchen und den Knaben Sekundarklassen bilden. Die Mädchenschule trage dazu bei, dass das Niveau in den öffentlichen Schulen sinke, sagen «Kathi»-Kritiker.
Die Schule St. Katharina wurde einst gegründet, um den Mädchen eine gute Bildung zu ermöglichen – erfolgreiche Frauenförderung im frühen 19. Jahrhundert. Man kann es als Ironie der Geschichte ansehen, wenn nun ausgerechnet im Namen der Gleichberechtigung der Geschlechter ihr Ende eingeläutet würde.