Die ehemalige CS-Verwaltungsrätin, Harvard-Professorin und Gender-Expertin Iris Bohnet im Gespräch über Trumps Amerika, die Wut auf alles Woke und ihr neues Buch. Nur über ein Thema will sie partout nicht reden.
In den USA geht der erbitterte Kulturkampf gegen alles, was mit Diversität, Gleichstellung und Inklusion (DEI) zu tun hat, in die nächste Phase. Zunächst traf der Druck die Unternehmen. Nun stehen die amerikanischen Universitäten im Fokus. Die Regierung entzieht Hochschulen, die ihr nicht genehm sind, die Finanzierung bzw. droht damit und versucht so, diese auf Linie zu bringen.
Iris Bohnet, Professorin an der Eliteuniversität Harvard, exponiert sich mit ihrer Forschung zur Gleichstellung. Die Verhaltensökonomin hat gerade ihr neues Buch «Make Work Fair» veröffentlicht. In diesem legt sie ihren Ansatz von Fairness, Gleichstellung und Inklusion in der Arbeitswelt dar.
Im Gespräch erklärt Bohnet, woher die Aufregung gegen alles Gleichstellungsprogramme kommt, was sie Unternehmen heute empfiehlt und was ihrer Meinung nach von DEI bleiben wird.
Bohnet ist im schweizerischen Emmen aufgewachsen und hat an der Universität Zürich studiert. Die Verhaltensökonomin ist Professorin für Public Policy. Von 2012 bis 2023 war sie Mitglied des Verwaltungsrates der Grossbank Credit Suisse, die kollabierte und dann von der UBS übernommen wurde. Seit 2021 ist sie Mitglied des Gender Equality Advisory Council (GEAC) der G-7.
Frau Professorin Bohnet, der US-Präsident Donald Trump wütet mit Eifer gegen alles, was mit Gleichstellung, Diversität und Inklusion zu tun hat. Wie ordnen Sie das ein?
Zunächst einmal als ideologisch motiviert. Gleichzeitig müssen wir die Kritik sehr ernst nehmen und uns fragen, ob wir in den vergangenen fünf bis zehn Jahren alles richtig gemacht haben. Das gilt mit Blick auf die Diversitätsprogramme vor allem hier in den USA, aber auch in anderen Ländern.
Ende Januar hat Trump ein Gleichstellungsprogramm für Fluglotsen für den Zusammenstoss eines Flugzeuges mit einem Militärhelikopter verantwortlich gemacht. Jetzt schüchtert er Anwaltskanzleien ein, die politisch anders ticken. Was passiert da?
Es ist eine komplexe Zeit im Moment, und ich bin Ökonomin und nicht Politikwissenschafterin, werde mich also zurückhaltend zur gegenwärtigen politischen Situation äussern. Dies auch, weil ich eine Verantwortung meiner Universität gegenüber habe.
Ist Ihre Arbeit als Forscherin gefährdet?
Mein Forschungszentrum ist nicht von staatlichen Geldern abhängig, aber viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind sehr unter Druck. Akademische Freiheit ist eine Voraussetzung für die Integrität und den gesellschaftlichen Wert der Wissenschaft.
Viele Unternehmen haben ihre zuvor stolz propagierten Diversitätsziele sofort zurückgezogen. Haben die Manager kein Rückgrat?
Ich glaube, wir müssen differenzieren. Welche Instrumente sind kompatibel mit der aktuellen politischen und rechtlichen Situation in den USA, und welche sind es nicht? Manche Unternehmen haben vielleicht ihre Werte tatsächlich zu früh aufgegeben. Mein Team und ich haben einen grossen Werkzeugkasten, und es gibt viele verschiedene Instrumente, die man nutzen kann, um die Arbeitswelt fairer zu machen.
Gibt es Firmen und Manager, die froh sind, die mühseligen Diversitätspflichten endlich loszuwerden?
Es gibt drei Kategorien von Firmen: Jene, die noch ziemlich laut sind beim Thema Fairness. Zum Beispiel JP Morgan Chase. Die Bank hat ihr Engagement im Bereich Fairness in den letzten Monaten mehrmals bestätigt, passt sich aber dem gesetzlichen Rahmen an. Die zweite Gruppe scheint mir die grösste: Firmen, die ihre Werte nicht verändert haben, aber leiser wurden und nun überlegen, wie sie sich in dem neuen politischen Kontext verhalten. Und dann gibt es jene, die Sie jetzt angesprochen haben. Für die war Diversität nie ein Ziel, sondern einfach eine Pflicht, die sie nun losgeworden sind.
Sie haben gerade ein Buch über Gleichstellung in der Arbeitswelt veröffentlicht: «Make Work Fair». Während Sie daran gearbeitet haben, konnten Sie sich da vorstellen, was nun politisch passiert?
Es ist überraschend, wie schnell und wie heftig diese Veränderungen kommen. Dass sie passieren, darf uns nicht überraschen. Die Amerikanerinnen und Amerikaner haben jemanden gewählt, der offen über seine Ideen gesprochen hat.
Trumps Politik strahlt bereits nach Europa aus. Die UBS und der Pharmakonzern Roche haben ihre Diversitätsziele gestrichen.
Es geht jetzt um Machtpolitik. Das ist eine ganz andere Art, Politik zu betreiben, als wir es seit Ende des Zweiten Weltkriegs gewohnt waren. Ich denke, dass noch viel auf die Welt zukommt.
Sie warnen in Ihrem Buch vor einem Szenario: Wenn Diversitätsziele so wahrgenommen werden, dass sie Männer benachteiligen, dann kommt es zu einem Backlash. Passiert das gerade?
Wir müssen kritisch sagen: Viele Unternehmen haben Dinge getan, die nichts gebracht haben. Das war einer der Gründe, warum wir unser Buch schrieben: Wir hatten den Eindruck, man sollte dringend Daten sammeln und anschauen, was wirklich funktioniert und was nicht. Gleichzeitig müssen wir zugeben: Womöglich haben wir in den Küstenstaaten zu wenig gesehen, wie viele Männer im Mittleren Westen der USA wegen der Globalisierung und des technologischen Wandels ihre Arbeit verloren haben. Viele dieser Männer wählten Trump.
Als Verhaltensökonomin und Buchautorin sprechen Sie lieber von Fairness als von Gender oder Diversität. Warum?
Zurzeit drehen sich viele Diskussionen um die Meritokratie, also ein leistungsorientiertes System. Aber es kann keine Meritokratie geben ohne Fairness. Wenn einige von uns zehn Meter hinter der Linie in ein Rennen starten, messen wir nicht die effektive Leistung.
Können denn alle vom selben Ort starten? Manche sind nun einmal klüger, werden in eine bildungsnahe Familie geboren oder sind zu mehr Leistung bereit.
Eine gleiche Startlinie ist ein wichtiges Ziel für eine Gesellschaft. Was nicht heisst, dass wir es vollkommen erreichen werden. Aber wir können im System ein paar Anpassungen machen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Forscher überall auf der Welt haben an Unternehmen jeweils zwei Bewerbungen mit identischen Lebensläufen geschickt, nur der Name war anders oder das Geschlecht oder die ethnische Herkunft. Jene, die traditionell benachteiligt wurden, haben weniger Chancen, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Aber nur jene anzustellen oder zu befördern, die unseren Stereotypen entsprechen, ist einfach schlechtes Business.
Bewerbungsprozesse zu anonymisieren, ist ein gutes Beispiel für eine Ihrer zentralen Botschaften: Systeme ändern und nicht Menschen. Warum ist das wichtig?
Weil es wahnsinnig schwierig ist, Menschen zu ändern. Grundlegende Einstellungen, Werte und Vorurteile können wir kaum verändern. Das war auch das Problem vieler Diversitätstrainings im angelsächsischen Raum: Es ging darum, Leute zu überzeugen, dass Diversität wichtig ist und dass man empathisch sein soll. Wir argumentieren: Es ist effizienter, das Spielfeld fair zu gestalten.
Halten Sie es für richtig, dass nun gewisse Diversitätsprogramme gestrichen werden?
Es gibt dieses Sprichwort: Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Ich fürchte, dass das im Moment passiert. Wichtig ist, warum jemand ein Programm abschafft: Weil es nicht funktioniert? Weil die Datenbasis zeigt, dass etwas verändert werden sollte? Oder werden die Programme einfach abgeschafft, weil das im Moment dem politischen Wind entspricht?
Welches Baby sollten die Unternehmen denn behalten? Worauf kommt es jetzt an?
Es gibt viele Massnahmen, die sich leicht umsetzen lassen. Vor ein paar Jahren wurde ich zum Beispiel von der Nobelpreisstiftung in Stockholm angegangen, weil sie sich fragte, warum 95 Prozent der Nobelpreisträger Männer sind, typischerweise weiss, aus den USA, Europa oder Israel. Nach Schweden angereist bin ich mit einem Formular, mit dem ich jedes Jahr aufgefordert werde, jemanden für den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften vorzuschlagen. Meine Idee war, nicht nur jeweils eine, sondern mehrere Personen zu nominieren. Unsere Forschung zeigte, dass wir eine Mehrfachauswahl rationaler treffen als eine Einzelnomination. Entsprechend änderte das Nobelpreiskomitee das Formular. Manchmal ist die Lösung zu mehr Chancengleichheit relativ einfach.
Gibt es noch ein anderes Beispiel?
Eine grosse Firma aus Australien wollte wissen, wie sie gute Bewerber und Bewerberinnen, die nur knapp abgelehnt wurden, motivieren kann, sich später erneut um eine andere Stelle zu bewerben. Es stellte sich heraus: Frauen machten dies nur halb so häufig wie Männer. Wir stellten der Unternehmensleitung ein paar diagnostische Fragen: Wie erfahren die Kandidaten, dass sie sich wieder bewerben sollen? Und: Wen schreiben Sie an? Die Firma schrieb den besten 20 Prozent jeweils eine E-Mail, in der sie die Kandidatinnen und Kandidaten einlud, sich wieder zu bewerben. Wir fügten der E-Mail einfach einen Satz hinzu: «Sie gehören zu den besten 20 Prozent.» Dieser eine Satz genügte, um die Lücke zwischen den Geschlechtern zu schliessen.
Was sich wohl nicht nur mit einem kleinen Kniff lösen lässt, sind die Folgen der Mutterschaft für Frauen. Viele erleben mit einem Kind einen Karriereknick bzw. Lohneinbussen. Wie schafft man da Chancengleichheit?
Da ist die Wissenschaft klar: Es muss Elternzeit geben, also für beide Geschlechter eine Kinderauszeit. Wenn wir Gesetze haben, die Frauen länger vom Arbeitsplatz weghalten, dann ist der Arbeitgeber weniger motiviert, Frauen einzustellen oder sie zu fördern. Von daher ist es schon so, dass in Ländern, die Elternzeit haben, die Mutterschaftsstrafe geringer ist. Neu wird ja auch ein Care-Urlaub diskutiert, was mir sehr gefällt. Viele von uns haben nicht nur Kinder, sondern auch Eltern, die Hilfe benötigen im Alltag. Es braucht auch Anreize, dass Männer den Vaterschaftsurlaub tatsächlich beziehen.
Und wenn die Kinder älter werden?
Brauchen die Eltern Flexibilität bei der Arbeit. Unlängst hatten wir in unserem Seminar einen interessanten Vortrag von Nicholas Bloom, er ist Professor für Wirtschaftswissenschaften in Stanford. Es ging darum, was wir über hybrides Arbeiten und Home-Office wissen. Professor Bloom führt seit etwa 2005 dazu Experimente in Unternehmen durch. Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, führt häufig zu mehr Produktivität – dennoch gibt es Firmen, die ihre Mitarbeitenden wieder zu 100 Prozent ins Büro zurückholen. Natürlich gibt es auch Leute, die gerne ausschliesslich im Büro arbeiten, während andere lieber drei Tage da sind und zwei zu Hause. So eine Mischform sieht Bloom übrigens für viele Berufe als optimal an.
Ein wesentlicher Bestandteil von Fairness ist, dass Frauen und Männer für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten. Wo stehen wir da?
In diesem Bereich gibt es grosse Fortschritte. Diese sind auch das Resultat von Datenanalysen. Viele Geschäftsleitungen dachten, dass es bei ihnen keine Lohnunterschiede gebe. Als sie dann gemessen haben, bemerkten sie die Lücke und versuchten, diese zu schliessen.
Was ist eigentlich ein fairer Lohn?
In Kanada und Neuseeland diskutiert man zunehmend über gleichen Lohn für Arbeit mit gleichem Wert. Man kann sich zum Beispiel fragen, ob es fair ist, dass das Pflegepersonal in den USA weniger verdient als Gefängniswärter.
Lassen Sie uns über das andere Ende des Spektrums sprechen, die Spitzengehälter. In den USA sind diese kein Thema, in der Schweiz und in Deutschland stösst man sich daran. Was sind die Gründe?
Es ist so, wie Sie es beschrieben haben, aber ich kann Ihnen dazu keine weiteren Auskünfte geben, weil ich dazu nicht geforscht habe.
Im vergangenen Jahr hat Jamie Dimon von JP Morgan 39 Millionen Dollar verdient, Brian Niccol wurde bei Starbucks mit einem Lohnpaket über 113 Millionen Dollar begrüsst, und der Industriekapitän Larry Culp von GE erhielt 89 Millionen Dollar. Sind das faire Löhne?
Ich kann dazu nichts sagen, ich möchte mich als Wissenschafterin nur äussern, wenn ich etwas beitragen kann, was ich empirisch belegen kann.
Spitzengehälter sind eine Mischung aus Fixsalär und Bonus. Können hohe Boni Fehlanreize schaffen?
Auch dazu kann ich nichts sagen. Ich habe nicht dazu geforscht.
Als Verwaltungsrätin der Credit Suisse waren Sie Mitglied des Vergütungsausschusses. Würden Sie die Vergütungen von damals heute wieder akzeptieren?
Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.
Warum nicht?
Ich kann nichts dazu sagen.
Als ehemalige Verwaltungsrätin können Sie nichts dazu sagen?
Nein. Ich kann nichts dazu sagen.
Wir finden es schwierig, mit Ihnen über Fairness und Diversität zu reden und Ihre Erfahrungen bei der Credit Suisse auszublenden. Es ist auch eine Gelegenheit, Ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Es ist mir wichtig, etwas zu Dingen sagen zu können, die für die Welt wichtig sind. Aber ich spreche nur als Wissenschafterin.
Eine Fehlerkultur zu leben, hat das nicht auch mit Fairness zu tun?
Ich kann Ihnen dazu nichts sagen.
Uns interessieren nicht nur akademische Fragen, sondern auch die reale Welt. Aus Schweizer Sicht ist es nicht verständlich, wenn der ganze Verwaltungsrat einer Grossbank auf Tauchstation geht.
(Bohnet schweigt.)
Wechseln wir das Thema und kommen zurück auf Ihr Buch. Sie sagen, alle könnten den Arbeitsplatz fairer machen, ob Praktikant oder CEO. Haben Sie ein paar Ideen?
Unser zentrales Thema im Buch ist, dass Fairness nur dann Realität wird, wenn sie Teil von allen Prozessen und Produkten wird. Auch Menschen, die in einer Organisation nicht viel Macht haben, können etwas ausrichten. Sitzen etwa in einer Diskussion alle in einem Kreis, oder sitzen die wichtigen Leute innen und die weniger wichtigen Leute im äusseren Kreis? Das sagt etwas darüber aus, welche Normen in einer Organisation wichtig sind, wie ernst wir Kompetenz nehmen im Vergleich zu Hierarchie.
Wenn wir einen Text schreiben, ein Meeting organisieren oder eine Werbekampagne lancieren – bei allen diesen Dingen sollten wir Fairness mitdenken. Bei den Medien beispielsweise ist nicht nur wichtig, worüber wir schreiben, sondern auch, wie. Kommen Frauen vor allem als Opfer vor oder auch als Heldinnen? Wir wollen Vorbilder und Rollenmodelle sehen. Den Medien fällt dabei eine wichtige Aufgabe zu.
Was sagen Sie denjenigen, die heute trotz politischem Gegenwind an Chancengleichheit festhalten wollen?
Meine wichtigste Botschaft ist: Es ist im Interesse von Firmen, Chancengleichheit herzustellen, um die besten Kandidaten und Kandidatinnen auszuwählen. Meritokratie ist nicht möglich ohne Fairness.