Über einen, dem alles zu gelingen scheint. Fast.
An einem Märzabend schreit ein junger Mann an einer Bushaltestelle an der Langstrasse: «Hey, mach mal wieder ein Video! Ich warte!» Der Angesprochene lacht, winkt, betritt dann aber mit seiner Entourage schnell den Bus. Der junge Mann ist ein Fan, aber wohl auch etwas angetrunken. Im Bus dreht sich eine Frau um und ruft: «Oh, mein Gott, das seid ja ihr!» Sie ist am Telefon, unterbricht den Anruf und fragt, ob sie ein Selfie mit der Gruppe machen könne. Danach wendet sie sich ab und sagt ins Telefon: «Sorry, ich hatte gerade einen Fangirl-Moment. Sekunde, ja, ich hab dir das Foto gerade geschickt.»
Cedric Schild ist mit Sicherheit der momentan erfolgreichste Komiker der Schweiz. Aber so viel Starkult, wie ihn Schild und sein Team gerade erleben, ist dann doch etwas ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist, dass man Stars in der Schweiz so direkt anspricht und dabei jede Zurückhaltung vergisst.
Liegt vielleicht auch daran, dass Cedi Schild in seinen Videos als Supercedi nicht gerade zurückhaltend ist. Um das mal zurückhaltend zu formulieren.
Schild wurde bekannt als Protagonist, Moderator und Host von Kurzvideos des Onlinemediums «Izzy Magazine». Er spielte Telefonstreiche und überredete Armeeangehörige, geschützte Daten zu faxen, schaffte es mit einem künstlichen Kornkreis in die Boulevardmedien und überführte einen lokalen SVP-Politiker der versuchten Wahlmanipulation.
Das war immer frech und direkt. Da denken sich die Leute vielleicht, so jemanden kann man auch frech und direkt ansprechen. Zumal es schwerfällt, Cedi und die Kunstfigur Supercedi auseinanderzuhalten – aber vielleicht ist das auch nicht nötig. Cedi jedenfalls sagt, wer er privat sei, sein Privatleben, Freundin, Eltern, all das, gehe niemanden etwas an. Er verstehe nicht, wieso er da etwas von sich preisgeben müsste. Fair enough. So jemanden sollte man beim Wort nehmen.
Am Märzabend ist Cedi unterwegs an eine Preisverleihung der Schweizer Journalisten. Ja, Cedi Schild wird als Komiker gehandelt, aber seine Videos bewegen sich in einer Grauzone. Sie erzählen oft eine Geschichte, decken eine Absurdität oder einen Missstand auf. Das hat journalistische Elemente, ist zugleich meistens auch sehr lustig. Fragt man Cedi, was sein Beruf sei, sagt er: «Ich bin Journalist. Habe sogar ein Diplom zu Hause.» Dann kichert er ein Cedi-Kichern, wie man es auch aus den Videos kennt. Das ist also echt.
Er macht sich aus diesem Spiel mit den Rollen einen Spass. Weil es die Journalisten aufzuregen scheint, dass da jemand – mit nicht so trockenen, aber doch teilweise relevanten Themen – so viel Erfolg bei den Jungen haben kann, dabei so lustig ist, sich Journalist schimpft und sich doch nicht an alle journalistischen Handwerksregeln hält. Und je mehr es die Journalisten aufregt, desto genüsslicher verweist Cedi auf sein Diplom von der Journalistenschule.
Deshalb freut er sich nun auch auf den Anlass, an dem ihm der Titel als Videojournalist des Jahres verliehen wird. Die Medienbranche ist klein, an solchen Zeremonien reden normalerweise alle mit allen, aber das Izzy-Team um Cedi mischt sich nicht gross unter die Journalisten, Cedi hält später die lustigste Dankesrede des Abends und zieht dann mit einem gerahmten Diplom noch vor dem Apéro von dannen.
75 Prozent Glück
Ein paar Wochen vor der Preisverleihung hat Cedi mit einem fast eineinhalbstündigen Film seinen bisher grössten Coup gelandet. Auch in «Die Enkeltrickbetrüger» hat er Genregrenzen verwischt und hat mit seinem Team die Funktion als «Kassensturz von der Langstrasse» (Cedi) auf die Spitze getrieben.
Am Film lässt sich das Erfolgsrezept von Schild aufzeigen. Das Thema ist zwar ernst: Ältere Menschen werden jedes Jahr um riesige Summen betrogen, wer den Enkeltrickbetrügern erliegt, bleibt traumatisiert zurück; und im Film kommen Betroffene auch zu Wort. Schild interviewt sie so sensibel, wie es Dokumentarfilmer im SRF auch tun würden.
Aber dann begibt sich Schild in ein Feld, das er «Du-Journalism» nennt. Er wird selbst zum Akteur, wartet monatelang als Köder darauf, dass sich Enkeltrickbetrüger bei ihm melden, und führt sie dann am Telefon hinters Licht. Die investigative Recherche wird zum Lausbubenstreich, und Supercedi betrügt den Telefonbetrüger. Irgendwann rennt Supercedi mit dem Mikrofon in der Hand dem Geldabholer der Betrügerbande hinterher und grinst triumphal in die Kamera, als die Polizei diesen sogenannten «Esel» verhaftet.
Cedi Schild, in Uster aufgewachsen, hat eine Lehre als Gestalter Werbetechnik gemacht und kam dann relativ zufällig zu Radio 105. Da hatte er zum ersten Mal Glück, weil das Radio ihn anstellte, obwohl er im Bewerbungsgespräch versagte. («Sie fragten mich: ‹Wissen Sie, was in Boston passiert ist?› Ich sagte: ‹Nein, keine Ahnung.› Dabei war da gerade der Bombenanschlag auf den Marathon!») Aber nach fünf Monaten ging das Radio in Konkurs, und Cedi fragte sich, ob er zurück «auf den Bau muss».
Da hatte er zum zweiten Mal Glück, weil Roger Schawinski das Radio übernahm und Cedi nicht entliess («Vielleicht, weil ich einfach nur 500 Franken als Praktikant verdiente»). Und dann war es vielleicht auch Glück, dass Leute bei Ringier, die ein neues Social-Media-Magazin für Junge entwickeln mussten, auf ihn, der inzwischen eine Morgenshow am Radio moderierte, aufmerksam wurden.
Schild sagt von sich, sein Erfolg sei «75 Prozent Glück, 12,5 Prozent Arbeit und 12,5 Prozent Talent». Vielleicht erklärt dieser Satz mehr Schilds Beliebtheit bei der als arbeitsscheu verschrienen Gen-Z-Zielgruppe als sein tatsächliches Erfolgsrezept. Denn eigentlich ist das alles harte Arbeit. Und braucht Ausdauer und Hartnäckigkeit.
Sowieso redet Schild wie ein Perfektionist. Er erzählt davon, wie viele Ideen scheitern, wie lange er nach der richtigen Umsetzung für ein Thema sucht und nicht einfach «mit der Kamera mal irgendwohin geht, um dann zu schauen, was passiert».
Schilds Hobby ist das Fischen. Das ist das Persönlichste, was er von sich preisgibt. Er erzählt dann, dass er dabei schon sehr verbissen sei. «Am einen Tag gehst du fischen und fängst einen guten Fisch, und am nächsten Tag änderst du nichts, das Wetter ist gleich, der Luftdruck ist gleich, der Wasserstand ist gleich, du machst das genau Gleiche zur gleichen Uhrzeit – und du fängst nichts. Dann musst du den Fehler aber trotzdem bei dir selbst suchen und nicht beim Fisch. Dann wirst du ein guter Fischer.»
75 Prozent Glück klingen anders.
Der entlarvende Almir
Am vergangenen Donnerstagabend feierte Cedric Schild mit seinem Bühnenprogramm Premiere. Radiomoderator, Instagram-Star, Gonzodokumentarfilmer – und nun Stand-up-Comedian. Der letzte Schritt ist der mutigste. Nicht nur, weil man plötzlich live vor über hundert Menschen spielt und Fehler nicht herausschneiden kann. Was in kurzen (oder auch längeren Filmen) funktioniert, muss auf der Bühne nicht unbedingt lustig sein.
Schild hat das antizipiert. «I de Videos bini lustiger» lautet der Titel des Programms. Und er ist auch irgendwie das Problem. Gleich zu Beginn erklärt Schild, wie er den Titel einer Instagrammerin verdanke, die ihn beim Flirten nach seiner Nummer fragte und ihm, als er die Nummer verweigerte, erklärte, in den Videos sei er aber lustiger. Cedis Replik auf der Bühne: «Habe ihr dann nicht gesagt, dass sie auf ihren Bildern auf Insta auch geiler ausschaut.»
Es ist eine Pointe, die im Saal an der Premiere funktioniert. Und die Tonlage setzt. Es hat erstaunlich viele Witze, die man wohlwollend als Dadjokes abtun könnte, die viele aber auch einfach sexistisch und pubertär empfinden dürften. Manches mutet dann wie eine Zeitreise in die 1990er und nuller Jahre an.
Etwa wenn Cedi die Figur von Almir spielt, der dem Publikum erklärt, wie man bei der «Bahnhofstour» mit dem Auto cool aussieht. Cedi witzelt zwar, dass man diese Figur ja 2024 nicht mehr spielen dürfe. Vermutlich soll es dann als Verteidigung gelten, dass gleich zu Beginn dem Zuschauer seine eigenen Vorurteile vorgeführt werden: «Wenn du dir ein geiles Auto nicht leisten kannst, dann gibt es ein Zauberwort, das beginnt mit L», sagt Almir. Der Zuschauer denkt an Leasing, Almir sagt: «Lehrstelle.» Aber der Moment, in dem Supercedi dem Publikum den Spiegel vorhält, ist kurz – und danach folgt der Sketch mit einem allen Vorurteilen entsprechenden, nicht allzu intelligenten Migranten.
Handwerklich ist Cedi gut. Duktus, Gestik sind den Imitierten perfekt abgeschaut. Aber originell ist das Überzeichnen einer Bevölkerungsgruppe oder Berufsgruppe in Sketches nicht mehr. Vielleicht ist das aber auch gar nicht der Anspruch, wenn man zuvor den Telefonscherz perfektioniert hat.
Cedi kann sich das beim Publikum leisten. Seine Zielgruppe ist ohne Sketches von Giacobbo aufgewachsen. Und schliesslich ist Supercedi, die Figur, ein Lausbub, dem man alles verzeiht. Er verspottet die Polizei, wird gar einmal angezeigt, verhöhnt den Lokalpolitiker, kommt damit davon, weil dieser erkennt, dass er schlecht dastehen würde, wenn er den geliebten Supercedi anzeigen würde – kurz: Supercedi spasst sich durchs Leben und kommt damit davon. Wer möchte nicht auch Supercedi sein?
Und sind die Zeiten nicht sowieso zu schwer? Da hat Supercedi etwas Befreiendes. Da ist keine woke Selbstzensur, und in den meisten Fällen geht es ja gegen diejenigen, die ohnehin wenig Sympathien geniessen: Bullen, Armeeoffiziere und Sextouristen. Dass der migrantische Autoposer in die Aufreihung passen soll, ist so entlarvend für das Publikum wie für die Bühnencrew selbst.