Wie schätzt er das Milliardenloch bei der Armee ein? Und vertraut er dem Armeechef noch? Nachgefragt bei FDP-Präsident und Sicherheitspolitiker Thierry Burkart.
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine haben Sie den militärischen Aufwuchs initiiert: ein Prozent des BIP für die Armee bis 2030. Im Parlament ist diese Idee gescheitert. Waren Sie zu optimistisch?
Die sicherheitspolitische Lage hat sich derart rasant verschlechtert, dass wir handeln müssen. Die Politik hat die Armee 30 Jahre lang konzeptionell und finanziell vernachlässigt. Die Armee lebt von der Substanz. Sie hat Systeme, die so alt sind, dass sie ausser Dienst gestellt werden oder sehr teuer wert erhalten werden müssen. Die Armee ist daher nicht mehr in der Lage, unser Land zu verteidigen. Mit dem Budgetentscheid vom Dezember kann der Wiederaufbau der Armee erst in den 2040er Jahren realisiert werden.
Es gab aber früh Warnungen, dass dieses Ausgabenwachstum zu einem Konflikt mit der Schuldenbremse führt.
Ja, aber das Parlament hat anlässlich der Finanzplanung vor 13 Monaten die Absicht noch einmal bestätigt: Aufwuchs der Armeeausgaben auf ein Prozent des BIP bis 2030. Nur ein Jahr später hat der Nationalrat den Entscheid geändert. Ich habe bei dieser Debatte im Ständerat auf Folgendes hingewiesen: Nicht nur die Schuldenbremse steht in der Verfassung, sondern auch der Auftrag zur Landesverteidigung. Beiden Aspekten ist Rechnung zu tragen.
Ein Dilemma aus liberaler Sicht.
Ganz klar. Andere Budgetbereiche sind daher in die Gesamtbeurteilung einzubeziehen. Bundesrat und Parlament müssen sich wieder mehr Freiraum schaffen, damit wir die Möglichkeit für echte Finanzpolitik haben und nicht nur Buchhaltung betreiben müssen. Angesichts der veränderten Lage muss die Politik neue Schwerpunkte bilden können. Mit über zwei Dritteln gebundenen Ausgaben im Bundesbudget sind die Steuerungsmöglichkeiten enorm eingeschränkt und beschränken sich noch auf die vier Staatsbereiche Bildung, Landwirtschaft, internationale Zusammenarbeit und eben die Armee. Ein Grund, weshalb die Politik bei der Armee in den vergangenen Jahrzehnten so stark gespart hat. Sicherheit und Landesverteidigung gehören aber zum Grundauftrag eines jeden Staates. Wenn wir das angesichts der geopolitischen Lage jetzt nicht begreifen, dann frage ich mich, wann dann?
Trotzdem: Hat die Armee die Rechnung ohne den Wirt gemacht – und nach dem Prinzip Hoffnung investiert?
Die Armee hat offenbar zu sehr den Zusagen des Parlaments vertraut. Im Jahr 2022 hat das Parlament Motionen verabschiedet und die Finanzplanung so festgelegt, dass der Bundesrat zu einem Aufwuchs der Armeeausgaben auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts per 2030 verpflichtet worden ist. Die zusätzlichen Verpflichtungskredite 2022 und das Rüstungsprogramm 2023 gingen durch den Bundesrat und das Parlament. Dann hat allerdings ein Grossteil der Mitte-Fraktion, nachdem sie den Motionen im Jahr 2022 noch zugestimmt hat, bei den Budgetberatungen im Winter die Position gewechselt und zusammen mit Links-Grün den finanziellen Aufwuchs der Armee auf 2035 erstreckt. Damit fehlen über 11 Milliarden Franken unwiderruflich. Die Armee kann erst 2028 wieder relevant investieren. Leider konnte sich die Mitte-Sicherheitspolitikerin und Ständerätin Andrea Gmür parteiintern nicht durchsetzen. Sie hat zusammen mit uns auf die Notwendigkeit des Ziels 2030 hingewiesen.
Der Chef der Armee hat schon im August vor einer Finanzierungslücke gewarnt. Hat man ihm einfach nicht zugehört?
Er hat auch einen Plan vorgelegt: In einem ersten Schritt geht es ja erst darum, die Armee vollständig auszurüsten und die dringendsten Fähigkeitslücken zu schliessen. Aber offensichtlich ist man in der Schweizer Politik nicht bereit, sich wirklich mit den Fakten auseinanderzusetzen. Die Linken haben sogar behauptet, die Armee wolle viel Geld, ohne zu wissen, wofür es eingesetzt werden sollte. Offenbar foutiert man sich aus parteipolitischen Gründen um die vorhandenen Grundlagen ganz nach dem Motto: Passt die Ideologie nicht mit der Realität überein, so muss die Realität falsch sein.
Vertrauen Sie dem Chef der Armee weiter?
Er muss jetzt klar darlegen, wie es zu dieser Situation kommen konnte und ob die Armee jederzeit das Liquiditätsmanagement im Griff hatte. Ich vertraue darauf, dass er das kann.
Bleibt es beim Plan, ein Prozent des BIP erst bis 2035 für die Armee auszugeben, droht die Abschaffung des Heeres. Was schlagen Sie vor?
Das Ziel ist ein Finanzierungsplan für den ersten Ausbauschritt der Armee bis 2030. Denn die Verschiebung von dringenden Ersatzbeschaffungen wie bei der Artillerie hat zur Folge, dass Fähigkeitslücken entstehen, die nur schwer wieder geschlossen werden können.