«Sharing-Dishes» lautet das Konzept vieler neuer Restaurants, die auf diesen Trend aufgesprungen sind. Kleine Teller, mehrere Gänge, alles wird geteilt. Unsere Autorin möchte ihr eigenes Essen und fragt sich: Gibt es bald auch wieder andere Ideen in der Gastronomie?
«Seid ihr schon mit unserem Konzept vertraut?», fragte uns der Kellner, bevor er uns einen Blick in die Karte gewährte. Meine Begleitung und ich antworteten synchron mit «Ja», obwohl keiner von uns je zuvor in diesem Restaurant war. Wir wurden das schon oft gefragt, in Zürich, London, Lissabon . . . Und immer lief es auf dasselbe hinaus: Sharing-Konzept. Alle Speisen werden geteilt.
Die eine Frage, die wir nur noch stellten, war: Wie viele Teller pro Person? Die andere, meiner Meinung nach entscheidendere Frage diskutierten wir später unter uns am Tisch: Wann hört das endlich wieder auf mit diesen Sharing-Plates?
Tellerchen zum Teilen
Es ist noch nicht lange her, da war das Teilen im Restaurant verpönt. Wer einen Extrateller verlangte, um die Pizza zu halbieren, erntete oft ein Augenrollen, in manchen Restaurants fiel dafür gar eine Zusatzgebühr an. In denselben Topf griff man einzig beim Fondue, und das meistens nur zu Hause im vertrauten Kreis. Auswärts jedoch war es üblich, dass jeder Gast sein eigenes Menu erhält. Zumindest bis vor ungefähr fünf Jahren. Dann wurde das Sharing-Prinzip von der Ausnahme zur neuen Regel.
Das Konzept ist vor allem in jungen Restaurants anzutreffen, die von Antwerpen bis Zürich oft alle ungefähr gleich aussehen: minimalistisch eingerichtet, mit schlechter Akustik und einer schön schlichten A4-Papierkarte, auf der Naturweine und Craft-Beer zu finden sind. Als Starter-Snack gibt es fast immer Sauerteig mit aufgeschlagener Butter, danach folgen weitere Tellerchen zum Teilen.
Vorreiter war in Zürich das Restaurant Josef, wo das Menu seit über zehn Jahren schon aus kleinen Tellern statt aus Gängen besteht. Zum Teilen, wie man das heute versteht, waren die Speisen ursprünglich allerdings gar nicht unbedingt gedacht, vielmehr sollten alte Gewohnheiten der klassischen Küche aufgebrochen werden. Beim wohl berühmtesten Schweizer Koch, Andreas Caminada, heisst das Konzept heute «4-Gänge-Sharing-Erlebnis». Ebenso setzt sein Kollege Nenad Mlinarevic, der in Zürich unter anderem die «Bauernschänke» oder die «Neue Taverne» führt, seit langem auf Sharing.
Es war ein Konzept, das Abwechslung in die überladenen Speisekarten brachte. Jüngst aber ist die Liste an Restaurants, die Speisen zum Teilen anbieten, derart gewachsen, dass hier längst nicht mehr alle aufgezählt werden könnten.
Mehrere Gerichte probieren
Natürlich spricht grundsätzlich erst einmal nichts gegen einen Tisch voller verschiedener Speisen. Das gemeinsame Essen ist seit je fester Bestandteil unserer Kultur; offenbar war es schon in der Steinzeit üblich, Mahlzeiten zu teilen und gemeinsam zu geniessen. Das Essen wird zum Erlebnis. In Italien etwa hat die Tavolata Tradition, in Südkorea spricht man von Banchan. Auch Tapas oder Mezze haben unlängst Einzug gehalten in die hiesige Restaurantszene. Das grosse Angebot spricht für deren Beliebtheit.
Auch ich mag es, in gemütlicher Runde Hummus, Baba Ganoush und weitere Mezze zu probieren oder zu einem Glas Rotwein spanische Tapas zu bestellen. Was ich hingegen nicht verstehe, ist, weshalb jetzt auch jeder Risotto und jede Spargel geviertelt werden sollen.
Klar, die Vorteile von Sharing-Plates liegen auf der Hand: Wer Speisen teilt, hat die Möglichkeit, mehrere Gerichte gleichzeitig zu probieren. Das Angebot der Gerichte ist meist saisonal angepasst und überschaubar in der Grösse; ist man eine Gruppe von mehr als fünf Personen, kann in der Regel gleich die ganze Karte einmal bestellt werden. Empfohlen werden schliesslich meist vier bis sechs Teller pro Person – was oft grosszügig gerechnet ist und aus dem lockeren Abendessen preislich ein exklusives Dinner macht. Denn: Die einzelnen Gerichte kosten mittlerweile vielerorts um die 20 Franken pro Teller. Für grossen Hunger mit kleinem Budget ist dieses Konzept nicht gedacht.
«Die Auswahl der Speisen wird zum Verhandlungsprozess, das Ergebnis ist fast immer ein Kompromiss.»undefined
Trotzdem wird gerade bei Sharing-Plates gerne der soziale Aspekt hervorgehoben: Essen sei nicht länger eine isolierte Erfahrung, sondern ein Kollektiverlebnis, hört man oft. Alle probieren dasselbe und können sich darüber unterhalten. Das klingt in der Theorie ganz gut. In der Praxis erlebe ich es oft anders. Das Herumreichen von Essen hindert den Gesprächsfluss oft mehr, als es ihn anregt. Ständig möchte jemand noch ein Stückchen von etwas haben – und vor dem zweiten Mal Schöpfen erfolgt noch eine kurze Störung in die Runde: «Hatten alle bereits von diesem Gericht probiert?»
Anstandsmauer aus Erbsenpüree
Kompliziert ist es schon bei der Bestellung. Zuerst muss in der Runde geklärt werden: Essen alle Fleisch oder Fisch? Wer hat welche Allergien? Und ist scharfes Essen für alle in Ordnung? Die Auswahl der Speisen wird zum Verhandlungsprozess, das Ergebnis ist fast immer ein Kompromiss.
Und der Abend selbst? Wird zum sozialen Balanceakt. Denn es gibt so manches Fettnäpfchen, in das man treten könnte, allein schon, dass niemand am Tisch als verfressen gelten will. Während des Essens bin ich deshalb ständig damit beschäftigt, mich zu fragen, ob ich mit den drei Brokkoliröschen nun schon zu viel oder doch zu wenig geschöpft habe. Reicht die Portion für alle am Tisch? Am Ende ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass alle ein wenig von dem bekommen haben, was sie gerne wollten, und viel von dem, was sie nicht bestellt hätten.
Oft ist es auch so, dass ich relativ bald vergesse, was wir an diesem Abend gegessen hatten. War da nicht etwas mit Kürbis? Oder war es Süsskartoffel? Vermutlich ist es bei Sharing-Dishes ähnlich wie beim Buffet: Wenn man von allem ein bisschen hat, verblasst die Erinnerung an das einzelne Gericht.
Eine Pilztartelette für vier
Sharing-Dishes waren eine Weile aufregend und neu – auch ich war, allen Widrigkeiten zum Trotz, mal grosse Verfechterin davon und suchte mir auf Städtereisen häufig Restaurants heraus, deren Karten darauf hindeuteten, dass die Speisen zum Teilen gedacht sind. Seit das Sharing-Konzept nun aber zur Norm verkommen ist, ist mir der Appetit darauf mehr und mehr vergangen.
Bis ich letzten Sommer auf einer Geschäftsreise endgültig die Freude daran verlor. Ich kannte noch nicht einmal den Nachnamen meines Gegenübers, da stocherten wir bereits mit unseren Gabeln im selben Teller herum. Zurück blieb ein geteiltes Unbehagen, das sich im Teller in Form einer Anstandsmauer aus Erbsenpüree zeigte.
Besser wurde es auch nicht, als wir versuchten, eine espressotassengrosse Pilztartelette in vier Stücke zu schneiden. Das sah weder schön aus, noch schmeckte es wirklich gut. Denn es gibt noch ein weiteres Problem, das in der Küche oft vergessengeht: Sind die Gerichte zu komplex, mit Geschmacksnoten von süss, salzig bis scharf raffiniert konzipiert, fallen sie auseinander, wenn man sie teilt. Wir lächelten etwas verlegen, aber höflich darüber hinweg und waren froh, dass immerhin jeder für sich noch sein eigenes Getränk auswählen durfte.
In der privaten Runde hingegen äussert sich der Sharing-Überdruss schon deutlicher. Als ich kürzlich mit einer Freundin essen ging, schlug sie vor, es solle doch jede für sich bestellen, okay? «Ich teile einfach nicht gerne», sagte sie. Punkt. Ich verstand sie sehr gut und war am Ende sehr zufrieden mit meinem Menu. Eine Vorspeise, ein Hauptgang, ein Dessert. Nur für mich.