Aufgrund der Verschärfung der EU-Regeln bringen die Urheber der gescheiterten Schweizer Volksinitiative ihre alten Anliegen wieder auf das Tapet.
Der Abstimmungskampf war emotional, das Ergebnis war knapp: Im November 2020 erreichte die Volksinitiative für strengere Firmenregeln zu Umweltschutz und Menschenrechten an der Urne 50,7 Prozent Ja-Stimmen und scheiterte nur am Ständemehr. Ein Kernargument des Bundesrats gegen die Initiative lautete wie folgt: Ein Schweizer Alleingang bringe wenig und schade dem hiesigen Firmenstandort – sinnvoller sei ein «international abgestimmtes» Vorgehen. Gemeint war damit: Die Schweiz soll sich nach den EU-Regeln ausrichten.
Seither hat die EU ihre Regeln deutlich verschärft. Nach langem Gezerre einigten sich die EU-Akteure im Mai 2024 auf eine neue Richtlinie. Diese schafft für Firmen ab einer gewissen Grösse ausdrücklich Sorgfaltspflichten zu Umweltschutz und Menschenrechten. Diese Pflichten der Firmenzentralen umfassen auch deren Tochtergesellschaften in aller Welt. Zu den genannten Pflichten in Sachen Umweltschutz und Menschenrechten gehören etwa die Erfassung von Risiken, Massnahmen zur Vermeidung und Linderung von potenziellen Schäden, regelmässige Überprüfungen der Wirksamkeit von Massnahmen und eine jährliche Berichterstattung zum Umgang mit den Sorgfaltspflichten.
Die Sorgfaltspflichten der Konzerne umfassen nebst den Tochterfirmen im Prinzip auch die ganze Lieferkette. Direkt erfasst von der neuen EU-Richtlinie sind Firmen mit EU-Sitz, die über 1000 Angestellte haben und einen weltweiten Jahresumsatz über 450 Millionen Franken. Zudem sind auch Konzerne aus Drittstaaten wie der Schweiz direkt betroffen, sofern sie in der EU einen Jahresumsatz von über 450 Millionen Franken erreichen.
Die neue EU-Richtlinie verankert zudem eine ausdrückliche zivilrechtliche Haftung bei absichtlicher oder fahrlässiger Verletzung von Sorgfaltspflichten zur Schadensvermeidung. Solche Klagen sind im Prinzip in der EU und der Schweiz jetzt schon möglich, doch die Chancen von Kläger dürften mit der Richtlinie steigen.
KMU ausgeklammert
Die EU-Richtlinie geht in einzelnen Punkten sogar weiter als die gescheiterte Schweizer Volksinitiative – etwa mit der Vorgabe für eine nationale Aufsichtsbehörde mit Bussenkompetenz zur Durchsetzung der neuen Firmenpflichten. In zentralen Punkten geht die Richtlinie indes weniger weit als die alte Schweizer Volksinitiative.
Die Schweizer Initianten haben daraus und aus ihrer Abstimmungsniederlage Lehren gezogen. Sie haben am Dienstag nur gut vier Jahre nach ihrem Scheitern schon wieder eine Konzernverantwortungsinitiative zu Umwelt und Menschenrechten lanciert, aber dabei einige kritische Punkte entschärft. Das Potenzial für Schweizer Alleingänge ist mit der neuen Initiative geringer als beim ersten Anlauf der Initianten. Laut dem Initiativtext hat der Bund bei der Ausgestaltung der Regeln die «internationalen Leitlinien» zu beachten und die «europäischen Entwicklungen» zu berücksichtigten – besonders die EU-Richtlinie zu den Sorgfaltspflichten für Firmen, wie es in den Erläuterungen heisst.
Die frühere Schweizer Volksinitiative hatte keine generelle Ausnahme für Klein- und Mittelbetriebe (KMU) vorgesehen. Nun sagen die Initianten in den Erläuterungen zu ihrem neuen Begehren, dass sich die Schweizer Regulierung an den EU-Schwellenwerten zu Jahresumsatz und Mitarbeiterzahl orientieren soll. In «Hochrisikobereichen» wie etwa dem Rohstoffsektor könnte der Bund auch kleinere Unternehmen, welche der ordentlichen Revisionspflicht unterliegen, direkt erfassen. Dies ist als Kann-Bestimmung vorgesehen und damit keine Pflicht.
Zu den grossen Streitpunkten der früheren Schweizer Volksinitiative gehörte auch die verlangte Umkehr der Beweislast bei zivilrechtlichen Haftungsklagen nach dem Motto «der Konzern ist bei Schäden schuldig, ausser er beweist, dass er die Sorgfaltspflichten erfüllt hat». Die EU-Richtlinie verlangt keine solche Beweislastumkehr, so dass auch die neue Schweizer Volksinitiative davon absieht. Zudem verlangt der Initiativtext keine Haftung von Konzernzentralen für die ganze Lieferkette, sondern «nur» für konzerninterne und weitere kontrollierte Unternehmen.
Der Initiativtext verlangt indes «eine angemessene Regelung für die Erbringung von Beweisen». Laut den Erläuterungen soll die Beweislast für Kläger realistisch bleiben – zum Beispiel durch eine Pflicht zur Beweisherausgabe von angeklagten Unternehmen. Auch bei der neuen Initiative dürfte die Haftungsklausel ein zentraler Streitpunkt sein. Laut den Initianten sollen nur die Geschädigten selbst bei Schäden an Leib, Leben oder Eigentum klageberechtigt sein – und nicht etwa Umweltorganisationen.
In Anlehnung an die EU-Richtlinie verlangt der neue Initiativtext auch ausdrücklich eine «wirksame und unabhängige» Aufsichtsbehörde mit Bussenkompetenz. Zudem müssen die erfassten Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit auf die international vereinbarten Klimaziele ausrichten und bei den Treibhausgasen entsprechende Reduktionspfade festlegen und umsetzen.
Warten auf Bundesrat
Wie beim ersten Mal bemühen sich die Initianten, den Eindruck von einer rein linken Initiative zu verwischen. So sind offiziell im Initiativkomitee nebst Vertretern von Hilfswerken und Umweltorganisationen mehr ehemalige oder aktive Politiker von Parteien aus dem Mitte-Spektrum vertreten als von Linksparteien.
Wie der Bundesrat auf die Verschärfung der EU-Regeln reagieren will, ist noch nicht klar. Theoretisch könnte er einfach nichts tun, da die grossen Schweizer Konzerne kraft ihrer Präsenz im EU-Raum ohnehin direkt von der EU-Richtlinie betroffen sind. Manche Schweizer KMU dürften zudem indirekt als Zulieferer von grösseren Firmen betroffen sein – da die Grosskonzerne die Sorgfaltspflichten sozusagen an ihrer Lieferkette weitergeben dürften.
Eine vom Bund bestellte Studie hatte 2023 geschätzt, dass etwa 160 bis 260 Schweizer Unternehmen direkt von der EU-Richtlinie betroffen sein dürften, und etwa 10 000 bis 50 000 Schweizer Unternehmen indirekt betroffen sein könnten. Jene Schätzungen beruhten indes noch auf den damals diskutieren tieferen Schwellenwerten in EU (zum Beispiel ab Jahresumsatz von 300 statt 450 Millionen Franken). Mit den seither beschlossenen Schwellenwerten wird die Schätzung zu den direkt betroffen Schweizer Firmen tiefer ausfallen. Eine Aktualisierung der besagten Studie liegt vor und soll dieses Frühjahr publiziert werden – zusammen mit einem Richtungsentscheid des Bundesrats über das weitere Vorgehen.
Ein Verzicht auf jeglichen Nachzug der Schweiz auf die neue EU-Richtlinie stünde im Prinzip im Widerspruch zur früheren Regierungsparole für ein «international abgestimmtes Vorgehen» Denn längst nicht alle Schweizer Firmen mit Jahresabsatz über 450 Millionen Euro und mehr als 1000 Mitarbeitern dürften von der EU-Richtlinie direkt betroffen sein. Die neue Volksinitiative ist wohl vor allem als innenpolitisches Druckmittel gedacht und könnte auch den Anlass für einen Gegenvorschlag des Parlaments liefern.
Geht die EU über die Bücher?
Doch wie die EU-Länder die neue Richtlinie umsetzen, muss sich erst noch zeigen. Die Mitgliedstaaten haben für die nationale Umsetzung bis Juli 2027 Zeit. Zudem ist auch die Richtlinie selbst nicht unbedingt in Stein gemeisselt. Die EU-Parlamentswahlen brachten im vergangenen Jahr eine Verschiebung nach rechts. Die EU-Kommission unter ihrer Chefin Ursula von der Leyen hat sich die Bürokratieentlastung von Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft auf die Fahne geschrieben.
Wie ernst das gemeint ist, bleibt abzuwarten. Doch sogar in der EU scheinen einige Akteure gemerkt zu haben, dass sich Wohlstand nicht herbeiregulieren lässt und gutgemeinte Vorschriften längst nicht immer auch gute Ergebnisse bringen. Die EU-Kommission will laut eigenen Angaben den Aufwand der Firmen für Berichterstattungspflichten in Sachen Nachhaltigkeit um 25 Prozent senken. Von der Leyen kündigte im vergangenen November den Plan an, die beiden EU-Richtlinien zu den Sorgfaltspflichten und zu den Berichterstattungspflichten der Firmen zusammen mit dem Klassifizierungssystem für nachhaltige Aktivitäten zwecks Bürokratieentlastung in einem Rechtstext zusammenzulegen. Die Inhalte der genannten Richtlinien sollen laut der Kommissionspräsidentin nicht ändern. Wie ohne inhaltliche Änderungen eine Entlastung für die Firmen entstehen soll, erscheint indes rätselhaft. Und vor allem könnten die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament die Übung zum Anlass nehmen, Lockerungen durchzusetzen.