Wer unzufrieden damit ist, wie die Plattformen Tiktok oder Facebook mit umstrittenen Beiträgen umgehen, kann sich bei einer Anlaufstelle melden. Diese ist jedoch nicht besonders effektiv – und beklagt mangelnde Kooperation der sozialen Netzwerke.
Pornografische Darstellungen, Mobbing, Belästigung oder Hassrede: Sie sind in den sozialen Netzwerken weit verbreitet – und wohl immer verbreiteter. Spätestens seit dem Kurswechsel mit der Übernahme von X durch Elon Musk im Jahr 2022 und dem Paradigmenwechsel von Mark Zuckerberg in diesem Jahr bei Meta, dem Mutterkonzern von Facebook und Instagram.
Seither lassen es die Plattformen der Meta-Netzwerke etwa zu, Homosexualität als Geisteskrankheit oder Frauen als Eigentum zu bezeichnen. Zuvor wurden solche beleidigende oder gar diskriminierende Beiträge von den Plattformen gelöscht.
Die Regulierung von X und den Meta-Netzwerken durch die Betreiber wurde zwar gelockert. Doch grundsätzlich funktioniert sie wie gehabt: Wer in den sozialen Netzwerken etwas teilen will, das vom Plattformbetreiber nicht zugelassen wird, oder einen strittigen Beitrag löschen lassen will, kann sich darüber bei den Betreibern beschweren.
Weil Nutzer oft unzufrieden sind, wie die Plattformbetreiber entscheiden, ist die EU eingeschritten. In ihrem Bestreben, die amerikanischen Tech-Konzerne dazu zu zwingen, europäisches Recht einzuhalten, haben sie ein neues Instrument lanciert.
Nacktheit, Mobbing, Belästigung
Seit November gibt es eine Anlaufstelle, das Appeals Centre Europe, bei der sich Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke melden können. Zum Beispiel, wenn ein Beitrag, der Hassrede beinhaltet, nicht gelöscht wird oder wenn ein freizügiges Bild fälschlicherweise wegen Verdachts auf Pornografie gelöscht wird.
Das Appeals Centre Europe ist eine von der EU gesetzlich vorgesehene, aber unabhängige Stelle zur aussergerichtlichen Streitbeilegung. Sie wird finanziell auch von Meta unterstützt. Die Prüfer der Anlaufstelle wenden die Richtlinien des jeweiligen sozialen Netzwerkes an, um zu beurteilen, ob eine Entscheidung im Streitfall korrekt war.
In den ersten vier Monaten hätten sich 1500 Nutzerinnen und Nutzer der sozialen Netzwerke Facebook, Tiktok und Youtube gemeldet, teilte die Anlaufstelle diese Woche mit. Meldungen zu Beiträgen auf Instagram und X sind noch nicht möglich, die Anlaufstelle will dies in Zukunft jedoch ändern.
Meldungen aus der ganzen EU
Es gab Meldungen aus jedem Mitgliedsstaat der EU. Die meisten Streitfälle wurden aus Italien gemeldet, vor Frankreich und Deutschland. Bei den Streitigkeiten ging es am häufigsten um mögliche Verstösse gegen die Regeln der Plattformen in Bezug auf Nacktheit, Mobbing und Belästigung sowie eingeschränkte Waren und Dienstleistungen, etwa im Zusammenhang mit Drogen und Alkohol.
Die meisten Meldungen gab es zu Beiträgen auf Facebook. Dort hiess die Anlaufstelle über die Hälfte der 141 Beschwerden gut. 21 Prozent der Meldungen bezogen sich auf Tiktok, nur 3 Prozent auf Youtube.
Zuckerberg wirft EU Zensur vor
Im Verhältnis zu den Hunderten Millionen Nutzern der sozialen Netzwerke in den EU-Ländern sind es sehr wenige Personen, die sich bei der Stelle gemeldet haben. Es ist eine ernüchternde erste Bilanz für die Anlaufstelle, die ein Bestandteil der Regulierung von Online-Plattformen ist, die der «Digital Services Act» vorsieht. Das EU-Gesetz über digitale Dienste ist in den vergangenen zwei Jahren schrittweise in Kraft getreten und soll Desinformation oder diskriminierende Inhalte im Netz bekämpfen.
Amerikanische Tech-Konzerne werfen der EU wegen des Gesetzes Zensur vor. Kritik gab es auch vom Meta-Chef Zuckerberg. In den USA ändern seine Plattformen Facebook und Instagram gerade ihre Strategie im Umgang mit problematischen Inhalten. Sie beendeten etwa die Zusammenarbeit mit externen Faktenprüfern. Diese Aufgabe sollen nun die Nutzerinnen und Nutzer selbst übernehmen, indem sie irreführende und falsche Mitteilungen als solche kennzeichnen.
Die amerikanischen Tech-Konzerne stehen in der EU seit Jahren unter scharfer Beobachtung und mussten hohe Bussen zahlen, weil sie die europäischen Vorgaben zum Wettbewerbsrecht oder Datenschutz nicht erfüllten.
Die Anlaufstelle ist ein weiteres Mittel, um die Tech-Konzerne zu regulieren. Die Entscheidungen der Anlaufstelle sind für Facebook, Tiktok und Youtube allerdings nicht bindend, die Plattformen müssen sich nur mit dem Urteil «auseinandersetzen». Die Stelle teilte jedoch mit, Meta habe bereits mit der Umsetzung ihrer Beschlüsse begonnen, also Beiträge nachträglich gelöscht oder zugelassen.
«Bestgehütetes Geheimnis Europas»
Doch die Zusammenarbeit läuft nach Ansicht der EU-Behörde noch nicht wunschgemäss. Konkret kritisiert die Anlaufstelle den schlecht funktionierenden Informationsaustausch mit den sozialen Netzwerken. Zudem bemängelt sie, dass die Plattformen nicht oder zu wenig auf die Möglichkeit der aussergerichtlichen Streitbeilegung aufmerksam machten. Die Plattformen machten daraus «das bestgehütete Geheimnis Europas», heisst es.
Allerdings hat es auch die EU verpasst, die neue Anlaufstelle mit eigenen Mitteln effektiv zu bewerben. Dass sie «game-changing» sein werde, wie es ihr Chef vor dem Start im Oktober formulierte, ist jedenfalls noch nicht der Fall.