Laut Bundesrat sollen bis Ende Jahr mindestens 40 Prozent der Ukraine-Flüchtlinge erwerbstätig sein. Zur Diskussion steht nun unter anderem eine Meldepflicht gegenüber den Arbeitsmarktstellen und eine Perspektive für einen Verbleib nach Beendigung des Schutzstatus S.
Nach der Eskalation von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 erhielten die Ukraine-Flüchtlinge in der Schweiz wie auch in der EU den sofortigen Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt. Dies unter dem Titel «Schutzstatus S».
Die Schweizer Hilfe für die Ukraine-Flüchtlinge steht in einem Spannungsfeld: Die Flüchtlinge sollen zurückkehren, sobald dies sicher möglich ist, doch gleichzeitig strebt die Schweiz auch eine möglichst grosse Erwerbstätigkeit der Betroffenen an – um die Sozialkosten in Grenzen zu halten und den Flüchtlingen bessere Aussichten zu geben.
Ende April 2024 waren rund 65 000 Personen mit Schutzstatus S in der Schweiz registriert. Davon sind knapp 40 000 im klassischen Erwerbsalter (18 bis 64). Die Erwerbstätigenquote der Flüchtlinge im Erwerbsalter steigt von Monat zu Monat, doch es gibt noch viel Luft nach oben.
Ende April waren 24 Prozent der Ukraine-Flüchtlinge erwerbstätig; dies bei einem durchschnittlichen Beschäftigungsgrad von 70 Prozent. Der durchschnittliche Monatslohn dieser Flüchtlinge hochgerechnet auf eine Vollzeitstelle betrug laut Bundesangaben 4600 Franken.
Optisch tiefe Quote
Im europäischen Vergleich ist die Erwerbsquote der Ukraine-Flüchtlinge in der Schweiz eher tief. Die Niederlande zum Beispiel hatten schon im vergangenen Jahr eine Erwerbstätigenquote der Ukraine-Flüchtlinge von 50 Prozent gemeldet.
Laut Angaben des Ländervereins OECD hatten einige andere europäische Länder wie etwa Estland und Grossbritannien schon im November 2022 Erwerbstätigenquoten der Ukraine-Flüchtlinge von 40 Prozent ausgewiesen. Deutschland wies dagegen jüngst für die erwerbsfähigen Ukraine-Flüchtlinge per Januar 2024 eine Erwerbstätigenquote von nur 20 Prozent aus.
Laut Schweizer Behörden ist die internationale Vergleichbarkeit solcher Zahlen zurzeit nicht gegeben, da in diesem Kontext die verwendeten Definitionen von Erwerbstätigkeit nicht überall die gleichen seien. So würden Ukraine-Flüchtlinge in anderen Ländern zum Teil schon mit kleinem Arbeitspensum als erwerbstätig gezählt. Im Übrigen dürften Länder wie Grossbritannien und die Niederlande sprachliche Vorteile im Vergleich zur Schweiz haben, da Englisch unter den Ukraine-Flüchtlingen weit stärker verbreitet ist als Deutsch und Französisch.
Im Vergleich zu früheren Flüchtlingswellen in die Schweiz ist die Erwerbstätigkeit der Ukraine-Flüchtlinge schon relativ hoch. Das war allerdings auch zu erwarten, da die Ukrainer im Vergleich zu früheren Flüchtlingen zum Beispiel aus Eritrea, Syrien oder Afghanistan gemessen an Qualifikation, Kultur und Sprache im Mittel «näher» beim Schweizer Arbeitsmarkt sind.
Hinzu kam die relativ starke Willkommenskultur in der Schweiz gegenüber den Ukraine-Flüchtlingen. Die Erwerbsquote der Ukraine-Flüchtlinge, die seit über zwei Jahren in der Schweiz sind, lag Ende März bei gut 31 Prozent und damit deutlich über dem Gesamtdurchschnitt.
40 Prozent bis Ende Jahr
Der Bundesrat will die Erwerbstätigenquote im Mittel aller Ukraine-Flüchtlinge bis zum Jahresende von 24 auf 40 Prozent steigern. Justizminister Beat Jans bezeichnete am Mittwoch vor den Medien dieses Ziel als «hochgesteckt». Bei linearer Fortschreibung des Trends der letzten Monate käme man laut Behördenangaben bis Ende Jahr nur auf eine Quote von gut 32 Prozent.
Zur Erreichung Ihres Ziels hat die Regierung am Mittwoch eine Serie von Beschlüssen gefällt. Zum ersten sieht sie eine Offensive in Sachen Kommunikation und Behördenkoordination vor. Dabei geht es laut Jans auch um ein klares Signal an die Flüchtlinge: «Wir erwarten ein Engagement.» Übersetzt: Flüchtlinge sollen nach Möglichkeit erwerbstätig sein und dies auch wissen. Zudem sollen die involvierten Behörden (Asylsozialhife, Integrationsförderung und Regionale Arbeitsvermittlungzentren – RAV) enger zusammenarbeiten.
Die Rolle der RAV war bisher enttäuschend, weil sich nur wenige Ukraine-Flüchtlinge bei der öffentlichen Arbeitsvermittlung registriert hatten. Die Behörden rechneten anfangs dem Vernehmen nach mit Zehntausenden von Anmeldungen, doch registriert waren bisher weniger als 2000. Ende März dieses Jahres waren es knapp 1600.
Die RAV wären laut Beobachtern bereit, weit mehr Ukraine-Flüchtlinge zu unterstützen, doch bisher gibt es für die arbeitslosen Flüchtlinge keine Meldepflicht. Rechtlich wäre es laut Behördenangaben schon heute möglich, bei ungenügender Stellensuche von arbeitslosen Flüchtlingen die Sozialhilfe zu kürzen. Wie weit diese Möglichkeit durch die Behörden in den Kantonen auch benutzt wurde, ist unklar.
Seit diesem Jahr sollten die kantonalen Sozialhilfebehörden arbeitsmarktfähige Ukraine-Flüchtlinge dem zuständigen RAV melden. Der Bundesrat will nun eine gesetzliche Meldepflicht prüfen. Vorgesehen ist überdies eine Pflicht für Flüchtlinge zur Teilnahme an Integrations- und Beschäftigungsprogrammen.
Zudem hat das Justizdepartement einen Beauftragten für die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge mit Schutzstatus S ernannt: Adrian Gerber, zurzeit Leiter der Abteilung Integration im Staatssekretariat für Migration. Er soll für die Wirtschaft und die Behörden so etwas wie das Gesicht des Bundes für die Arbeitsmarktintegration der Ukraine-Flüchtlinge sein und als Vermittler wie als Ansprechsperson dienen. Eine von Hochschulen entwickelte Online-Stellenplattform für Flüchtlinge soll zudem den Informationsfluss verbessern.
Perspektive für Erwerbstätige
Im weiteren will der Bundesrat prüfen, ob er das Ausmass der Bundesbeiträge an die Kantone für die Integrationsförderung an die Anstrengungen der Kantone knüpfen will. Das dürfte noch zu schwierigen Diskussionen mit den Kantonen führen.
Zur Diskussion steht auch die Idee einer längeren Verbleibperspektive für erwerbstätige Flüchtlinge. Wenn diese nach Beendigung des Schutzstatus S noch eine Weile bleiben können, dürfte dies die Motivation der Betroffenen zur Stellensuche stärken und die Arbeitgeber dank grösserer Planungssicherheit eher zur Anstellung von Ukraine-Flüchtlingen ermuntern. Eine zusätzliche Verbleibfrist von sechs bis zwölf Monaten nach Beendigung des Schutzstatus S könne aus Sicht der Arbeitgeber sehr nützlich sein, sagt Dieter Kläy vom Gewerbeverband.
Kläy nennt auf Anfrage aus Sicht des Gewerbes vor allem drei Hürden für die Anstellung zusätzlicher Ukraine-Flüchtlinge: den Mangel an relevanten Sprachkenntnissen von Bewerbern, den Mangel an Planungssicherheit für die Arbeitgeber sowie die Notwendigkeit zum Einholen einer Arbeitsbewilligung.
Eine solche Bewilligung dürfte bald nicht mehr nötig sein. Das Parlament hat im März eine Motion, die den Ersatz der Bewilligungspflicht durch eine Meldepflicht fordert, an den Bundesrat überwiesen. Der Bundesrat war damit einverstanden und muss die Motion nun umsetzen.
Doch wie geht es weiter mit dem Status S? Zurzeit gilt dieser im Einklang mit den EU-Regeln bis 4. März 2025, sofern der Ukraine-Krieg nicht früher zu Ende geht. Eine weitere Verlängerung ist gut möglich. Die Schweiz dürfte sich weiter stark auf die EU ausrichten. Näheres dazu ist vom Bundesrat für diesen Herbst zu erwarten.