Der Schweizer hinter der erfolgreichen Sprachlern-App erklärt, welche Mischung aus Erfolg und Frust Lernende bei der Stange hält und wie KI sein Geschäft verändert.
Duolingo will in diesem Jahr schnell wachsen. Dabei helfen soll der Einsatz von künstlicher Intelligenz. Wie verbessert die Technologie die App?
KI ermöglicht uns neue Kursformate. Die beste Art zu lernen ist ein Eins-zu-eins-Setting mit einem Privatlehrer, so haben schon Königsfamilien ihre Kinder unterrichten lassen. Doch solche Kurse sind teuer. Wir haben darum in Zusammenarbeit mit der KI-Firma Open AI das Abo-Modell Duolingo Max entwickelt, das ein Rollenspiel-Feature enthält. Man spielt dabei Szenarien durch, besucht etwa ein Restaurant und bestellt Essen in der Fremdsprache. Man unterhält sich direkt mit dem Chatbot.
Die künstliche Intelligenz übernimmt also die Rolle des Lehrers?
In der kostenpflichtigen Version ist das so. KI hilft uns aber auch bei der kostenfreien Basisversion von Duolingo, zum Beispiel bei der Personalisierung. Algorithmen bestimmen den richtigen Schwierigkeitsgrad für jeden einzelnen Lernenden. Die Übungen dürfen nicht zu leicht sein, aber auch nicht zu schwer. Wir nutzen unsere vielen Daten, um vorherzusagen, ob jemand eine bestimmte Übung schaffen wird oder nicht. Es ist ein bisschen wie bei Tiktok: Jeder Nutzer sieht eine eigene, auf ihn zugeschnittene Version der App.
Welche Erfolgsquote ist denn optimal für Ihre Nutzer?
Für uns sind etwa 70 Prozent optimal. Für den idealen Lernerfolg wäre wahrscheinlich eine geringere Quote geeigneter – aber im Gegensatz zu einem Lehrer im Klassenzimmer haben wir die Herausforderung, dass unsere Nutzer uns freiwillig verwenden. Das heisst, sie brauchen mehr Erfolgserlebnisse, um dabeizubleiben und nicht stattdessen auf Tiktok oder Instagram zu scrollen. Wenn die Leute zu frustriert sind, kommen sie nicht zurück.
Zur Person
Severin Hacker, CTO und Mitgründer von Duolingo
Severin Hacker wurde 1984 in Zug geboren und studierte Informatik an der ETH. Später promovierte er an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, wo er 2011 gemeinsam mit seinem Doktorvater Luis von Ahn Duolingo gründete. Die App ist vor allem wegen ihres spielerischen Lernansatzes und der hohen Nutzerbindung erfolgreich, heute hat sie mehr als 88 Millionen monatliche Nutzer. 2023 machte Duolingo 531 Millionen Dollar Umsatz. Hacker, der das Interview lieber auf Englisch führt, hat über die App unter anderem Spanisch gelernt – um seinen guatemaltekischen Mitgründer verstehen zu können.
Generative KI kommt bei Duolingo aber auch zur Erstellung von Kursmaterial zum Einsatz.
Das ist so, KI hilft uns dabei, Inhalte zu erstellen. Wir haben festgestellt, dass sie sich sehr gut für die Art von Texten eignet, die wir brauchen. Und es wird durch sie sehr viel einfacher, rasch Übungen zu erstellen und höhere Sprachniveaus anzubieten. Dennoch ist wichtig zu betonen: Jede Übung wird von einem Menschen kontrolliert. Es ist die Kombination aus Mensch und Maschine, die uns voranbringt.
Trotzdem ging kürzlich eine Meldung durch die Medien, dass Duolingo Mitarbeiter entlasse und durch KI ersetze.
Das wurde von den Medien missverstanden. Wir haben keinen einzigen Vollzeitangestellten entlassen. Aber wir haben 10 Prozent unserer Freelancerverträge nicht verlängert, weil wir effizienter darin geworden sind, Inhalte zu erstellen. KI ist einer der Gründe dafür, aber nicht der einzige. Wir stellen im Moment sogar Leute ein, wir wachsen weiter.
Führen diese Effizienzgewinne dann dazu, dass neue Sprachen angeboten werden können?
Nein, das ist momentan nicht der Plan. Wir bieten bereits Kurse in den wichtigsten Sprachen an und wollen uns darauf fokussieren, Lernende in diesen Sprachen auf höhere Niveaus zu bringen. Wir wollen zum Beispiel, dass man allein mit Duolingo das Englisch-Sprachniveau B2 erreichen kann, also ausreichende Sprachkenntnisse für flüssige Konversation.
Seit kurzem kann man bei Duolingo auch Musik und Mathematik lernen. Wollen Sie in weitere Bereiche vordringen?
Wir haben diese Bereiche gewählt, weil wir glauben, dass sie sich gut für die Duolingo-Methode eignen – spielerisch, Learning by Doing, auf einem Mobiltelefon. Wir glauben, dass man auch einfache Mathematik und Musiktheorie auf diese Weise erlernen kann. Bei anderen Fächern, wie zum Beispiel Medizin, ist das kaum möglich. Wir wollen diese beiden Kurse nun zunächst einmal weiterentwickeln. Es wird ein paar Jahre dauern, bis sie auf demselben Niveau sind wie unsere Sprachkurse.
Durch Chatbots und automatische Übersetzung dürfte es heute einfacher denn je sein, eine Lern-App zu programmieren. Spüren Sie diese neue Konkurrenz?
Es stimmt, dass es einfacher geworden ist, schnell Inhalte zu erstellen. Aber die wahre Stärke von Duolingo liegt nicht in den Inhalten, sondern in der Motivation. Duolingo ist gut darin, das Sprachenlernen zu einer Gewohnheit zu machen. Streaks, Challenges, Spieler-Rankings – all das bringt die Leute dazu, zurückzukommen. Gut ein Fünftel unserer Nutzer hat die App seit mehr als einem Jahr jeden Tag genutzt. Zudem ist die Marke inzwischen sehr bekannt und beliebt. Die Personalisierung, die wir einsetzen, trägt ihr Übriges dazu bei, uns von der Konkurrenz abzuheben.
Tatsächlich wird der Erfolg der App von vielen auf die gute «Gamification» zurückgeführt. Woher wissen Sie, wie man Smartphone-Nutzer so gut bei der Stange hält?
Zu Beginn haben wir ein paar Studien durchgeführt, aber die wichtigste Methode, um unser Produkt weiterzuentwickeln, sind Experimente. Wenn wir eine neue Idee haben, testen wir sie direkt an den Benutzern und schauen: Wie wirkt sich das auf das Engagement aus? Und wie auf die Monetarisierung? Jedes Jahr führen wir Tausende solcher kleiner Experimente durch. Ich werde oft gefragt, was das «Geheimrezept» von Duolingo sei. Aber so etwas gibt es nicht. Es ist die Kombination all dieser Experimente.
Elemente wie Streaks und Ranglisten können auch dazu führen, dass Menschen die App vor allem nutzen, weil sie süchtig geworden sind.
Es ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, süchtig nach Lernen zu sein. Eine Sprache zu lernen, ist grundsätzlich etwas Gutes – doch wie bei vielem, was gut für uns ist, zum Beispiel Sport, fällt es uns schwer, uns dafür zu motivieren. Man kann eine Sprache nicht in 30 Tagen lernen. Darum ist es das Wichtigste, dabeizubleiben.
Dennoch haben viele Nutzer das Gefühl, auch nach mehr als einem Jahr täglichen Lernens nicht wirklich etwas zu können.
Duolingo ist definitiv besser darin, Leuten die Grundlagen einer Sprache beizubringen, als sie tatsächlich zum Sprechen zu befähigen. Darum wollen wir uns in nächster Zeit verstärkt auf diesen zweiten Teil konzentrieren. Ich finde aber, dass man auch auf tiefem Niveau rasch Fortschritte merkt. Ich lerne zum Beispiel zurzeit auf unserer App Italienisch, und wenn ich in Italien bin, verstehe ich schon viel. Wenn ich nur ein bisschen mehr zwischenmenschliche Interaktion hätte, könnte ich schnell viel besser werden.
Duolingo verdient inzwischen mehr Geld mit Abo-Modellen als mit Werbung. Wird bald die gesamte App kostenpflichtig?
Natürlich ist es für ein Unternehmen am besten, zahlende Abonnenten zu haben. Was wir darum machen, ist, Geld für zusätzliche Features wie personalisierte Übungen oder Gespräche mit Chatbots zu verlangen. Das funktioniert bis jetzt sehr gut. Aber Duolingos Mission ist es nach wie vor, Bildung für alle zugänglich zu machen. Deshalb ist es uns sehr wichtig, dass unsere Inhalte nicht hinter eine Paywall kommen. Jeder soll weiterhin die Möglichkeit haben, mit seinem Smartphone eine neue Sprache zu lernen.