«Zürich schaut hin» will sexuelle Belästigungen und Anfeindungen im Alltag sichtbar machen. Das ist ein hehres Ziel, das verfehlt wird.
Die Idee mag gut gemeint sein, die Umsetzung aber ist nicht gelungen: Das ist das Fazit, das man nach nicht ganz drei Jahren «Zürich schaut hin» ziehen muss. «Zürich schaut hin» ist eine mehrere hunderttausend Franken teure Aktion, die ein wichtiges Thema aufgreift, nämlich sexuelle Belästigungen sowie Anfeindungen gegen Homo- und Transsexuelle.
Das Kernstück der Kampagne ist ein Formular auf der Website der Stadt Zürich, auf dem beobachtete oder selbst erlebte Belästigungen eingetragen werden können.
Gegen ein solches Sichtbarmachen von Belästigungen ist nichts einzuwenden. Doch deutlich wird nicht in erster Linie das Ausmass des Problems, sondern die Untauglichkeit des Verfahrens.
Das fängt schon damit an, dass die Eingaben nicht verifizierbar sind. Das kann zwar auch bei seriösen Umfragen der Fall sein, doch das «Zürich schaut hin»-Tool macht es einem besonders einfach: Jeder kann anonym und von irgendwoher Meldungen erfassen, auch wenn es gar keine Tat gab. So lässt sich die Statistik leicht manipulieren und instrumentalisieren. Das ist ein Traum für Trolle.
Selbst wer das Meldeverfahren gutgläubig nutzen will, kann sich über die Unzulänglichkeiten des Systems nur wundern.
So würde man meinen, dass es für die Sicherheitsverantwortlichen der Stadt, aber auch für die Bevölkerung, wichtig wäre, über Hotspots von Belästigungen genaue Angaben zu erhalten. Gerade eine breit gestreute Umfrage mit vielen Meldungen könnte helfen, Muster zu erkennen.
Eine Auswertung könnte etwa ergeben, dass es immer freitags von 18 bis 19 Uhr im 6er-Tram zwischen Paradeplatz und Hauptbahnhof besonders viele Vorfälle gibt (das Beispiel ist frei erfunden). Das wäre eine Information, mit der die Verantwortlichen etwas anfangen könnten.
Doch das Tool lässt eine solche Genauigkeit gar nicht zu. Man kann nicht einmal den Wochentag angeben. Irgendwann, irgendwo im öffentlichen Verkehr ist etwas passiert, mehr kann man nicht eintragen.
Etwas konkreter wird es beim vermuteten Grund für eine Belästigung. Obwohl es, dies zur Erinnerung, um «sexuelle und sexistische, homo- und transfeindliche Belästigungen» geht und nicht um Fremdenfeindlichkeit, können neben «Geschlecht» und «sexueller Orientierung» auch Kriterien wie «Herkunft» und «Hautfarbe» angewählt werden.
Bei der Beschreibung der Täterschaft hingegen, wo eine Angabe zur vermuteten Herkunft unter Umständen tatsächlich aufschlussreich sein könnte, dürfen dazu keine Angaben gemacht werden. Die Stadt will das gar nicht so genau wissen.
Der Verdacht liegt nahe, dass es beim Melde-Tool weniger um Aufklärung oder Verbrechensbekämpfung geht, sondern mehr darum, die Stadt in einem guten Licht darzustellen. Frauen und die LGBT-Community sollen das Gefühl erhalten, dass Zürich für sie schaut.
Unbequeme Wahrheiten aber, die nicht in das Weltbild der rot-grünen Stadt passen, werden ausgeblendet. Etwa, dass gerade Männer aus konservativen muslimischen Kulturkreisen oft grosse Mühe mit der offenen Zurschaustellung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen haben.
Die Verantwortlichen schreiben, dass das Melde-Tool dazu beitragen soll, weitere Massnahmen für eine sichere Stadt anzustossen. Doch so funktioniert das nicht. Hier wird Dampf abgelassen ohne Effekt in der realen Welt. Das haben im Übrigen auch die Zürcherinnen und Zürcher erkannt: Das Tool wird kaum noch genutzt, im letzten Dezember gab es nur gerade 14 Einträge. Es sollte abgestellt werden.