Typisches Beispiel migrantischer Gewalt – oder bloss eine ausgeartete Schlägerei? Die tödliche Messerstecherei von Crépol wühlt Frankreich immer noch auf.
Wer hat Thomas P. getötet? Die Frage ist nicht nur kriminalistisch interessant, sondern vor allem auch politisch hochbrisant. So brisant, dass sich französische Medien mit der Exegese von Vornamen verdächtiger Personen beschäftigten: französisch – oder doch eher nordafrikanisch? Der Fall Crépol hat Frankreich aufgewühlt. Und noch immer sucht die Polizei nach dem Mörder.
Im letzten November kam es im kleinen Dorf Crépol im Südosten des Landes nach einem Winterball zu einer blutigen Auseinandersetzung. Der 16-jährige Rugbyspieler Thomas P. war am Schluss tot, erstochen. Sechzehn weitere Personen wurden verletzt, zwei davon schwer. Die Täter sollen gesagt haben, sie wollten «Weisse töten». So berichten es mehrere Zeugen, während andere nichts davon gehört haben wollen. Bei den Verdächtigen handelt es sich vor allem um Jugendliche mit maghrebinischer Herkunft, die im Problemviertel La Monnaie in der benachbarten Stadt Romans-sur-Isère wohnen.
Am vergangenen Wochenende informierte der Staatsanwalt über die Fortschritte bei den Untersuchungen. Die Polizei befragte elf Personen und klagte fünf von ihnen wegen vorsätzlicher Tötung und versuchter vorsätzlicher Tötung als Mitglied einer kriminellen Bande an. Sie gesellen sich zu neun weiteren Personen, die schon im November angeklagt worden waren. Alle vierzehn sind hinter Gittern. Die Ermittler wollen sie nun mit den Aussagen anderer Beteiligter konfrontieren, um herauszufinden, wer für die tödlichen Stiche verantwortlich ist. Bisher hat sich offenbar keiner der Verdächtigen dazu bekannt.
Zwei gegensätzliche Interpretationen
Somit bleibt unklar, welche Interpretation der Ereignisse vom November näher bei der Wahrheit liegt. Handelte es sich um eine relativ banale Dorfschlägerei, die aus dem Ruder gelaufen ist? So stellten es Teile der französischen Medien und der politischen Linken dar. Sie stützen sich dabei auf Zeugenaussagen, laut denen die Gruppe aus Romans friedlich mitgefeiert habe, bis ein Freund von Thomas P. einen der auswärtigen Jugendlichen provoziert und an den Haaren gerissen habe. Erst da habe der fatale Streit begonnen.
Oder war es ein besonders schreckliches Beispiel von Gewalt, die Jugendliche mit Migrationshintergrund ausüben? Ein Mordkommando von kaum integrierten Franzosen mit Wurzeln in Afrika, das aus der Stadt auszog mit dem einzigen Ziel, einem Weissen das Leben zu nehmen? Dieses Narrativ bedienten rechte und rechtsextreme Politiker wie Éric Zemmour, der von einem «Frankozid» sprach. Auch die rechte Bürgermeisterin von Romans erklärte, die Messerangriffe hätten klar einen «rassistischen, gegen Weisse gerichteten» Hintergrund. Daraufhin erhielt sie laut eigenen Aussagen Todesdrohungen. Jemand schrieb ihr, er werde ihr den Kopf abschneiden.
Etliche französische Medien empörten sich indes vor allem über die politische Instrumentalisierung der Tat durch «rassistische» Kreise. Eine Woche nach dem tödlichen Angriff versuchten achtzig Rechtsradikale trotz grossem Polizeiaufgebot ins Viertel La Monnaie vorzudringen. Sie forderten «Gerechtigkeit für Thomas» und schrien, sie seien bereit für einen Bürgerkrieg.
Geleakte Liste der Verdächtigen
Ein Teilnehmer dieser Racheexpedition hatte auf seinem Handy eine Liste mit den Namen von mehreren minderjährigen Verdächtigen aus Romans, inklusive Telefonnummern, Adressen und Angaben zu den Angehörigen. Die Liste tauchte später auch auf X auf, zusammen mit Hassbotschaften gegen die Verdächtigen, die maghrebinische Namen tragen. Den Tweet hatte der Identitäre Damien Rieu abgesetzt, ein Weggefährte von Zemmour und von Marion Maréchal, der Nichte von Marine Le Pen. Rieu hat auf X 250 000 Follower.
Das linke Magazin «Marianne» schrieb, das Leaken der Namensliste werfe die Frage auf, wie nahe manche Polizisten den rechtsextremen Kreisen seien. Der Staatsanwalt der Region Valence sprach von einem Angriff auf die Unschuldsvermutung und das Ermittlungsgeheimnis. Und eine nationale Behörde, die gegen die Verrohung im Cyberspace kämpft, hat eine Untersuchung gegen X wegen der Verbreitung von Hassbotschaften eröffnet.
So zieht der Fall Crépol weitere Kreise – und werden die Ergebnisse der Untersuchung mit grosser Spannung erwartet.







