Die Schweiz darf nur noch so viel produzieren und importieren, wie die Natur verkraftet. Das fordert die Umweltinitiative. Die Grüne Aline Trede und der Freisinnige Christian Wasserfallen streiten über Sinn und Unsinn des Volksbegehrens.
«Ohne Veränderungen in der Klimapolitik wird es für die Wirtschaft und Gesellschaft viel teurer!» – «Mit der Initiative fährt man die Wirtschaft zu Boden!» Aline Trede, die Fraktionschefin der Grünen, und der FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen.
Frau Trede, wollen Sie, dass die Schweiz verarmt?
Aline Trede: Alle wissen, wir haben nur die Ressourcen von einem Planeten, und wenn wir mehr brauchen, haben wir ein Problem. Auch viele Gegner räumen das ein. Es geht nicht um Verarmung, wenn wir sehen, was wir bis jetzt schon erreicht haben, zum Beispiel bezüglich der Kreislaufwirtschaft, bei der die Ressourcen wiederverwendet statt weggeworfen werden.
Die Umweltinitiative fordert, dass die Schweiz innerhalb von zehn Jahren ihren ökologischen Fussabdruck um etwa zwei Drittel reduziert. Die Förderung der Kreislaufwirtschaft reicht doch bei weitem nicht, um dieses Ziel zu erreichen.
Trede: Wir müssen das Wirtschaftswachstum von den fossilen Ressourcen entkoppeln. Das neue Gesetz für die Kreislaufwirtschaft bietet dazu eine gute Grundlage. Und denken Sie an die Kosten, wenn wir gar nichts machen! Es gibt viele Studien, die zeigen, dass es zum Beispiel in der Klimapolitik ohne Veränderungen für die Wirtschaft und Gesellschaft viel teurer würde. In jüngster Zeit etwa stieg der Preis für Olivenöl wegen Wassermangels um 50 Prozent. Im letzten Sommer haben wir zudem die Auswirkungen der Klimaveränderungen drastisch gesehen, etwa mit den Bergstürzen und Überschwemmungen.
Christian Wasserfallen: Die Volksinitiative hat die Nachhaltigkeit nicht verstanden. Nachhaltigkeit umfasst nicht nur die Umwelt, sondern auch die Wirtschaftlichkeit und die Sozialverträglichkeit. Wenn man fordert, dass die Wirtschaftsleistung und der Ressourcenverbrauch innert zehn Jahren um zwei Drittel sinken müssen, dann verarmen wir rapide. Die wirtschaftliche und soziale Komponente gehen damit den Bach runter. Zudem werden die Klimaprobleme bei einem Ja zur Initiative nicht verschwinden.
Frau Trede, ist die Initiative unsozial, weil am Ende einfach alles teurer wird?
Trede: Ich bin einverstanden, dass Nachhaltigkeit die drei von Christian Wasserfallen genannten Pfeiler hat. Aber sein Wirtschaftsdenken ist sehr kurzfristig. Unser Wirtschaftssystem ist auf fossilen Ressourcen aufgebaut. Einfach so weitermachen ist vielleicht noch eine Weile möglich, aber langfristig wird der wirtschaftliche Pfeiler dabei auch geschwächt. Zu den Preisen sage ich: Investitionen in den Umbau bringen vielleicht kurzfristig eine Verteuerung, aber längerfristig wird es bei vielen Sachen günstiger. Damit ist es auch sozialverträglich. Zum anderen stellen sich auch Fragen wie zum Beispiel: Müssen wirklich alle Auto fahren? Wir haben den Ansatz, dass niemand auf ein Auto angewiesen sein soll.
Können Sie konkreter sagen, wie man die Volksinitiative innert zehn Jahren umsetzen sollte?
Trede: Die zehn Jahre sind in der Tat ambitioniert für den Umbau des Wirtschaftssystems. Im Parlament habe ich Hand geboten und einen Gegenvorschlag ohne diese Frist gemacht, was die Bürgerlichen abgelehnt haben. Aber wir sind für das Verankern des nachhaltigen Unternehmertums in der Verfassung. Das ist auch mehrheitsfähig.
Trotzdem: Wir stimmen über die Initiative mit der Zehn-Jahres-Frist ab.
Trede: Ja, aber das Parlament entscheidet über die konkrete Umsetzung der Initiative. Und die Bürgerlichen haben im Parlament eine Mehrheit. Zum nötigen Umbau haben wir in der Klimapolitik einen Teil schon gemacht, auch wenn das CO2-Gesetz nicht reicht, um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Dort braucht es Verbesserungen.
Was konkret?
Trede: Wir müssen verhindern, dass etwa die Klimasubventionen des Bundes für das Gebäudeprogramm gestrichen werden. Und besonders viel Handlungsbedarf gibt es im Verkehr. Unsere Autoflotte hat immer noch einen viel zu hohen CO2-Ausstoss. Es geht nicht um ein Verbot des Autofahrens. Aber wir haben in der Schweiz die schwersten Fahrzeuge von ganz Europa. Ob man mit einem Auto von 2,5 Tonnen Gewicht von A nach B fährt oder nur mit einem Auto von 1 Tonne Gewicht, ist keine Frage des Wohlstandsverlusts.
Wasserfallen: Das trägt nichts zur Zielerreichung der Initiative bei. Elektrofahrzeuge sind noch schwerer als Benziner. Steigen die Leute auf die E-Mobilität um, heisst das noch lange nicht, dass wir damit die Belastung des Planeten senken. Denn E-Autos sind gemessen an der Ressourcenintensität für die Produktion fast noch aufwendiger als Benzinautos. Reduziert die Schweiz den Ressourcenverbrauch wie von der Initiative gefordert innert zehn Jahren, wird sie zum Entwicklungsland. Nur Länder wie Angola, Eritrea und Bangladesh halten dieses von der Initiative geforderte Ziel ein – das kann es doch nicht sein.
Trede: Dieses Bild mit der Verarmung stimmt nicht. Wir brauchen Innovation, und dies hat viel mit Wohlstand zu tun. Wir müssen über eine Zukunft reden, die sich von fossilen Ressourcen verabschiedet. Es ist dekadent, dass wir einfach weiterhin die Ressourcen von drei bis vier Erden beanspruchen.
Wasserfallen: Die Schweiz steht beim Ressourcenverbrauch doch gar nicht so schlecht da. Der CO2-Ausstoss ist bereits am Sinken. Und die Industrie unternimmt viel, um die Verlagerung von fossilen Ressourcen zu erneuerbaren Energien zu schaffen. Aber in diesen Umbau kann sie nur investieren, wenn sie Geld verdient. Mit der Initiative jedoch fährt man die Wirtschaft zu Boden. Für ihre Umsetzung müsste man entweder die Preise stark erhöhen, Verbote erlassen oder strikte Kontingentierungen einführen.
Bestreiten Sie denn die Befunde von Studien, wonach die Schweizer Konsumenten stark über die planetaren Verhältnisse leben?
Wasserfallen: Ich bestreite das nicht. Genau deshalb sage ich, dass eine solche starke Reduktion innert zehn Jahren zur Verarmung führt.
Sollen wir in der Schweiz dann auch in den nächsten Jahrzehnten weiterhin hochgerechnet die Ressourcen von drei bis vier Planeten verbrauchen?
Wasserfallen: Nein, aber die drei genannten Dimensionen Umwelt, Wirtschaft und Sozialverträglichkeit sind alle zu betrachten. Die Frage ist: Wie kommen wir mit Innovationen weiter? Wir müssen einmal auf ein anderes Problem hinweisen: Wir vergeuden Milliarden in der Klimapolitik für Massnahmen, die nichts nützen.
Was meinen Sie damit?
Wasserfallen: Nehmen Sie zum Beispiel die Investitionen in CO2-Staubsauber, mit denen Klimagase aus der Atmosphäre gefiltert werden. Diese Anlagen brauchen enorm viel Energie, um ein paar wenige Tonnen CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen. Per saldo bringt das nichts für das Klima. Trotzdem subventionieren wir solche Anlagen mit horrenden Beträgen.
Was macht Sie so sicher, dass Technologien zur CO2-Entfernung kein Potenzial haben?
Wasserfallen: Das ist eine Utopie. Es gibt nur eine wirkungsvolle Art von Negativemissionen: Das ist die Natur selbst, die Senkenleistung der Wälder. Um CO2 aus der Atmosphäre zu holen und dieses dauerhaft zu speichern, braucht es dagegen viel zu viel Energie. Statt uns mit solchen Technologien aufzuhalten, sollten wir besser über den CO2-freien Ausbau der Stromproduktion sprechen. Dieser Weg ist die einzige Möglichkeit, um von fossiler Energie wegzukommen. Wenn das nicht gelingt, werden wir scheitern. Aber die Grünen sind nicht bereit, den Winterstrom auszubauen, und lehnen die Kernenergie sowieso ab.
Trede: Wir sind auch für den Ausbau der Stromproduktion mit erneuerbaren Energien, aber er muss mit Sorgfalt geschehen. So genügt zum Beispiel der Ausbau des Windstroms im Norden Europas längstens, um uns hier im Winter mit Strom zu versorgen. Zurzeit fehlen aber die Leitungen. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass es einen Ausgleich in Europa geben kann. Die Nuklearenergie braucht es dagegen nicht: AKW benötigen Uran aus autokratischen Staaten und sind nicht gemacht für die heutige Stromwelt. Ihre Bandlast ist zu gross und macht das System unflexibel.
Wasserfallen: Das ist Unsinn. Eine sichere Stromversorgung muss jederzeit den Bedarf decken können. Das verlangt nach viel mehr steuerbarer Produktion und nicht nach Flatterstrom. Heute subventionieren wir riesige Überschüsse im Sommer, im Winter jedoch fehlt er. Für diese Situation sind die Grünen mitverantwortlich: Sie bekämpfen nicht nur die Kernkraft, sondern auch den Bau neuer Wasserkraftwerke und Stauseen als wertvolle Speicher.
Trede: Das stimmt nicht. Die Grünen stehen voll hinter den 16 Wasserkraftprojekten des runden Tisches, auch im Kanton Bern hat sich unsere Fraktion für die Projekte Grimsel und Trift ausgesprochen. Sie aber wollen den Rechtsstaat aushebeln. Bei jedem Projekt muss geprüft werden, ob es umweltverträglich ist. Ebenfalls stehen wir hinter dem Ausbau der Windenergie. Blockiert wird diese Technologie fast ausschliesslich von rechts: 80 Prozent der Einsprachen gegen Windräder kommen aus Kreisen der SVP.
Könnten die Grünen mit der Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts leben, damit diese 16 Projekte zeitnah realisiert werden können?
Trede: Nein. Es muss möglich sein, gerichtlich zu überprüfen, ob die einzelnen Projekte sorgfältig realisiert werden. Darum braucht es ein Beschwerderecht. Das hat man auch der Bevölkerung im Abstimmungsbüchlein zum Stromgesetz versprochen.
Wasserfallen: Dann werden sich diese Projekte um weitere zwanzig Jahre verzögern. Und das, obwohl sie durch den Stimmentscheid im vergangenen Jahr demokratisch beschlossen wurden. Das zeigt: Wenn es konkret wird, sind die Grünen dagegen.
Zurück zur Umweltinitiative: Ein grosser Treiber für die Umwelt- und Klimabelastung ist die Ernährung. Wie stark sollte der Staat hier eingreifen?
Wasserfallen: Gar nicht. Die künstliche Verteuerung von umweltbelastenden Lebensmitteln ist falsch, ebenso Verbote. Die Konsumenten müssen selber entscheiden, welche Nahrungsmittel sie kaufen wollen. Nicht alle können sich Bioprodukte leisten. Darum darf der Staat nicht mitbestimmen, wie sich die Menschen ernähren sollen.
Trede: Wir haben bei den Nahrungsmitteln bereits staatliche Lösungen. Es sind aber zusätzliche Massnahmen nötig. Wir brauchen in der Schweiz kein Billigfleisch aus Uruguay. Auch ist der Preisunterschied zwischen Bio- und konventionell produzierten Produkten viel zu gross – nicht zuletzt wegen der hohen Margen der Grossverteiler.
Über die Hälfte der Umwelt- und Klimabelastung des Konsums geht auf importierte Produkte zurück. Sollte die Schweiz also für gewisse Güter – ganz im Stile Trumps – Importzölle einführen oder gewisse Importprodukte gar ganz verbieten?
Trede: Es existieren bereits Importzölle zum Schutz unserer Landwirtschaft. Aber wir wären einen grossen Schritt weiter, wenn wir bei allen Konsumgütern die externen Umweltkosten internalisieren, allem voran, wie viel Klimagase durch die Produktion und den Transport ausgestossen werden. Es braucht einen anständigen Preis für jede verursachte Tonne CO2, der für alle Güter angewendet wird.
Wie hoch müsste dieser Preis sein?
Trede: Der Bund rechnet für den Verkehr in einer Studie mit 430 Franken pro ausgestossene Tonne CO2. Gemäss verschiedenen Studien reicht aber auch das nicht. Laut ihnen müsste der Preis noch einmal um ein Vielfaches höher sein.
Herr Wasserfallen, wären Sie mit der Einführung einer umfassenden CO2-Abgabe einverstanden?
Wasserfallen: Nein. Die Schweiz wäre dann nicht mehr konkurrenzfähig. Bereits heute gehört unsere CO2-Abgabe im internationalen Vergleich zu den höchsten. Wird sie ausgeweitet oder erhöht, macht das das heimische Gewerbe und die Industrie kaputt.
Eine umfassende Lenkungsabgabe ist doch eine liberale Idee: Die Verursacher werden zur Kasse gebeten, während alle anderen vom Rückzahlungsmechanismus profitieren.
Wasserfallen: Ein solches System funktioniert nicht. Im Verkehr etwa würde eine solche Abgabe die Mineralölsteuer ersetzen. Wie sollen die Strassen- und Schieneninfrastruktur dann finanziert werden? Und wenn der Benzinpreis viel höher ist als im Ausland: Wie können wir verhindern, dass die Autofahrer im Ausland tanken? Umsetzungsprobleme gibt es auch bei Industrieprodukten und Lebensmitteln: Für jedes Produkt müsste erhoben werden, wie viel CO2 darin steckt. Wir schaffen damit ein Handelshemmnis, das einen enormen administrativen Aufwand nach sich zieht.
Ist ein solches System also gar nicht realisierbar, ohne dass daraus ein Bürokratiemonster wird?
Trede: Wenn es einen internationalen CO2-Preis gibt, der für alle gilt, wäre das praktikabel. Und ob es künftig die beiden Fonds für die Strassen- und Schieneninfrastruktur in der heutigen Form braucht, möchte ich infrage stellen. Die Bevölkerung hat beim letzten Urnengang klar gesagt, dass sie die Autobahn nicht weiter ausbauen will. Zudem hat die Mineralölsteuer ohnehin keine Zukunft mehr, wenn wir uns klimaneutral fortbewegen.
Falls die Umweltinitiative scheitert: Was schlagen Sie als Alternative vor? Welche Politik ist nötig, damit wir den Erhalt unserer natürlichen Grundlagen sichern können?
Wasserfallen: Wenn wir beim Klima vorwärtskommen wollen, braucht es in erster Linie eine rasche Elektrifizierung. Dazu gibt es keine Alternative. Und es sind alle Hebel in Bewegung zu setzen, dass wieder in den Ausbau der inländischen klimafreundlichen Energieproduktion investiert wird. Dafür kämpfen wir: dass der Grimselstausee endlich erhöht werden kann und die Kernenergie wieder zugelassen und in sie investiert wird. Nur so haben wir Versorgungssicherheit und eine Chance, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Leider sehen das nicht alle so im Parlament.
Trede: Ich gehe mit Herrn Wasserfallen in einem Punkt einig: Wir müssen die Energiewende schaffen. Es braucht aber auch das Ziel, dass die Schweiz die planetaren Grenzen langfristig respektiert. Es geht dann nicht nur um die Klimagase, sondern ebenso um das Mikroplastik, die PFAS-Chemikalien oder den Dünger, der unsere Böden und die Biodiversität kaputtmacht. Mit welchen konkreten Massnahmen die Reduktion der Belastung geschehen soll, darüber müssen wir diskutieren. Was wichtig ist: Strenge Umwelt- und Klimavorgaben sind nicht per se wirtschaftsfeindlich. Das Verbot des Verbrennermotors in der EU etwa hat auch Innovationen ausgelöst.
Wasserfallen: Ach ja? Die deutsche Automobilindustrie liegt am Boden und muss mit Milliardenbeträgen unterstützt werden. Das Land ist in einer Rezession. Schuld daran sind nicht zuletzt abenteuerliche Klimaziele, die nicht eingehalten werden konnten, sowie das Verbrennerverbot. Der einseitige Fokus darauf hat die einheimischen Unternehmen enorm geschwächt. Die Konkurrenz aus Asien erhielt damit einen Freipass, in Europa einzumarschieren, und wir sind stärker von dieser abhängig denn je. Genau an diesem Problem krankt auch die Umweltinitiative: Die eigene Industrie hungert damit aus. Es fehlt dann das Geld, um zu investieren und die Transition zu schaffen.
Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass die Schweiz das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreicht?
Wasserfallen: Die Wahrscheinlichkeit liegt bei rund 20 Prozent. Wir werden die Energietransition nicht hinkriegen. Wenn wir 30 Jahre lang brauchen, um eine Staumauer zu erhöhen: Wie soll es dann gelingen, in den nächsten 25 Jahren die CO2-freie Stromproduktion zu verdoppeln, um damit fast alle fossilen Energien ersetzen zu können?
Trede: Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen können. Aber nicht bei der heutigen Zusammensetzung des Parlaments. Denn wichtig ist, mit welcher Attitüde wir die Thematik angehen. Wir sollten raus aus den Konfliktzonen. Wenn alle gemeinsam das Ziel mit dem nötigen Engagement verfolgen, ist sehr viel möglich.