Mit einem Überraschungsangriff ist es syrischen Rebellen gelungen, ein Dutzend Dörfer in der Region Aleppo unter ihre Kontrolle zu bringen. Derzeit liefern sie sich heftige Gefechte mit den Truppen Asads sowie deren Verbündeten.
Der eingefrorene Konflikt in Syrien ist eskaliert: Zum ersten Mal seit vier Jahren lancierten jihadistische Rebellengruppen am Mittwoch eine Militäroffensive gegen die Truppen des Regimes von Bashar al-Asad. Die Kämpfe finden in den Provinzen Idlib und Aleppo statt.
Angeführt wird die Offensive von der sogenannten Hayat Tahrir al-Sham, kurz HTS. Sie wird von weiteren Rebellen- und Oppositionsgruppen unterstützt. Bei der HTS handelt es sich um eine jihadistische Rebellengruppe, die aus einem Kaida-Ableger hervorging und sich als Opposition zum Asad-Regime versteht. Die Gruppe, die von den USA als Terrororganisation eingestuft wird, kontrolliert einen Grossteil der Provinz Idlib.
Mit ihrem Überraschungsangriff eroberten die Rebellen innert weniger Stunden ein Dutzend Dörfer westlich der Stadt Aleppo sowie die grösste dortige Militärbasis. Der Vormarsch dauerte am Donnerstag an. Mittlerweile sind die Rebellen bis an die Stadtgrenze von Aleppo vorgerückt.
Nicht verifizierte Aufnahmen zeigen zudem Kämpfer der HTS in der strategisch wichtigen Stadt Sarakeb südöstlich von Idlib, wo eine zweite Front eröffnet wurde. Sarakeb liegt an der wichtigsten Verbindungsstrasse zwischen Aleppo und der Hauptstadt Damaskus.
Al-Kaida-Ableger und protürkische Rebellen involviert
Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei den Gefechten bisher 182 Kombattanten getötet, von ihnen 102 HTS-Mitglieder, 61 Angehörige der Regime-Truppen sowie 19 Kämpfer der Syrischen Nationalen Armee (SNA). Letztere wird von der Türkei unterstützt und kontrolliert den Norden der Provinz Aleppo.
Laut dem Syrien-Experten Charles Lister hatten sich die HTS und die SNA vor Beginn der Kämpfe offenbar abgesprochen. Sollte es der HTS gelingen, die Offensive aufrechtzuerhalten und die Gebietsgewinne zu halten, böte dies eine verlockende Gelegenheit für die SNA, in die Kämpfe einzugreifen, schreibt Lister.
Unklar ist momentan die Rolle der Türkei, einem sonst zentralen Akteur im Norden Syriens. 2020 hatte Ankara seine damals vierte Militäroffensive in Syrien gestartet, um den Vormarsch der Asad-Truppen in der Provinz Idlib zu stoppen. Die Auseinandersetzung endete in einem fragilen Waffenstillstand, namentlich zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem russischen Machthaber Wladimir Putin, der Asad unterstützt.
Trotz dem Waffenstillstand lieferten sich die Rebellen und das syrische Regime allerdings immer wieder Gefechte und Scharmützel. In den letzten Monaten nahmen diese Auseinandersetzungen zu. Vor allem Asads Truppen intensivierten ihre Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Idlib. Dabei setzten sie zum ersten Mal – mithilfe Russlands – Kamikaze-Drohnen ein. Zudem flogen russische Kampfjets in den vergangenen Wochen Luftangriffe gegen die Provinz.
Die Rebellen um die HTS nennen diese Angriffe als Grund für die jetzige Offensive, die sie «Abschreckung der Aggression» getauft haben. Vorerst sei nur eine begrenzte Operation geplant gewesen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters mit Verweis auf türkische Sicherheitskreise. Doch die Offensive sei ausgeweitet worden, nachdem sich Regime-Truppen aus ihren Stellungen zurückgezogen hätten.
Iran, Hizbullah und Russland in Kämpfe verwickelt
Die Rebellen rücken auch in Richtung zweier schiitischer Dörfer vor. In diesen unterhält der libanesische Hizbullah eine starke militärische Präsenz. Die mit Iran verbündete Schiitenmiliz war 2013 Asad im syrischen Bürgerkrieg zu Hilfe geeilt, ist seither im Land präsent und nutzt Syrien für Waffen- und Munitionslieferungen nach Libanon. Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die HTS und der Hizbullah gegenüberstehen.
Auch Iran, ein weiterer Verbündeter Asads, scheint in die Kämpfe verwickelt. Eine iranische Nachrichtenagentur vermeldete am Donnerstag die Tötung eines Generals der Revolutionswächter durch Terroristen in der Region Aleppo.
Als Reaktion auf den überraschenden Angriff der Rebellen begannen Asads Truppen sowie die syrische und die russische Luftwaffe, Dörfer und Städte in der Provinz Idlib zu bombardieren. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden dabei 38 Zivilisten getötet. Dem Land drohen verhängnisvolle Stunden.