Für Prinz Andrew endete ein Fernsehauftritt zum Missbrauchsskandal um Jeffrey Epstein desaströs. Warum liess er sich überhaupt darauf ein? Der Film «Scoop» zeigt einen Royal von der Rolle.
Für einmal hörte Prinz Andrew nicht auf seine Mutter. Am 16. November 2019 gab der Herzog von York der BBC ein Interview, um über seine Beziehung zum Sexualstraftäter Jeffrey Epstein zu sprechen. Indem er in das Fernsehgespräch einwilligte, ignorierte er das Motto von Königin Elizabeth: «Never complain, never explain.» Beklage dich nicht, erkläre dich aber auch nicht – so hielt es die Queen, wenn ein Familienmitglied in der Öffentlichkeit mit Vorwürfen konfrontiert war.
Stattdessen ging Prinz Andrew in die Offensive. Seit Monaten wurde er verdächtigt, zu Epsteins innerem Zirkel von mächtigen Männern gehört zu haben, denen junge Frauen zugeführt wurden. Die Amerikanerin Virginia Giuffre warf Prinz Andrew vor, sie zu Sex gezwungen zu haben. Da war sie 17.
Der Missbrauchsskandal geriet 2019 weltweit in die Schlagzeilen, nachdem Jeffrey Epstein verhaftet worden war. Einen Monat später wurde der Financier tot in seiner Gefängniszelle gefunden.
Das BBC-Interview sollte Prinz Andrew entlasten, doch es endete im Fiasko. Andrew gab darin das Bild eines empathielosen und unbeholfenen Mannes. Wer die Sendung sah, fragte sich, wie um alles in der Welt der damals 59-Jährige auf die Idee kam, sich eine Stunde lang den kritischen Fragen einer Journalistin zu stellen.
Wie gelang es dem Sender, den Royal zu gewinnen? Warum gab das Königshaus grünes Licht – obwohl es bisher in solchen Fällen geschwiegen hatte?
In Lederstiefeln im Buckingham-Palast
Den Hergang erzählt der Spielfilm «Scoop – ein royales Interview» auf Netflix. Er basiert auf dem autobiografischen Buch von Sam McAlister, die damals Produzentin bei der BBC war und das Interview mit Prinz Andrew einfädelte. Vieles im Film des britischen Regisseurs Philip Martin ist also dokumentarisch belegt.
Die Produzentin Sam McAlister (Billie Piper) gilt innerhalb der Redaktion als Boulevard-affin. «Sie ist sehr Daily Mail», belächeln ihre Kollegen sie. Für die Sendung «Newsnight» bucht Sam Leute, die im Gespräch sind. Weil sie einen Draht zu Prominenten hat, kann Sam den Kontakt zum Königshaus herstellen. In Schlangenlederstiefeln schreitet sie zum Treffen mit Andrews Privatsekretärin (Keeley Hawes) im Buckingham-Palast: «Eine Stunde Fernsehen kann alles verändern, es ist wie Magie», bewirbt Sam ihre Idee.
Doch vorerst erteilt Andrew (Rufus Sewell) der Anfrage eine Absage. «Ich muss mit Mummy über meinen sechzigsten Geburtstag sprechen. Sie hat grosse Pläne», wehrt der Lieblingssohn von Königin Elizabeth seine Sekretärin ab, die ihm vom Treffen mit Sam erzählt.
Erst nach Jeffrey Epsteins Suizid sieht Andrew in einem Fernsehauftritt die Chance, sich von den Vorwürfen zu befreien, die nun erneut aufkommen. Also bestellt der Palast die BBC-Produzentin noch einmal ein, diesmal begleiten sie die Talk-Masterin Emily Maitlis (Gillian Anderson) und die Chefin von «Newsnight» (Romola Garai). Nun braucht es Verhandlungsgeschick.
Darin seien Frauen besonders gut, signalisiert der Film, und das tönt dann so: Mit dem Interview könne Andrew sein Image eines «Randy Andy» («geiler Andy») aufpolieren. Sex, Frauen, Geld – das nehme die Welt als seine, Andrews Geschichte wahr: «. . . bis Sie eine andere Geschichte mit Ihrer Stimme erzählen». Die Haltung «Niemals beklagen, niemals erklären» sei in Zeiten der sozialen Netzwerke vorbei. Man werde fair bleiben und keine Fallstricke legen, wird dem Prinz versprochen.
Dass sich die Star-Interviewerin Emily Maitlis daran hielt, lässt sich leicht überprüfen. Die reale Sendung ist im Netz verfügbar und liefert «Scoop» eins zu eins die Vorlage. Maitlis weiss, dass sich ihr Gegenüber wohlfühlen muss, damit es sich öffnet und redet. Und Andrew redet. Zwar redet er sich grösstenteils heraus, aber er wirkt so dilettantisch und unehrlich dabei, dass es entlarvend ist.
Warum verbrachte er vier Tage im Haus von Epstein in New York, als er diesem angeblich die Freundschaft aufkündigte? «Es war praktisch.» Was hat es mit dem Foto auf sich, auf dem er mit Virginia Giuffre zu sehen ist? Er erinnere sich nicht, zudem habe er Epstein nie mit einer Kamera gesehen. Und die Party, auf der er stark schwitzend mit Giuffre tanzte, wie sie zu Protokoll gab? Das sei unmöglich, denn seit einem Kriegseinsatz könne sein Körper nicht mehr schwitzen. Irgendwann während des Interviews sagt Andrew: «Es läuft doch ganz gut, oder?»
Ein grosses, hilfloses Kind
«Scoop» ist hervorragend erzählt und gibt einen interessanten Einblick in die journalistische Arbeit. Doch der Film wird stellenweise zur Karikatur, gerade da, wo er fiktionalisiert. Andrews blamable Fehleinschätzung der Situation ist bezeugt, aber was ist der Gewinn, ihn als Riesenbaby darzustellen, das ausflippt, wenn die Plüschtiere auf seinem Bett falsch drapiert sind? Ja, der Prinz ist entblösst – aber muss das am Schluss mit dem Bild von seinem unförmigen nackten Körper visualisiert werden?
Die Journalistinnen hingegen applaudieren sich gegenseitig, die «Frauenpower» hat gewirkt. Die Promi-Jägerin Sam wird niemand mehr unterschätzen.
Was das Interview für Folgen hatte, erfährt man im Abspann. Andrew trat von all seinen königlichen Ämtern zurück und entschuldigte sich für seine «unbedachte Verbindung zu Jeffrey Epstein». Erstmals zeigte er Mitgefühl mit «dessen» Opfern. Von den Vorwürfen von Virginia Giuffre hat er sich freigekauft.
Seither zeigte sich Prinz Andrew wieder vermehrt öffentlich. Und nun dieser Film. Doch er hält sich jetzt am besten an die erste Weisung seiner Mutter: Beklage dich nicht.