Bauen in Zeiten des Klimawandels: Die heutige Architektur steht vor einem Umbruch, wie einst beim Übergang in die Moderne. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main zeigt Lösungen auf.
Es riecht nach Holz. Betritt man die Ausstellung «Architecture and Energy» im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main, könnte man schnell denken, dass Holz die Rettung für das Dilemma von Architektur und Energie sein könnte. Doch es sind die Gerüste aus Sperrholz, die den Geruch verbreiten. Sie halten die Pappen fest, auf denen die 23 vorgestellten Projekte angepinnt sind. Auch die Kuratoren Werner Sobeck und Annette Becker gehen offensichtlich nicht davon aus, dass Holz die Rettung sein könnte. Denn das Problem ist komplexer, weswegen auch die Lösungen, die hier gezeigt werden, ziemlich komplex sind.
Man könnte müde werden, es immer wieder zu hören: Die Art, wie gebaut wird, muss sich ändern – grundlegend und dringend. Das sagen Architekten, Bauherren, Aktivisten, Kuratoren und alle anderen, die etwas mit dem Thema Bauen zu tun haben. Deswegen empfängt einen die Ausstellung, im nach vier Jahren endlich wieder eröffneten Deutschen Architekturmuseum, mit vielen Pfeilen nach unten: «Das alles hier läuft überhaupt nicht gut», erklärt das Wandbild.
Es sind erschreckende Fakten, die da unheilvoll prangen: «Der Betrieb von Gebäuden verursacht ca. 30 Prozent des weltweiten Endenergieverbrauchs» oder «Europa erwärmt sich von allen Regionen am schnellsten», steht da zu lesen. Als Antwort werden 23 Projekte aus Deutschland, Dänemark, der Schweiz, Frankreich, Spanien und weiteren Ländern vorgestellt, die vorbildlich gebaut haben, bei denen die Energie klug und zirkulär genutzt wurde und die sich etwa in Deutschland in klangvollen Orten wie Memmingen, Wuppertal und Ursprung befinden.
Nicht in den grossen Städten also, nicht an weit entfernten Orten, wo man fälschlicherweise oft die Innovation vermutet. Sondern in den kleinen Landkreisen wird die Zukunft des Bauens bereits umgesetzt. Zumindest, wenn man der Ausstellung Glauben schenken mag.
Abfall für das Allgemeinwohl
Da wäre das Kultur- und Informationszentrum in Ursprung, in der Nähe von Chemnitz. Es ist ein Dorf mit rund 500 Bewohnern, die nun einen neuen Dorfmittelpunkt haben, der durch eine Photovoltaikanlage beheizt wird und mit einem Biomeiler versehen ist. Das bedeutet, dass durch die entstehenden Abfälle des benachbarten Hofes das Gemeindezentrum beheizt werden kann. So können Dinge, die oft eher zu Streit führen, wie grosse Müllhaufen bei den Nachbarn, zu einem erfreulichen Ereignis werden, das für die Allgemeinheit etwas Gutes bedeutet.
Zu sehen sind auch Projekte, denen man mittlerweile schon öfter begegnet ist, wie etwa die Sozialwohnungen in Barcelona. Sie können durch ein darüber gebautes Glasdach ohne Wärmezufuhr von aussen geheizt und durch kluge Belüftungswege ohne Klimaanlagen gekühlt werden. Oder die thermische Filterschicht in Form von Wintergärten, mit denen die Pritzkerpreisträger Lacaton Vassal oft vernachlässigten Sozialbauten ein längeres Weiterleben ermöglichen, während die Bewohner während der Renovierungen in ihren Wohnungen verbleiben können.
Die Träger der Projekte sind manchmal Privatpersonen, wie bei einem umgebauten Wohnhaus aus den sechziger Jahren in Memmingen. Dort hat man ein Wohnhaus, das von der Stifterfamilie in eine Kindertagesstätte umgebaut wurde, erhalten und die drei Gebäudebestandteile lediglich mit Polycarbonatplatten umhüllt. So entstanden einerseits neue Zwischenräume zur Nutzung für die Kinder, und anderseits ist die Dämmung durch die zusätzliche Schicht sichergestellt. Gleichzeitig griff man so wenig wie möglich in die bereits vorhandene Bausubstanz ein und hat auf diese Weise Energie und Baumaterialien eingespart.
Wildes Denken
Eines der Projekte sticht heraus, weil es sich mit der oftmals vernachlässigten Technosphäre beschäftigt. Der junge UDK-Professor und Architekt der Universität der Künste Berlin, Gustav Düsing, hat mit seinen Studenten die Überreste der Industriebauten vor allem im Ruhrgebiet angeschaut und die Frage gestellt, was sie auch noch sein könnten ausser Industriedenkmäler, in denen kulturelle Veranstaltungen stattfinden.
Er schlägt vor, die Ruinen der Kohleverstromung als Materiallager der Zukunft zu betrachten. Mit diesen Megastrukturen, die nach wie vor ganze Landschaften kulturell als auch ästhetisch prägen, könne man mehr machen, als sie wie Mahnmale einer braunkohleverseuchten Vergangenheit in der Gegend herumstehen zu lassen. In ihnen bündeln sich tonnenweise Baustoffe, die an anderer Stelle verbaut werden könnten.
Die Idee, ob man aus der Vergangenheit nicht Gegenwart formen könnte, ist die Art von wildem Denken, die dieser Debatte guttun würde. Denn eine der grössten Fragen, die sich nach der Betrachtung dieser Projekte aufdrängen, ist, warum all diese Ansätze nicht schon längst in der Breite umgesetzt werden? Architekten, Bauherren und Verantwortliche wissen, wie man klimaneutraler bauen kann und dass es hochästhetische und funktionale Lösungen gibt.
Im Katalog plädiert Andres Herzog, Leiter der Kommunikation der ETH Zürich, für eine neue Sprache. Anstatt von einer Klimakatastrophe oder Klimakrise sollte von der Klimachance gesprochen werden. Ihm gemäss birgt die Gegenwart eine Herausforderung, die das Bauen so wesentlich verändert wie einst nur die Moderne, als man mit der Tradition brach. Heute, so Herzog, löse man das fossile Bauzeitalter ab. Darin sieht er eine Chance, bewusst zu entscheiden, wie die Welt in der Zukunft aussehen soll.
Dafür braucht es nicht nur die guten Beispiele, die funktional sind und deren Kosten überschaubar bleiben, sondern auch leuchtende, mutige und radikale Ideen wie etwa jene vom Umgang mit der Technosphäre. Denn auch wenn die Ära der Stararchitekten vorbei sein sollte, heisst das nicht, dass das Bauen in Zukunft nicht dennoch gross gedacht werden darf.
Die Frage, wie man klimaneutraler und nachhaltiger bauen könnte, ist zur Genüge beantwortet. Man braucht keine weiteren guten Lösungen, sondern viel eher ein gesellschaftliches Umdenken dahin, diese Lösungen nicht als leidigen Kompromiss anzusehen mit der Tendenz, gute Architektur der guten Sache zu opfern: Dass man diese Ansätze jetzt auch in der Breite umsetzt und dass es eine gesellschaftliche Akzeptanz dafür gibt, ist vielleicht die neue, grosse Aufgabe der Architekten. Ihre Bauherren davon zu überzeugen, sich für die klimatisch freundlichere Lösung zu entscheiden, ist wohl ihre grösste Herausforderung.
Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt am Main, bis 5. Oktober. Katalog: 35 Euro.