Die Staatskrise in Südkorea belastet das Bündnis mit den USA schwer. Jenny Town analysiert die Folgen für die Sicherheitsarchitektur in Ostasien sowie das komplexe Verhältnis zu Nordkorea. Dabei schaut sie besonders auf Donald Trump.
Jenny Town hatte Glück im Unglück, als sie Anfang Dezember 2024 nach Südkorea reiste. Vor ihrem Abflug in den USA ereilte sie die Nachricht, dass Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol das Kriegsrecht ausgerufen hatte. Als sie in Korea ankam, war der Spuk schon wieder vorbei und Yoon auf dem Weg ins politische Aus. Doch noch immer befindet sich Südkorea in einer Staatskrise.
Die Politikwissenschafterin arbeitet bei der amerikanischen Denkfabrik Stimson Center aus Washington. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Sicherheitsbeziehungen zwischen Nord- und Südkorea sowie den USA. Town geht davon aus, dass durch die Staatskrise das Gewicht Südkoreas in der Geopolitik gesunken ist – auch im Verhältnis mit Nordkorea.
Wie wurde die Verhängung des Kriegsrechts von den Vereinigten Staaten aufgenommen, Frau Town?
Es hat das Vertrauen in die Allianz und ihr Image als «eiserne» Allianz stark beschädigt und wurde überhaupt nicht gut aufgenommen. Kurt Campbell gab wahrscheinlich die eindeutigste Erklärung ab. Er sagte, dass dies ein schlechtes Urteilsvermögen zeige und sehr bedauerlich sei. Gemäss Berichten waren die USA völlig unvorbereitet, sowohl der amerikanische Botschafter als auch die US-Streitkräfte in Korea. Nicht einmal General LaCamera, der Kommandeur der amerikanischen Streitkräfte in Korea, war informiert. Dies war besonders schädlich, da in den letzten vier Jahren viel Arbeit in den Ausbau des Bündnisses investiert wurde.
Dabei hat Präsident Yoon massgeblich dazu beigetragen, Südkorea näher an die Vereinigten Staaten heranzuführen und das trilaterale Bündnis aufzubauen.
In Washington waren viele Menschen mit der Regierung Yoons und der Richtung, die er dem Land gab, zufrieden. Er setzte auf die Allianz und die trilaterale Zusammenarbeit mit den USA und Japan und war bereit, eine Annäherung zwischen Südkorea und Japan herbeizuführen, um eine engere Zusammenarbeit zwischen den drei Ländern zu schaffen.
Wie würden Sie die Rolle Südkoreas in Ostasien beschreiben?
In den letzten vier Jahren hat sich Korea zu einem wichtigen Akteur in Ostasien entwickelt, nicht nur im Verhältnis zu den USA, sondern auch durch eine stärkere Beteiligung an der Nato sowie als Waffenlieferant für Nato-Länder. Yoon hat viel dazu beigetragen, die Idee des Aufbaus eines globalen Schlüsselstaates zu verwirklichen, der sich um mehr als bloss die Lage auf der koreanischen Halbinsel kümmert.
Was bedeutet die Verhängung des Kriegsrechts durch Yoon für Südkoreas Position als globaler Schlüsselstaat?
Die hat durch diese Ereignisse einen schweren Schlag erlitten. Es gibt jetzt grosse Zweifel, wie verlässlich Korea als Partner ist. Darüber hinaus kam diese Krise zu einer Zeit, in der es aufgrund des politischen Wandels in den USA bereits eine zunehmende Unsicherheit gab, was alles noch verschlimmerte.
Die Demokratische Partei in Korea kritisiert Yoons Vorgehen scharf und setzt sich für eine Annäherung an China und Nordkorea ein. Was würde deren Sieg bedeuten?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die nächste Regierung das Wort «globaler Schlüsselstaat» nicht verwenden wird, besonders wenn der Chef der Demokraten, Lee Jae Myung, Präsident werden sollte. Die grosse Frage wird jedoch sein, inwieweit deren Rhetorik mit der tatsächlichen Politik übereinstimmt.
Sind Sie besorgt, dass Trump die amerikanischen Truppen in Korea drastisch reduzieren oder das Bündnis beenden könnte?
Ich mache mir keine Sorgen, dass Trump das Bündnis beenden wird. Seine Regierung könnte mit den Truppenstärken spielen. Das Bündnis besteht aber seit mehr als siebzig Jahren – es ist unglaublich belastbar und eines der ältesten Bündnisse Amerikas. Die Beziehungen haben sich mit verschiedenen Regierungen in beiden Hauptstädten verändert. Sie haben dabei schon öfter Phasen strategischer Unklarheit über die Beziehungen zu den USA und China durchlebt. Strategische Klarheit gab es eigentlich nur unter der Yoon-Regierung. Aber das Bündnis selbst hat einen strategischen Wert, besonders die amerikanischen Stützpunkte auf der koreanischen Halbinsel sind von grosser Bedeutung.
Was bedeuten diese Unsicherheit und mögliche Veränderungen in der südkoreanischen Regierung für die strategische Ausrichtung Nordkoreas?
Was jetzt in Südkorea passiert, wird keinen grossen Einfluss auf das strategische Denken Nordkoreas haben. Südkorea ist kein wichtiger Akteur mehr seit der gescheiterten Gipfeldiplomatie zwischen Trump und Kim Jong Un im Jahr 2019. Zudem hat Nordkorea Südkorea als permanenten feindlichen Staat eingestuft und sich in Richtung einer Zweistaatenlösung bewegt. Nur weil es in Südkorea zu einem Wechsel in der Staatsführung kommen könnte, die weniger aggressiv gegenüber Nordkorea ist, wird das nichts am nordkoreanischen Denken ändern. Das bedeutet nicht, dass es nie wieder innerkoreanische Beziehungen geben kann, aber Nordkorea wird zukünftige Beziehungen als Beziehungen zwischen Staaten und nicht als besondere Beziehungen einer geteilten Nation betrachten.
Selbst wenn Trump versucht, die Beziehungen zum Norden wiederzubeleben?
Die Erfahrungen Nordkoreas mit den Gipfeltreffen zwischen Trump und Kim Jong Un in den Jahren 2018 und 2019 haben zu einer Neubewertung der Rolle Südkoreas in internationalen Verhandlungen geführt. Doch selbst mit einer potenziell liberalen Regierung in Südkorea ist es unwahrscheinlich, dass Nordkorea den Süden als wichtigen Akteur in den Atomgesprächen oder als Vermittler gegenüber den Vereinigten Staaten ansieht.
Ist es für Nordkorea im Moment überhaupt notwendig, mit jemand anderem als Russland zu sprechen?
Es besteht keine Dringlichkeit, das ist sicher. Sie bekommen von Russland mehr, als sie jemals von anderen Ländern, selbst von ihrem Verbündeten China, bekommen könnten – einschliesslich militärischer Zusammenarbeit. Russland hat auch dabei geholfen, das Land in Netzwerke von Staaten zu integrieren, die versuchen, sich der westlichen Dominanz im internationalen System zu widersetzen.
Und wenn es zu Gesprächen mit Trump käme?
Wenn sie weiterhin zu Verhandlungen bereit sind, wird es nicht einfach dort weitergehen, wo sie beim letzten Trump-Kim-Gipfel in Hanoi aufgehört haben. Ich würde erwarten, dass Nordkorea zu Beginn der Amtszeit von Trump Massnahmen ergreift, um ihm zu zeigen, dass Kim Jong Un nicht mehr der ist, der er 2017 war – dass sie sich jetzt in einer viel stärkeren militärischen und politischen Position befinden. Wenn Trump mit Nordkorea verhandeln will, muss er diese Realität anerkennen.