In Städten wie Winterthur oder Luzern wird die Gasversorgung nach und nach eingestellt. Doch der Wechsel zu Fernwärme ist nicht flächendeckend möglich. Für betroffene Hausbesitzer wird es ungemütlich.
Das Quartier heisst Birchermüsli – kein Witz! –, und die Adressen lauten Aprikosen- oder Birnenweg. Die Gärten sind beschaulich hier , die Wohnhäuser hübsch, Menschen wie Peter W. (Name geändert) leben in einer heilen Welt. Umso grösser der Schock, wenn Nachrichten wie diese eintreffen: Die Stadt Winterthur wird zwischen 2030 und 2033 in den meisten Quartieren die Gasversorgung einstellen. Auch im «Birchermüsli». «Es war ein Schock, als wir hörten, dass das Gas abgeschaltet werden soll», sagt Peter W.
Schwierige Suche nach Lösungen
Sein Haus aus den 1930er Jahren steht vor einer unsicheren Zukunft. «Eine Luft-Wasser-Wärmepumpe würde uns 40 000 Franken kosten», rechnet er vor. Etwa 8000 Haushalte in der Stadt verlieren ihre Gasversorgung, ohne aber Zugang zu Fernwärme zu bekommen. So müssten Hauseigentümer mindestens 200 Millionen Franken aus eigener Tasche investieren, um auf erneuerbare Energie umzurüsten. «Bei uns im Quartier wohnt traditionell der untere Mittelstand, und längst nicht alle haben die Mittel flüssig», so der Hauseigentümer Peter W.
Bekanntermassen lehnen Winterthur und auch andere Städte wie Luzern und Basel die flächendeckende Erschliessung mit Fernwärme ab. Meist werden eine ungeeignete Topografie oder eine zu geringe Nutzerdichte als Gründe angeführt. Im Worst Case stehen somit in diesen Schweizer Städten nach dem Aus der Gasversorgung Tausende von Hauseigentümern ohne Heizung da.
Im Birchermüesli-Quartier, das als schützenswert gilt, sind strenge Auflagen zu beachten. Grössere bauliche Änderungen oder Wärmepumpen mit Erdsonden sind oft nicht möglich.
Betroffen sind auch Bewohner des Breitequartiers in Winterthur. «Wir müssen selbst Lösungen finden», sagt der Hauseigentümer Dieter M. Versuche, eine private Fernwärmeleitung oder eine eigene Heizzentrale mit Holzpellets zu etablieren, scheiterten an den unterschiedlichen Zielen der Nachbarn.
Nun fürchtet Dieter M., dass alle individuell in den Gärten eine Luft-Wasser-Wärmepumpe aufstellen werden. «Die Vorstellung ist erschreckend. Denn die alten Häuser sind dafür nicht geeignet, und der Strombedarf wäre enorm.»
Ein drängendes Problem in Luzern
Viele Fragen zur Machbarkeit gibt es auch in Luzern. Rund 80 Prozent der Gebäude werden noch immer mit Öl und Gas beheizt. Der städtische Versorger EWL plant, über eine Milliarde Franken in die Fernwärme zu investieren, die unter anderem durch einen Wärmetausch mit dem Vierwaldstättersee gespeist wird.
Trotz der Milliardeninvestition wird es aber nicht möglich sein, alle betroffenen Gebiete zu versorgen. EWL schätzt, dass für rund 65 Prozent der Gebäude keine Fernwärme zur Verfügung stehen wird, unter anderem an Hanglagen und in Aussenquartieren. Hinzu kommt, dass im engen städtischen Umfeld Wärmepumpen oft unrealistisch oder Erdsonden wegen des Grundwassers unzulässig sind. Sowohl Fachleuten als auch den Hauseigentümern bereitet vor allem die künftige Versorgung der Luzerner Altstadt Sorgen.
Hauseigentümer fordern Versorgungssicherheit
Alex Widmer, Geschäftsführer beim HEV Luzern, sagt dazu: «Wenn der Stadtrat die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040 auf null reduzieren will, gibt es für die Altstadt kaum andere Optionen als Fernwärme.» Wärmepumpen mit Erdsonden seien im dicht bebauten städtischen Raum schlicht unmöglich. Es sei Aufgabe der Stadt und des Energieversorgers EWL, die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Es dürfe auf keinen Fall passieren, «dass wir irgendwann Liegenschaften haben, die ohne Heizung dastehen», sagt Widmer warnend.
Er setzt sich auch kritisch mit den Kosten auseinander, denn die Nutzung erneuerbarer Energie aus dem nahen Seewasser und der Aufbau der ganzen Infrastruktur würden sehr aufwendig. Er schätzt, dass die Kosten für den Bezug von Wärme künftig mindestens doppelt so hoch liegen werden wie mit der Gasversorgung.
Basel: bis 90 Prozent Abdeckung angestrebt
Diese Sorgen treiben auch Hauseigentümer in Basel um. Der Kanton strebt zwar eine Fernwärmeabdeckung von bis zu 90 Prozent an. Auch wird hier kräftig investiert. Der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt hat für die nächsten fünfzehn Jahre Investitionen von 460 Millionen Franken bewilligt. Die Gasversorgung wird bis 2037 schrittweise stillgelegt.
Allerdings: Von 9000 Liegenschaften, die gegenwärtig Gas nutzen, werden auch hier 3200 ohne Anschluss an die Fernwärme bleiben. Laut Energieplan seien Alternativen wie Wärmepumpen oder Heizungen mit Holzpellets möglich, versichert ein Sprecher der Industriellen Werke Basel (IWB). Betont wird, dass die IWB zudem Unterstützung anböten, damit mehrere Hauseigentümer gemeinsam einen kleinen Wärmeverbund realisieren könnten.
Ehrgeizige Wende in Zürich
Massive Investitionen wurden auch im Kanton Zürich gesprochen. Die Wirtschaftsmetropole plant, in den kommenden zwanzig Jahren rund 2 Milliarden Franken aufzubringen, um die Abdeckung mit Fernwärme von derzeit 30 auf 60 Prozent zu erhöhen. Diese massiven Investitionen sollen später durch den Verkauf von Wärme refinanziert werden. Die Energiequellen sind vielfältig: Neben der bereits etablierten Kehrichtverbrennung werden Abwasserreinigungsanlagen und das Seewasser zur Energiegewinnung herangezogen.
Die vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen bis 2040 bleibt aber eine komplexe Vision. Insbesondere in den Quartieren Niederdorf, Hottingen, Wiedikon und Friesenberg steht die Nutzung von städtischer Fernwärme noch in den Sternen. Klar ist auch hier, dass keine flächendeckende Abdeckung möglich sein wird.
Intransparente Tarife
Als eine weitere Schwierigkeit erweisen sich die intransparenten Tarife. Lars Egger, CEO von Espace Real Estate mit rund 1400 Wohnungen, hat kürzlich einen Vergleich angestellt. «Bei einem Neubau mit rund fünfzig Wohnungen würde Fernwärme in Biel rund 20 Rappen pro Kilowattstunde kosten», erklärt er.
Der Tarif habe den Nachteil, dass er sich nach der Teuerung und den Preisen von Strom, Öl und Gas richte. Im Gegensatz dazu würde derselbe Verbrauch in Bern nur etwa 12 Rappen pro Kilowattstunde kosten. Noch günstiger ist das Angebot von Regio Energie im Kanton Solothurn mit rund 10 bis 11 Rappen. «Das ist ein attraktiver Preis, vor allem, weil dieser Vertrag ausschliesslich an die Teuerung gekoppelt ist», erklärt Egger.
Nachhaltigkeit: eine schwierige Balance
Anlass zu Kritik gibt weiter die Tatsache, dass Fernwärme gerne als grüne und nachhaltige Lösung gepriesen wird. In Zürich mussten Kunden lange mit der Praxis leben, dass ihre Tarife direkt an den Ölpreis gekoppelt waren. Bis 2021 enthielten Wärmelieferverträge der zuständigen städtischen Abteilung eine Klausel, die den Preis eins zu eins an den Erdölpreis band. Mittlerweile hat der Energieversorger die Tarife angepasst, die nun unter anderem an den Zürcher Energiepreisindex gebunden sind.
In Basel kam nach der Energiekrise 2022 ans Licht, dass ein erheblicher Teil der Fernwärme aus russischem Gas stammte. Der Gasanteil in der Wärmeproduktion konnte von 27 Prozent im Jahr 2022 auf nunmehr 22 Prozent gesenkt werden. «Bis 2035 soll die Umstellung auf hundert Prozent erneuerbare Energie erfolgen», verspricht der lokale Versorger IWB seinen Kunden.
Tarife unter Beobachtung
Um Transparenz zu fördern und ungerechtfertigte Tarife zu vermeiden, hat sich der Preisüberwacher mehrfach kritisch mit der Fernwärmebranche auseinandergesetzt, die mittlerweile über tausend Anbieter zählt. «Selbst für uns sind die Kalkulationen ohne die Nachforderung weiterer Information oft kaum nachvollziehbar», kritisiert der Preisüberwacher Stefan Meierhans.
Die Wettbewerbsfähigkeit von Fernwärme wird skeptisch gesehen, da die Preise an bestimmten Standorten meist völlig unvorhersehbar sind. Eine Marktbeobachtung im Jahr 2022 zeigte, dass die Jahreskosten für Fernwärme bei einem durchschnittlichen Einfamilienhaus zwischen 811 und über 4600 Franken variieren können.
Diese Schwankungen sind nicht nur auf unterschiedliche Energieträger zurückzuführen, sondern auch auf völlig verschiedene Kalkulationsgrundlagen, die kaum je offengelegt werden. Laut Stefan Meierhans laufen derzeit mehrere Prüfungen zu Fernwärmetarifen, zu denen er sich momentan nicht äussern möchte.