Das Parlament unterstützt den Bundesrat mehrheitlich darin, die Verhandlungen mit der EU-Kommission aufzunehmen. Aber die Vorbehalte stauen sich an.
Wenn es nach Marcel Dettling geht, kann sich das Verhandlungsteam von Bundesrat Ignazio Cassis die Reisen nach Brüssel sparen. Das Vertragswerk, das die Schweizer Landesregierung mit der Europäischen Union (EU) anstrebt, bleibt zwar auf Kurs. Am Dienstag haben die Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK) sowie die Aussenpolitische Kommission des Ständerats (APK) grünes Licht gegeben. Sogar der Bauernverband mit seinem Präsidenten und Mitte-Nationalrat Markus Ritter gibt sich konstruktiv. Umso härter kündigte Dettling frontalen Widerstand an. «Die Bauern sind bereit zu kämpfen», sagte der designierte SVP-Präsident am Dienstagnachmittag vor den Medien.
Der Landwirt aus dem Kanton Schwyz scheint es wörtlich zu meinen. Er verweist auf Berlin oder Paris, wo die Bauern mit ihren Traktoren auffahren – gegen den Staat, aber vor allem auch gegen die EU. Dettling warnt vor weniger Geld für die Landwirtschaft und vor mehr Steuern für alle. Vor «Gentech auf dem Teller», vor der Lockerung des Grenzschutzes. Die EU wolle bestimmen, was angebaut werde und was beim Konsumenten auf dem Teller lande. «Das ist eine völlige Unterjochung.»
Stromabkommen umstritten
Ob Dettling übertreibt oder ob Ritter irrt, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen. Auch der Kontrast zwischen den schrillen Tönen der Gegner und den leisen Beruhigungsworten der Befürworter ist nicht neu, bleibt aber bemerkenswert. Der Bundesrat spricht von einer «Stabilisierung» des bilateralen Wegs. Wenn man nun aber die Einwände nachliest, die die WAK sowie die APK der Regierung am Dienstag mit auf den Weg gegeben haben, braucht es noch einiges, damit das Verhandlungspaket stabil abgestützt ist.
Ein wesentlicher, aber heftig umstrittener Bestandteil des Vertragspakets ist das angedachte Stromabkommen. Hier will man sich lediglich auf die Netzstabilität, vielleicht auch auf den Stromhandel beschränken. Die WAK fordert, dass die Stromproduktion jedoch ganz aus dem Verhandlungsmandat ausgenommen werden soll.
In die gleiche Richtung, wenn auch weniger weit, geht die APK des Ständerats. Sie verlangt vom Bundesrat, dass er die Schweizer Interessen im Vertrag absichern lässt. Das betrifft unter anderem die Konzessionsvergabe oder die Bildung von eigenen Stromreserven. Konkret stehen die Befürchtungen im Raum, dass die EU dereinst die Wasserzinsen streicht oder dass sich Betreiber aus ganz Europa für die Konzession eines hiesigen Wasserkraftwerks bewerben dürfen.
Entsprechend stark hätten sich WAK-Mitglieder aus den Wasser-Kantonen Wallis und Graubünden für Garantien bei der Produktion ausgesprochen, liess Magdalena Martullo-Blocher vor den Medien durchblicken. Die Unternehmerin sitzt für die Bündner SVP im Nationalrat. Ihre Bemerkung und mehrere weitere Quellen legen nahe, dass sich neben der SVP auch die konservative Mitte-Delegation in der WAK kritisch eingebracht hat – etwa der Bauernpräsident Ritter oder der Fraktionschef Philipp Matthias Bregy.
Gemeinsam mit dem Parteipräsidenten Gerhard Pfister, der sich in der APK des Nationalrats zuletzt ähnlich verhalten haben soll, zeichnet sich im bürgerlichen Lager Widerstand gegen das Vertragspaket ab, der über die SVP hinaus geht. Es bleiben Unschärfen, wie zwischen Dettling und Ritter. Aber es fehlt auch nicht viel für einen allfälligen Schulterschluss. Die Mitte kippt ins Lager der Kritiker.
Offen für Ständemehr
Schon lange kritisch ist der Gewerkschaftsbund. Der SGB warnt seit einiger Zeit vor den schwammig formulierten Ausnahmen rund um die Beihilfen im Strombereich. Konkret müsse unter anderem davon ausgegangen werden, «dass die in der Schweiz übliche Steuerbefreiung der Energieversorgungsunternehmen sowie die ebenfalls weit verbreitete Gewinnabführung an die öffentliche Hand nicht mehr zulässig wären».
Allein im Agrar- und im Strombereich haben sich in den parlamentarischen Kommissionen eine ganze Reihe von Vorbehalten angestaut. Die Frage, ob das Vertragswerk ganz am Schluss sowohl die Hürde des Volksmehrs als auch jene des Ständemehrs nehmen muss, wurde indes weiterhin vertagt. Hier sind es vor allem die FDP und die Linke, die sich noch nicht festlegen mögen.
Und auch in dieser Frage gab es jüngst bemerkenswerte Signale aus der Mitte. Elisabeth Schneider-Schneiter hatte auf X klargemacht, dass sie das obligatorische Referendum – und damit Volk- und Ständemehr – begrüsse. Die Basler Nationalrätin gilt als glühende Verfechterin des eingeschlagenen Wegs. Auch sie weiss: Aus Sicht der Befürworter ist der Eindruck, dass man sich durchmogeln will, mit allen Mitteln zu vermeiden. Sonst müssten Cassis’ Leute tatsächlich erst gar nicht nach Brüssel.